Brüssel

Sachsen feiert die Geburts­stunde von Europas Halbleiter-Allianz

Europa hat große Ziele für kleine Chips. Um den Ansprüchen gerecht zu werden, machen 13 Regionen aus neun EU-Ländern gemeinsame Sache.

Sachsen feiert die Geburts­stunde von Europas Halbleiter-Allianz

Da stehen sie alle nebeneinander auf der Bühne, die Abgesandten aus Baskenland und Brabant, Kärnten und Katalonien, Piemont und Provence, Steiermark, Südmähren und natürlich: aus Sachsen. In ihren Händen halten die Frauen und Männer etwas, das aus der Perspektive des Publikums wie ein schwarzes Loch in einem silbernen Metallrahmen aussieht und wohl einen Mikrochip in XXL-Format darstellen soll. Mittendrin steht Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer und hält eine aufgeschlagene DIN-A4-Kladde in der Hand, in der sie alle unterschrieben haben. Es ist die Geburtsstunde einer Allianz von Europas Halbleiterregionen.

Geht es nach der EU-Kommission, wird bis 2030 jeder fünfte Mikrochip auf den Weltmärkten aus europäischer Produktion stammen. Dieses Ziel ist, diplomatisch ausgedrückt, ambitioniert: Europas Weltmarktanteil ist momentan auf 8 % gefallen, und der Markt wächst stark, weil der Bedarf an Halbleitern immer größer wird. Infineon, ASML und Co. müssen ihre Produktion also binnen weniger Jahre vervielfachen, um den hohen Ansprüchen gerecht zu werden.

Sachsens Ministerpräsident Kretschmer, quasi der Gründungsvater der Halbleiter-Allianz, ficht das nicht an. „Die EU hat zu Recht den Anspruch, auf dem Weltmarkt eine große Rolle zu spielen“, hat der CDU-Politiker in seiner Rede postuliert. „Nicht mit einem planwirtschaftlichen Ansatz, sondern mit Innovation.“ 13 Regionen aus neun EU-Staaten bilden die neue Allianz. Sie wollen enger in Forschung, Entwicklung und Ausbildung von Fachleuten zusammenarbeiten.

Für Sachsen sind mit der Halbleiterindustrie große Hoffnungen verbunden – und umgekehrt. Kretschmer kündigt an, in seinem Bundesland eigens eine Chip-Akademie gründen zu wollen. Der taiwanesische Konzern TSMC plant ein Werk in Dresden, Intel zieht es ins benachbarte Sachsen-Anhalt, nicht zuletzt weil die EU mit Milliardensubventionen lockt. Hintergrund ist der European Chips Act: Mit ihm will die EU-Kommission Europas Halbleiterindustrie auf Augenhöhe mit Taiwan, Südkorea und USA bringen, um bedrohliche Abhängigkeiten zu verringern.

„Here we are“, ruft EU-Industriekommissar Thierry Breton, als er die Bühne betritt, „endlich.“ Der als Stargast des Abends angekündigte Franzose bekommt zwar kein Andenken in Gestalt eines gerahmten schwarzen Lochs überreicht, dafür viel Redezeit. Die nutzt er, um Entschlossenheit zu demonstrieren. 80 bis 100 Mrd. Euro Investitionen steckten in der Pipeline, rechnet Breton vor. „Geschwindigkeit ist der Schlüssel – vor allem in dieser Industrie. Wir haben keine Sekunde zu verlieren.“ Man könnte auch sagen: Breton erzählt den Anwesenden, was die hören wollen.

Die inhaltlichen Auseinandersetzungen über den Chips Act, der bis Ende des Jahres stehen soll, überlässt Breton an diesem Abend anderen. In den nun beginnenden Schlussverhandlungen zwischen Kommission, Parlament und Mitgliedstaaten ist so manche offene Frage zu klären. Eine ist, welche Arten von Halbleitern eigentlich gefördert werden sollen: nur die winzig kleinen mit zwei Nanometern Größe, gewissermaßen die Spitze der technischen Errungenschaft in der Chipentwicklung? Oder auch nicht ganz so winzige Exemplare älterer Generationen?

Jochen Hanebeck, der Chef des Dax-Konzerns Infineon, hat da etwas andere Vorstellungen als mancher Politiker in Brüssel. „Wir brauchen alle Arten von Halbleitern, nicht nur die ganz kleinen.“ Auch ältere, größere Modelle von Halbleitern würden weiterhin benötigt. Deswegen müsse man auch dafür Subventionen erwägen. Den sächsischen Gastgebern macht Hanebeck eine kurze Liebeserklärung, was nicht überraschen kann: Infineon hat gerade grünes Licht für ein Werk in Dresden bekommen.

Ohne rot zu werden, kann deshalb Martin Dulig, im Freistaat Staatsminister für Wirtschaft, Sachsen „einen der führenden Standorte“ nennen, „um die Mikroelektronik voranzubringen“. Es könne nicht mehr darum gehen, Halbleiter zu verkleinern. Die Grenzen der technischen Entwicklung seien ausgereizt. Jetzt komme es auf Effizienz an – und auf europäische Zusammenarbeit. Er sage das nicht, um Standortwerbung zu machen, „sondern weil es um Europa geht“.