London

School’s out forever!

Elftklässler können sich freuen: Die standardisierten Abschlussprüfungen werden dieses Jahr durch Beurteilungen der Lehrer ersetzt. Viele Schulen entließen sie deshalb schon im Mai in die Sommerferien.

School’s out forever!

Britische Lehrer, Schulleiter und ihre Gewerkschaften haben lautstark bekundet, dass die von der Regierung bereitgestellten 1,4 Mrd. Pfund nicht ausreichen, um Kindern und Jugendlichen über die Unterbrechung ihrer Ausbildung während der Pandemie hinwegzuhelfen. Umso bemerkenswerter ist, dass die meisten weiterführenden öffentlichen Schulen in England und Wales mehr als eine halbe Million Schüler schon nach den Pfingstferien (half-term) im Mai in die Sommerferien entließen. Normalerweise wären in der 11. Klasse um diese Zeit standardisierte Prüfungen angesagt. Doch in diesem Jahr werden die GCSE-Ergebnisse (General Certificate of Secondary Education) von den Lehrern ausgewürfelt. Man kann darüber streiten, ob diese Vorgehensweise unter den gegebenen Umständen fairer als eine schriftliche Prüfung ist, insbesondere wenn das eigene Kind nicht zu den Lieblingen der Pädagogen gehört. Die Lehrkräfte brauchen Zeit für die Benotung, nicht zuletzt, um ausreichend Beweismaterial für die Begründung ihrer Urteile zusammenzustellen. Die Frage ist jedoch, warum viele Schulen mehr als fünf Wochen Unterricht ausfallen lassen, nachdem die Noten bereits erteilt wurden. Wer geglaubt hatte, dass es beim Schulbesuch um mehr als nur die Noten geht, wurde damit eines Besseren belehrt. Offenbar waren all die Versprechungen, die während der beiden Lockdowns versäumten sechs Monate nachzuholen, nicht so ernst gemeint.

Die Situation der Jüngeren ist oft nicht viel besser. Etwa 200 000 Kinder werden diesen Sommer die Grundschulen nach der 6. Klasse gen Secondary School verlassen, ohne richtig lesen und schreiben zu können, 30 000 mehr als ein Jahr zuvor. Statt zusätzlichen Unterricht anzubieten, um Versäumtes nachzuholen, schickt einer Umfrage der App Teacher Tapp zufolge ein Zehntel der Schulen die Kinder früher nach Hause. Nach dem Mittagessen seien die Kinder ohnehin unkonzentriert, hieß es mancherorts zur Begründung. In Birmingham machten mehr als 35 Schulen gleich einen halben Tag die Woche dicht. Sie begründeten das damit, dass ihre Lehrkräfte Zeit zur Vor- und Nachbereitung bräuchten. In mehr als der Hälfte der weiterführenden Schulen und mehr als zwei Drittel der Grundschulen sind Unterrichtsbeginn und -ende immer noch gestaffelt, um den bislang gültigen Kontaktbeschränkungen gerecht zu werden. Auch dabei wurde in der Regel noch ein wenig Unterrichtszeit abgeknapst. Man solle sich keine Sorgen machen, der Rückstand beim zu lernenden Stoff sei ein landesweites Problem, werden die Eltern beschwichtigt. Viel wichtiger sei doch das mentale Wohlbefinden der Kinder. Zu viel Stress schade in solchen Ausnahmesituationen wie der Pandemie nur.

Die Gewerkschaften der Lehrer und Schulleiter haben bereits klargemacht, dass die geltenden Verträge nachverhandelt werden müssten, sollte ihre Klientel wirklich Mehrarbeit leisten müssen. „Lehrer haben Arbeitsverträge wie alle anderen auch“, sagte Kevin Courtney, der Generalsekretär der National Education Union, der größten Lehrergewerkschaft in England und Wales. „Vertragliche Änderungen müssen ausgehandelt werden, wenn es Änderungen geben soll.“ Lehrer hätten bereits sehr lange Arbeitszeiten. Geoff Barton, der Generalsekretär der Association of School and College Leaders, wandte sich dagegen, „aus müden Kindern per allgemeiner Verordnung weitere Stunden des Lernens herauszuholen“.

Tatsächlich handelt es sich bei den beschriebenen Zuständen ausschließlich um Probleme des öffentlichen Schulwesens. In den Privatschulen geht der Unterricht dagegen nahezu reibungslos weiter. Durch die Pandemie hat sich der Abstand zwischen den Schülern öffentlicher und privater Schulen dramatisch vergrößert. Die regierenden Konservativen täten gut daran, sich mehr um die Zustände im Bildungswesen zu kümmern, auch wenn das auf erbitterten Widerstand der organisierten Lehrer stoßen dürfte. Sharon White, die Chefin der Kaufhauskette John Lewis, der auch die Waitrose-Supermärkte gehören, hat in ihrem Unternehmen Förderunterricht für Berufsanfänger eingeführt, weil viele Schulabgänger Probleme mit dem Lesen, Schreiben und Rechnen hätten. Vermutlich werden viele andere nachziehen müssen.