Schweinische Weihnachten
Schweine erfreuen sich dieses Jahr in der britischen Vorweihnachtszeit großer Beliebtheit. „Jacks wundersame Reise mit dem Weihnachtsschwein“ von J.K. Rowling verkauft sich außerordentlich gut. „Greg, the Sausage Roll“ von Mark und Roxanne Hoyle führt seit zehn Wochen die Kinderbuch-Bestsellerliste an. Marks & Spencer setzt unterdessen ganz auf das Fruchtgummi Percy Pig. Wer sich im rosa Schweinchendesign einrichten will, wird beim Traditionskaufhaus fündig. Von der Christbaumkugel bis zur Wärmflasche gibt es fast alles. Und dann lässt sich auch noch Boris Johnson auf der Jahreskonferenz des Unternehmensverbands über seine Erlebnisse im Kinderfreizeitpark Peppa Pig World aus. Die von der BBC verschmähte Zeichentrickheldin sei ein Symbol für die „Kraft britischer Kreativität“, schwadronierte der Premier, dem offenbar entfallen war, was er den Firmenvertretern eigentlich sagen wollte.
Auch Ladbaby, das zum Youtube-Kanal mit mehr als einer Million Abonnenten mutierte Blog des Grafikdesigners Mark Hoyle aus Nottingham, könnte man als ein solches Symbol bezeichnen. Vor fünf Jahren begannen er und seine Frau Roxanne damit, ihren nicht immer einfachen Alltag zu dokumentieren – mit erstaunlichem Erfolg. „Ich habe mit dem Bloggen angefangen, weil ich herausfand, dass meine Frau schwanger war und ich keine Ahnung davon hatte, wie man Kinder aufzieht, nicht einmal wie man sie halten soll“, sagt Hoyle. Roxanne habe ihm empfohlen, eine Menge Bücher zu lesen, aber keines davon habe ihn auf Augenhöhe angesprochen. Seine Fans lieben seine praktischen Ideen. Er zeigt, wie man einen kleinen Werkzeugkoffer zur Lunchbox umfunktioniert oder wie man einen Mülleimerdeckel als Schlitten benutzen kann. „Greg, the Sausage Roll“ erzählt die Geschichte eines Würstchens im Blätterteigmantel, das dem Weihnachtsmann helfen will. Es ist vermutlich kein Zufall, dass in den Midlands und im englischen Norden die börsennotierte Bäckerei Greggs der bekannteste Anbieter von Sausage Rolls ist. Hoyle liebt sie heiß und innig. Zumindest hat er sich bei seinen Versuchen gefilmt, in anderen Ländern an den schweinernen Snack zu kommen.
Seiner Weihnachtsgeschichte fehlt die Betulichkeit, die Werke wie den Paddington-Verschnitt „Einstein, the Penguin“ von Iona Rangeley auszeichnet, der vom Feuilleton wärmstens empfohlen wird. Seine Charaktere sprechen wie richtige Menschen, nicht wie gelangweilte Akademikerkinder. Die Hoyles wissen, was es heißt, wenn man für Lebensmittel nur 20 Pfund die Woche hat. Doch haben sie es geschafft, dreimal hintereinander mit weihnachtlichen Versionen bekannter Songs wie „I Love Sausage Rolls“ zur Melodie von „I Love Rock’n Roll“ von den Arrows Platz 1 der britischen Hitparade zu erreichen. Der „Daily Star“ beziffert ihr Vermögen inzwischen auf 1,4 Mill. Pfund.
Die Geschichte von Greg kommt ganz ohne erhobenen Zeigefinger aus. Der Hauptdarsteller kann sich gerade noch mit einem „Frohe Weihnachten!“ von seiner Freundin Gloria verabschieden, als er auch schon in eine Papiertüte gesteckt wird, weil sich ein kleiner Junge in den Kopf gesetzt hat, dem Weihnachtsmann statt der üblichen Mince Pies ein Würstchen im Blätterteigmantel anzubieten. Santa wäre einem herzhaften Snack zwar nicht abgeneigt, doch überredet ihn Greg, ihm noch ein bisschen beim Geschenkeverteilen helfen zu dürfen. Er hatte es sich wahrscheinlich nicht so vorgestellt, dass er den müden Rentieren als Motivation vor die Nase gehalten würde wie dem sprichwörtlichen Esel die Karotte. Doch als die Halteleine reißt, fällt er durch einen Kamin in ein Wohnzimmer, in dem er seine geliebte Gloria wiedertrifft. Da ist natürlich nicht „Stille Nacht“ angesagt, sondern Karaoke, Musik und Tanz.
Vielleicht reflektiert die Renaissance des Schweinernen ja die Sehnsucht der Erwachsenen nach der Zeit, in der man die ganze Nachbarschaft noch im Pub um die Ecke traf. Damals, als man dort noch rauchen durfte. Nicht dass es einem damals besser gegangen wäre. Aber wenigstens tanzte man die ganze Nacht und brauchte danach einen herzhaften Snack. Die Sausage Rolls von Greggs gibt es inzwischen auch beim Tiefkühl-Discounter Iceland. Aber das ist irgendwie nicht dasselbe.