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StaRUG: Sanierung mit Seltenheitswert

Zwei Jahre lang wurde das 2021 eingeführte vorinsolvenzliche Sanierungsverfahren StaRUG kaum genutzt. Nun hoffen Restrukturierer mit Leoni auf einen Leuchtturmfall.

StaRUG: Sanierung mit Seltenheitswert

Restrukturierung

Sanierung mit Seltenheitswert

Zwei Jahre lang wurde das 2021 eingeführte vorinsolvenzliche Sanierungsverfahren StaRUG kaum genutzt. Nun hoffen Restrukturierer mit Leoni auf einen Leuchtturmfall.

Von Sabine Reifenberger

Als „einzige verbleibende Sanierungslösung“ bezeichnet der Autozulieferer Leoni ein Sanierungsverfahren, das bislang in Deutschland an der breiten Masse weitgehend vorbeigerauscht ist. Im Zuge einer vorinsolvenzlichen Sanierung nach dem StaRUG-Verfahren soll das Unternehmen um 708 Mill. Euro entschuldet und mit 150 Mill. Euro frischer Liquidität ausgestattet werden. Nach der Restrukturierung wäre den Plänen zufolge der österreichische Unternehmer und Großaktionär Stefan Pierer Alleingesellschafter, die bisherigen Aktionäre gingen leer aus.

Mit diesem radikalen Schritt rückt ein Sanierungsverfahren in den Fokus, das bislang ein Nischendasein fristete. Das zum Jahresstart 2021 eingeführte StaRUG (Gesetz über den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen für Unternehmen) ermöglicht Restrukturierungen vor der Insolvenzreife für Unternehmen, die drohend zahlungsunfähig sind. Die Besonderheit: Es gibt Mehrheitsentscheidungen. Einzelne Gläubiger oder Gläubigergruppen können eine Sanierung damit nicht blockieren. Zwar können Unternehmen sich auch ohne StaRUG-Verfahren in bilateralen Gesprächen mit ihren Gläubigern einigen, das Verfahren bietet allerdings eine höhere Rechtssicherheit.

Das StaRUG soll dazu beitragen, durch eine frühzeitige Sanierung eine Insolvenz – und damit den Verlust von Arbeitsplätzen und Werten – zu verhindern. Um diesen gesamtwirtschaftlichen Auftrag zu erfüllen, müsste die Zahl der Nutzungen allerdings noch spürbar steigen. Die Restrukturierer-Branche hofft nun auf die Zugkraft von Leoni.

Dass das StaRUG ein wenig Publicity gut gebrauchen kann, zeigt der Blick auf die Zahlen: Eine Umfrage der Fachpublikation „INDat Report“ in Zusammenarbeit mit dem Rheinland-pfälzischen Zentrum für Insolvenzrecht und Sanierungspraxis (Zefis) unter den 24 Restrukturierungsgerichten in Deutschland hat ergeben, dass es 2022 bundesweit gerade einmal 27 StaRUG-Restrukturierungsvorhaben gab. Im ersten StaRUG-Jahr 2021 wurden 22 Vorhaben gezählt.

“Das StaRUG ist in der deutschen Rechtsgeschichte eine Ausnahme.“

Sylvia Fiebig, White & Case

Geht das mühsam eingeführte StaRUG am Markt vorbei? Sylvia Fiebig, Partnerin im Bereich Restrukturierung und Insolvenz bei White & Case in Hamburg, glaubt dies nicht. Sie sieht einen Grund für die langsame Akzeptanz in einer rechtsgeschichtlichen Besonderheit: „Das StaRUG ist ein Verfahren, das nicht auf einem bereits existenten aufsetzt, sondern völlig neu entwickelt wurde. Damit ist es in der deutschen Rechtsgeschichte eine Ausnahme“, erklärt die Juristin. Um sich zu etablieren, braucht es ihrer Einschätzung nach prominente Vorreiter, an deren Beispiel sich dann weitere Nutzer orientieren können.

Fokus auf Finanzierung

Es gilt allerdings auch: Nicht für jede Form der Restrukturierung ist das StaRUG geeignet. Das finale Gesetz wurde im Vergleich zum Referentenentwurf – auch auf Druck einflussreicher Lobbyverbände – noch einmal deutlich verändert. Darin fehlt beispielsweise die zuvor angedachte Möglichkeit, langlaufende Verträge in einem StaRUG-Verfahren einfacher zu beenden. Dieser Punkt soll besonders der Automotive-Branche aufgestoßen sein. Tiefgreifende operative Einschnitte sind mit dem StaRUG schwierig, es ist in erster Linie ein Instrument für finanzielle Restrukturierungen. Fiebig findet das auch völlig in Ordnung so: „Ein insolvenzrechtliches Verfahren bietet mehr Eingriffsmöglichkeiten, die Nutzung ist deshalb aber auch an härtere Voraussetzungen geknüpft.“

Der wohl stärkste Mechanismus des StaRUG ist die Nutzung von Mehrheitsentscheidungen – zum Leidwesen der Leoni-Aktionäre. Da diese in dem Konzept leer ausgehen, hält der Zulieferer es für „nicht überwiegend wahrscheinlich“, dass die Maßnahmen die erforderliche Zustimmung der Hauptversammlung erhalten. Das StaRUG bietet aber die Möglichkeit, diesen erwarteten Widerstand zu umgehen. Dass die Altaktionäre dadurch „ausgegrenzt“ werden, findet die Deutsche Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW) nicht akzeptabel. Dies offenbare einen „Webfehler“ des StaRUG, findet DSW-Hauptgeschäftsführer Marc Tüngler.

Experten nennen die Regelung für mehrheitliche Entscheidungen „Cross-Class Cram-down“: Für das Verfahren werden die vom Sanierungsplan betroffenen Gläubiger in Gruppen eingeteilt, jede Gruppe stimmt dann über den Restrukturierungsplan ab.

„Gerade bei den ersten Anwendungsfällen gibt es noch wenig Orientierung.”

Steffen Reusch, BDO Restructuring

Für eine Annahme müssen in jeder Gruppe 75% der Stimmrechte auf „Ja“ entfallen. Wird in einer Gruppe die erforderliche Mehrheit nicht erreicht, kann der Plan dennoch umgesetzt werden, sofern bestimmte Bedingungen erfüllt sind. So darf die Gläubigergruppe beispielsweise nicht schlechter gestellt werden als in einem Szenario ohne Restrukturierungsplan. Wäre die Alternative etwa eine Insolvenz, würden Aktionäre auch in diesem Szenario leer ausgehen und wären damit nicht schlechter gestellt. Solche Szenarien zeigen: Ein StaRUG-Restrukturierungsplan bedarf intensiver Vorbereitung. „Das StaRUG ist komplex, und gerade bei den ersten Anwendungsfällen gibt es noch wenig Orientierung. Man muss sich deshalb viele Gedanken um formale Abläufe machen“, sagt Steffen Reusch, Geschäftsführer bei BDO Restructuring. Dies ist aus seiner Sicht auch ein Grund für die noch zurückhaltende Nutzung.

Als Alternative greifen manche Unternehmen lieber zu einer anderen Variante: Der Wohnimmobilienkonzern Adler hatte beispielsweise über eine präventive Sanierung nach dem StaRUG nachgedacht, ging dann aber doch lieber nach England. Dies begründete das Unternehmen mit der höheren Transaktionssicherheit. Das britische „Scheme of Arrangement“ beispielsweise ist seit Jahren etabliert und deutlich bekannter als das deutsche StaRUG, auch wenn die Verfahren sich letztlich ähneln. Die größere Erfahrung mit dem Verfahren erhöht die Planbarkeit und macht das Scheme aus Sicht mancher Vorstände dadurch attraktiver als das weniger etablierte StaRUG.

Zu den Anwendern des StaRUG zählten bislang vorwiegend mittelständische Unternehmen, berichten Restrukturierer. In diesen Fällen gehen die Eigentümer das „Wagnis“ eines neuen Verfahrens ein.

Abseits der Öffentlichkeit

Dass das StaRUG-Verfahren wenig bekannt ist, liegt allerdings auch an einem Effekt, der von vornherein beabsichtigt war: Die Öffentlichkeit muss von einem StaRUG-Verfahren nichts mitbekommen, wenn der Schuldner das Verfahren nicht selbst bekannt macht. Bei Leoni war dies wegen des Kapitalmarktbezugs unvermeidbar. Der einzige größere Anwender vor Leoni, der Hemdenhersteller Eterna, machte seine StaRUG-Sanierung öffentlich, weil Anleihegläubiger betroffen waren. Der Großteil der bislang ohnehin überschaubaren Fälle findet dagegen im Verborgenen statt – und eine Vielzahl weiterer möglicher Verfahren wird sogar nur in der Theorie durchgespielt.

Banker und Restrukturierer berichten davon, dass das StaRUG seine Wirkung oft als Drohkulisse entfaltet. Wer im Gespräch mit renitenten Gläubigern die Aussicht auf eine StaRUG-Sanierung mitsamt Restrukturierungsplan und mehrheitlichem Abstimmungsverfahren eröffnet, kann den Einigungswillen deutlich erhöhen. Das Verfahren wirkt dann indirekt, obwohl es gar nicht zur Anwendung kommt.

Noch in der Nische

Gedacht war es so freilich nicht. Und auch wenn in diesen Fällen die Restrukturierungspläne in aller Regel schon fertig ausgearbeitet in der Schublade liegen und die Beraterlandschaft nicht gänzlich ohne Geschäft bleibt – als Betätigungsfeld ist die vorinsolvenzliche Sanierungsberatung nach wie vor ein kleiner Bereich. Zumal auch Insolvenzverwalter das Gebiet für sich mit beanspruchen. „Häufig tendiert man aus Reflex zu den Verfahren, die man kennt. Das ist dann vielleicht eine Insolvenz in Eigenverwaltung, auch wenn diese gar nicht erforderlich wäre“, sagt Reusch. Er sieht auch die eigene Zunft in der Pflicht: „Berater müssen das StaRUG als Option, bei der eher betriebswirtschaftliche als insolvenzrechtliche Aspekte im Vordergrund stehen, noch stärker präsent haben.“

Juristin Fiebig gibt zu bedenken, dass auch andere Sanierungsverfahren sich erst nach und nach etabliert haben. „Die Eigenverwaltung zählt heute zu den Standardinstrumentarien, aber in den ersten Jahren nach der Einführung hatten die Verfahren ebenfalls noch Seltenheitswert“, erinnert sie sich. Beim StaRUG setzt sie auf eine ähnliche Entwicklung. Neben dem Faktor Zeit könnte noch ein weiterer Grund die stärkere Nutzung forcieren: In Deutschland gab es in den vergangenen Jahren historisch niedrige Insolvenzzahlen, und auch für ein vorinsolvenzliches Instrument wie das StaRUG gab es vergleichsweise wenig Bedarf. Dank staatlicher Hilfen konnten viele angeschlagene Unternehmen sich auch ohne finanzielle Restrukturierung über Wasser halten, die Liquidität war durch Zuschüsse oder Notfinanzierungen gesichert. Doch die Hilfen sind endlich: „Der 30. Juni dieses Jahres ist in einer ganzen Reihe an Verträgen als der Stichtag festgelegt, an dem Hilfen zurückgezahlt oder refinanziert werden müssen. Wenn dies nicht gelingt, rückt eine finanzielle Restrukturierung zwangsläufig auf die Agenda“, sagt Restrukturierer Reusch. Man muss kein Prophet sein, um darauf zu setzen, dass 2023 ein neues Rekordjahr für StaRUG-Anwendungen werden dürfte. Mit 27 Fällen im Vorjahr liegt die Benchmark allerdings auch denkbar niedrig.

Zwei Jahre lang wurde das 2021 eingeführte vorinsolvenzliche Sanierungsverfahren StaRUG kaum genutzt. Nun hoffen Restrukturierer mit Leoni auf einen Leuchtturmfall.

Leoni und Eterna sind bislang die prominentesten StaRUG-Nutzer.