Sieben Wochen in Saus und Braus
Wahlkampf
Sieben Wochen in Saus und Braus
Die Parteien überbieten sich zurzeit mit teuren, kaum finanzierbaren Wahlversprechen. Dem Standort hilft dies wenig, der AfD langfristig viel.
Von Andreas Heitker
In diesen Tagen starten nahezu alle Parteien in die heiße Phase des Bundestagswahlkampfes. Ob in Lübeck, wo die grüne Prominenz am Montag ihre Tour startete, oder in Stuttgart beim gleichzeitig stattfindenden Dreikönigstreffen der FDP oder im oberbayerischen Kloster Seeon bei der CSU-Klausurtagung: Überall in Deutschland beginnt ab sofort ein intensives Werben um Ideen für einen politischen Neustart nach dem letztlich gescheiterten Ampel-Experiment. Sieben Wochen sind für einen Bundestagswahlkampf extrem kurz – auch wenn eines der wichtigsten Ergebnisse des 23. Februar schon festzustehen scheint: An Friedrich Merz als neuem Bundeskanzler dürfte kein Weg vorbeigehen.
Die politische Auseinandersetzung bis zur Wahl ließe sich damit auf die Frage des künftigen Juniorpartners der Union herunterbrechen. Die Sozialdemokraten, die Olaf Scholz am kommenden Samstag offiziell noch einmal zum Kanzlerkandidaten küren wollen, sind bekanntlich in der Poleposition, von der sie – realistisch gesehen – einzig die Grünen noch verdrängen könnten. Doch diese Sichtweise auf den Wahlkampf ist viel zu kurz. Denn beim Urnengang im Februar muss es auch mit Blick auf die Wirtschaft um Verlässlichkeit und politische Stabilität gehen. Vom Ausgang der Wahl wird abhängen, wie schnell eine neue, handlungsfähige Regierung am Start ist und ob diese darüber hinaus eine klare Orientierung für die nächsten Jahre geben kann.
Zusammensetzung des neuen Bundestages noch völlig offen
Dabei ist die künftige Zusammensetzung des Parlaments derzeit noch offen wie selten zuvor in einem Bundestagswahlkampf. Es ist möglich, dass neben der Union nur drei weitere Parteien den Einzug schaffen – oder auch doppelt so viele. Auch wenn FDP-Chef Christian Lindner schon wieder Bedingungen für einen Eintritt in eine neue Koalition verkündet: Ob die Liberalen es nach dem D-Day-Debakel überhaupt noch einmal über die 5%-Hürde schaffen, ist aktuell mehr als fraglich. Bei den Linken ist die Situation trotz der „Mission Silberlocke“ noch schwieriger. Und Kleinstparteien wie die Freien Wähler oder Volt, die noch bei der jüngsten Europawahl Mandate errungen haben, dürften ohnehin kaum Chancen haben. Selbst Sahra Wagenknecht muss mehr um einen Einzug ihres Bündnisses in den nächsten Bundestag zittern als noch vor einem halben Jahr erwartet. Es geht also um jeden Prozentpunkt.
Es steht zu befürchten, dass der daraus folgende intensive Kampf der Parteien um Aufmerksamkeit in einem ohnehin zeitlich verkürzten Wahlkampf dazu führt, dass viele teure Versprechen gemacht werden, die im Endeffekt nicht finanzier- und damit umsetzbar sind. Die Programmentwürfe, die bereits kurz vor Weihnachten veröffentlicht wurden, geben hier bereits die Richtung vor: Laut dem Institut der deutschen Wirtschaft (IW) summieren sich die von CDU/CSU versprochenen Entlastungen von Unternehmen und Steuerzahlern auf 89 Mrd. Euro. Bei der Gegenfinanzierung hofft die Union unter anderem auf genügend Einsparungen beim Bürgergeld und zusätzliches Wachstum. Das ist mutig, aber kaum solide gerechnet.
Gefährlicher Überbietungswettbewerb im Wahlkampf
Bei der SPD summieren sich die Entlastungen auf immerhin noch gut die Hälfte, bei den Grünen ein Drittel der CDU/CSU-Versprechen. Die FDP-Wohltaten machen sogar 138 Mrd. Euro aus. Die AfD ist mit 149 Mrd. Euro dabei. Ein Leben in Saus und Braus, und niemand muss sich Sorgen um die Rechnung machen? In den nächsten sieben Wochen scheint vieles möglich. DIW-Chef Marcel Fratzscher hat vor einigen Tagen in einem Interview schon gewarnt, dass die Parteien die Wähler mit ihrem Überbietungswettbewerb hinters Licht führen wollten. Das war deutlich, aber berechtigt. Denn viele der Probleme, mit denen auch schon die Ampel-Koalition zu kämpfen hatte, werden durch die Neuwahl ja nicht verschwinden.
Woher kommen die vielen zusätzlichen Milliarden für die Modernisierung der Infrastruktur, für die Bundeswehr oder allgemein zur Stärkung des Standortes? Die demokratischen Parteien der Mitte brauchen hier realistischere Antworten. Ansonsten könnte es passieren, dass bei der Regierungsbildung nach der Bundestagswahl 2029 kein Weg mehr an der AfD vorbeiführt.