Schwache Produktivität – der Klotz am Bein der US-Wirtschaft
Der Klotz am Bein der US-Wirtschaft
Schwache Produktivität bremst Wachstum und Wohlstand.
Von Peter De Thier, Washington
Seit Jahren hat die US-Wirtschaft mit schwächelnder Produktivität zu kämpfen. Das führt zu schwächerem Wirtschaftswachstum, trägt zu höherer Inflation bei und senkt den Lebensstandard. Auch wird es für den Staat schwerer, die ausufernden Schulden in den Griff zu bekommen. Was allerdings die Ursachen der Produktivitätsschwäche angeht, scheiden sich die Geister. Wie das Bureau of Labor Statistics (BLS) des Arbeitsministeriums berichtet, stieg die Produktivität der US-Wirtschaft dieses Jahr von Januar bis März gegenüber dem Schlussquartal 2023 nur um 0,3% und auf Jahressicht um 2,9%. Bei der Fertigung von Verbrauchsgütern ermittelte das BLS im Quartalsvergleich sogar einen Rückgang um 1,5%. Von Ende 2020 bis zum Herbst des Vorjahres war die Produktivität der gesamten Wirtschaft in mehreren Berichtsperioden geschrumpft.
Greg Daco, Chefvolkswirt bei EY Parthenon, spricht von „der ersten andauernden Talfahrt seit Beginn der Erhebungen im Jahr 1948“. Die einfachste Erklärung, die aber zugleich die tieferen Ursachen kaschiert, liegt in der Erfassung und den vielfach kritisierten statistischen Methoden. Wie der Nationalökonom Jeffrey Sachs von der Columbia-Universität in New York meint, „sind die amtlichen Methoden seit Jahren so unpräzise, dass die Zahlen mich schon gar nicht mehr interessieren“. Er bemängelt unter anderem, dass die jüngsten Fortschritte in der Informationstechnologie und deren produktivitätssteigernde Wirkung nicht ausreichend Berücksichtigung finden.
Ähnlich schätzt Jason Furman, früher Chef des Council of Economic Advisors (CEA) unter Präsident Barack Obama, die Lage ein. Nach Furmans Ansicht „werden die Auswirkungen der künstlichen Intelligenz auf die Produktivität der Wirtschaft in den kommenden Jahren der Jolly Joker sein“. Auch andere Experten bezeichnen die KI als jene unberechenbare Größe, deren Dimension und Bedeutung für die künftige Effizienz der Wirtschaft schwer abzuschätzen ist.
Tiefer liegende Ursachen
Allen statistischen Mängeln zum Trotz liegen die fundamentalen Ursachen wesentlich tiefer. So sind sich die Ökonomen einig, dass die Corona-Pandemie zu einer einschneidenden Zäsur geführt hat. Strukturelle Veränderungen am Arbeitsmarkt haben während der Krise zunächst zu einem Produktivitätsanstieg geführt, daraufhin aber das Gegenteil bewirkt.
Als nach dem Ausbruch der Pandemie die Unternehmen im März und April 2020 fast 22 Millionen Mitarbeiter entlassen hatten, kam es rein rechnerisch zu einem massiven Produktivitätsschub. Um sich während des großen Konjunktureinbruchs über Wasser halten zu können, hielten die Unternehmen nämlich an ihren besten, und damit auch effizientesten Mitarbeitern fest. Deren Leistungen schlugen gesamtwirtschaftlich in deutlich höherer Produktivität zu Buche. In den 6 Monaten darauf, als die staatlichen Hilfsprogramme zu greifen begannen, wurden aber 12 Millionen Personen neu eingestellt. Die Kosten von deren Schulung, Ausbildung und Fortbildung bewirkten dann das Gegenteil und führten zu massiven Produktivitätseinbußen.
In der Zeit danach, als sich die Wirtschaft insgesamt wieder stabilisierte, ließen die massiven Schwankungen zwar nach und die Produktivität stabilisierte sich auf einem niedrigen Niveau – allerdings bröckelte sie immer weiter ab. Prominente Kritiker wie Elon Musk und Meta-Chef Mark Zuckerberg gaben der zunehmenden Nutzung des Homeoffice die Schuld. Sie behaupteten, dass Mitarbeiter im Heimbüro pro Stunde weniger leisten würden als im herkömmlichen Umfeld, den Büros der Unternehmen vor Ort.
Andere verweisen auf den Wandel zu einer „Dienstleistungs-Ökonomie“, der sich seit der Pandemie weiter beschleunigt hat. So stellt Daco fest, dass „Produktivität die Relation zwischen Output und geleisteten Arbeitsstunden widerspiegelt“. Dabei sei es außerordentlich schwer zu erfassen, wie viel beispielsweise ein Bankangestellter, ein Buchhalter, Manager oder eine Fachkraft in der Tech-Branche wirklich „produzieren“, wie der Wert gemessen werden könne.
Stimmung drückt Produktivität
Andere Ökonomen und auch Betriebspsychologen sehen einen weiteren Grund für die schwache Produktivität in der negativen Stimmung, die sich unter Konsumenten und somit auch bei erwerbstätigen Personen breitmacht. So gab der Index des Verbrauchervertrauens des Forschungsinstituts Conference Board im April den dritten Monat in Folge nach und rutsche auf den tiefsten Stand seit Juli 2022. Trotz des robusten Wachstums, des soliden Stellenaufbaus und der geringeren Inflation stehen Konsumenten ihrer weiteren Einkommensentwicklung und den Aussichten am Jobmarkt pessimistisch gegenüber. Das Stimmungstief geht Experten zufolge auch zulasten der Effizienz am Arbeitsplatz.
Unterdessen warnen führende Volkswirte vor den gesamtwirtschaftlichen Folgen. Die geringe Produktivität würde zum einen Haushalte hart treffen. Schließlich geht sie in der Regel mit geringeren Lohnsteigerungen einher. Gleichzeitig müssten Unternehmen für mehr Arbeitsstunden zahlen, um denselben Output zu erzielen. Das wiederum treibt die Inflation und könnte den Privatkonsum mindern, der fast 70% des Bruttoinlandsprodukts (BIP) ausmacht. Wie Jason Furman zudem feststellt, wird es dann „auch für den Staat schwerer, seine Schulden in den Griff zu bekommen und das Haushaltsdefizit zu reduzieren“. Geringeres Wachstum lässt nämlich auch die Steuereinnahmen abbröckeln.
Wie aber können der Staat und Unternehmen die Produktivität ankurbeln? US-Präsident Joe Biden ist überzeugt, dass öffentliche Investitionen in die Infrastruktur und die Digitalisierung die Produktivität steigern werden. Eine Idee für die Privatwirtschaft liefert die Beratungsfirma McKinsey. In einer Studie von 2023 fordert McKinsey, dass Arbeitgeber beim Anwerben neuer Fachkräfte Berufserfahrung höher einstufen sollten als die fachliche Eignung.
Auch müssten sich Unternehmen verpflichten, ihre digitalen Transformationsziele schneller zu erreichen und beim Übergang zu grünen Energien mehr auf die Effizienz schauen. Werden diese und andere Schritte unternommen, könnte das Produktivitätswachstum wieder den langfristigen Durchschnittswert von 2,2% erreichen und das BIP bis 2030 um 10 Bill. Dollar steigern.