Unterm Strich

Rohr­krepierer Aktien­rente

Der Verzicht auf die Aktienrente und damit die kapitalgedeckte Altersvorsorge wird künftige Rentner und Steuerzahler teuer zu stehen kommen.

Rohr­krepierer Aktien­rente

Das war’s dann mit der schönen Idee der Aktienrente. Immerhin hatte sie es ins Wahlprogramm der FDP geschafft und – zur Freude vieler Kapitalmarktakteure – als Absichtserklärung und Prüfauftrag sogar in den Koalitionsvertrag. Zwar nur mit einem bescheidenen Kapitalstock von zunächst 10 Mrd. Euro, aber immerhin, ein Anfang wäre gemacht. Doch seit dem Einmarsch der Russen in die Ukraine ist auch für die deutschen Staatsfinanzen und die Planungen von Bundesfinanzminister Christian Lindner die Welt eine andere. Und so finden sich die einst avisierten 10 Mrd. Euro entgegen der Hoffnung vieler Rentenfachleute, künftigen Rentenbezieher und Assetmanager nicht in dem von Lindner in der zurückliegenden Woche präsentierten zweiten Haushaltsentwurf für 2022.

Entlastung vs. Vorsorge

Es liegt nahe, diesen Rohrkrepierer der Ampel-Koalition als fiskalischen Kollateralschaden des Ukraine-Kriegs zu verkaufen. Doch die Aktienrente wackelte schon vor der Invasion Russlands ganz gehörig, weil unter den Ampel-Koalitionären über die praktische Umsetzung dieses Einstiegs in eine kapitalmarktbasierte Altersvorsorge unterschiedliche Vorstellungen herrschten (vgl. BZ vom 27. Januar). Die Liberalen wollten sich am erfolgreichen schwedischen Modell orientieren, die Grünen lieber an der einst von der schwarz-grünen hessischen Landesregierung entworfenen Deutschlandrente, die als staatlicher Fonds in der privaten Altersvorsorge angedockt ist. Und die SPD hätte am liebsten beides gar nicht gehabt. Denn die 10 Mrd. Euro Kapitalstock müssten im Haushalt zusätzlich zu den 108 Mrd. Euro an Bundeszuschüssen für die gesetzliche Rentenversicherung aufgebracht werden, wenn das Rentenniveau dadurch nicht sinken und die Beitragssätze nicht steigen sollen.

Finanzieller Spielraum wäre dank der noch ausgesetzten Schuldenbremse sogar vorhanden, doch wird er von der Regierung nun für die geplanten Entlastungen der Bürger bei den Energiekosten genutzt. Beide Entlastungspakete, jenes vom Februar mit dem vorzeitigen Aus für die EEG-Umlage, Steuerentlastungen und höherer Pauschale für Fernpendler und das jetzige vom März mit Energiepreispauschale, befristeter Kraftstoffverbilligung und ÖPNV-Sondertarifen sowie sozialpolitischer Flankierung schlagen zusammen mit mehr als 30 Mrd. Euro zu Buche.

Zweifelsohne ist die politische Rendite auf das jetzt von der Regierung beschlossene Entlastungspaket deutlich höher als bei der vagen Hoffnung auf eine Entlastung in der Rentenversicherung eine Generation später. Leider passt auch dieses eilig in einer Nachtsitzung zusammengewürfelte Paket ins Bild der Ampel-Koalition, die es irgendwie jedem recht machen will, ohne jemandem weh zu tun. Leider bringt sie trotz der gewaltigen finanziellen Kosten aus Pandemie und Ukraine-Krieg nicht den Mut auf, den Bürgern auch einmal ein Engerschnallen des Gürtels zuzumuten. Zu sehr haben sich Politiker und Bürger in den zurückliegenden beiden Jahrzehnten ans Verteilen der Friedensdividende gewöhnt. Folglich verschiebt die Regierung die Belastungen – aus Zinsen und aus Tilgungen – immer weiter in die Zukunft, sei es bei der Finanzierung der Energiewende, sei es bei der dringend nötigen Reform der Alterssicherung oder sei es auch bei den Investitionen in die Verteidigung und das Sondervermögen für die Bundeswehr. Die Belastungen werden in Sonder- und Schattenhaushalte gepackt ganz nach dem Motto: Aus den Augen, aus dem Sinn. Denn ab 2023 soll ja wieder die Schuldenbremse eingehalten werden. Welch Selbstbetrug!

Sanierungsfall Rente

Die Einzigen, die von der Ampel-Gießkanne nicht bedacht werden, sind die Rentner von morgen. Sie haben keine Lobby. Und die Rentner von heute muss es nicht kümmern, ob die gesetzliche Rentenversicherung mit dem Einstieg in die Kapitaldeckung zukunftssicher gemacht wird. Sie profitieren aktuell ja von der Fehlkonstruktion in der Rentenberechnung und -anpassung, die noch die Handschrift des einstigen Bundesarbeitsministers und heutigen Bundeskanzlers Olaf Scholz trägt. Demnach folgen die Altersbezüge zwar der Lohnentwicklung, doch sind bei sinkenden Löhnen Rentenkürzungen ausgeschlossen. Diese 2008 während der Finanzkrise eingeführte nominale Rentengarantie hat grundsätzlich einen positiven, nämlich konjunkturstabilisierenden Effekt. Damit sich aber die Rentenentwicklung bei sinkenden Löhnen nicht dauerhaft von der Lohnentwicklung abkoppelt, wurde der sogenannte Nachholfaktor eingeführt. Er kompensiert im Nachhinein die unterbliebene Rentenkürzung durch einen gedämpften Anstieg danach und wirkt so ebenfalls stabilisierend. Da aber der Nachholfaktor im Zuge der Rentenreform von 2018 ausgesetzt wurde, und zwar bis 2025, beschert diese in der Pandemie zum Tragen gekommene Unwucht den Rentnern in diesem Jahr die höchste Steigerung ihrer gesetzlichen Altersbezüge seit der Jahrtausendwende: plus 5,35% im Westen und plus 6,12% im Osten Deutschlands.

Schön für die Rentner, schlecht für das Rentensystem, das durch die Entkoppelung von Renten und Löhnen, und damit Beitragszahlungen, in Schieflage gerät. Zugleich zwängen die „doppelten Haltelinien“, nämlich die Sicherung des Rentenniveaus bei 48% bis zum Jahr 2025 und die Deckelung des Beitragssatzes zur Rentenversicherung bei 20% bis 2025, die gesetzliche Rentenversicherung in ein Korsett, das mit dem Renteneintritt der Babyboomer-Generation zu platzen droht.

Einziger Ausweg, wenn die Regierung Beitragserhöhungen und steigendes Renteneintrittsalter zum Tabu erklärt: ein immer größerer Bundeszuschuss. Nach Berechnungen des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) wird sich die Summe staatlicher Zuschüsse von heute 108Mrd. Euro bis zum Jahr 2040 auf 151 Mrd. Euro steigern, bis 2060 gar auf 310 Mrd. Euro – eine Verdreifachung gegenüber heute. Aber das wird dann nicht mehr das Problem der heutigen Regierung sein.

c.doering@boersen-zeitung.de