Testing Times
Ein Gutes hat die aktuelle Schnelltest-Knappheit in Großbritannien ja: Urlauber können die auf Kosten der Allgemeinheit verteilten Diagnostikprodukte nicht mehr schachtelweise in den Koffer packen, um nach Après-Ski oder Beach Party prüfen zu können, ob sie sich schon das Coronavirus geholt haben. Schon vor dem Auftreten der neuesten Sars-CoV-2-Variante war so ein Verhalten durchaus üblich. Gibt es etwas umsonst, kennt die Nachfrage keine Grenzen. Für weniger als ein Siebtel der von NHS Track & Trace unter die Leute gebrachten Tests wurden die Ergebnisse von den Empfängern gemeldet – nicht gerade ein Erfolgsmodell in Sachen Volksgesundheit. Bislang konnten sich die Briten dennoch rühmen, dass bei ihnen weit mehr getestet wird als in Deutschland oder Frankreich. Seit Beginn der Pandemie wurden dem Rechnungshof zufolge mehr als 690 Millionen Tests ausgegeben. Lange Zeit konnte man sich in jeder Apotheke eine Schachtel mit sieben Tests gratis mitnehmen, ohne seinen Namen anzugeben. Später musste man sich einen QR-Code herunterladen, um noch an Schnelltests zu kommen. Über die Feiertage gingen vielerorts die Lagerbestände aus, was auch daran gelegen haben mag, dass die mit dem Vertrieb an die Apotheken beauftragte Alliance Health nach Erhalt von 2,5 Millionen Tests eine mehrtägige Weihnachtspause für nötig hielt.
Interessant ist die Herkunft der Tests. Lediglich eine britische Firma, Surescreen Diagnostics aus Derby, hat es in die Riege der Zulieferer des öffentlichen Gesundheitssystems geschafft. Die am Londoner Wachstumssegment AIM notierte Omega Diagnostics und Global Access Diagnostics (Mologic) scheiterten einem Bericht der „Sunday Times“ zufolge an den Anforderungen der Regulierer. Sieht man sich die Produkte eines der größten NHS-Zulieferer an, Zhejiang Orient Gene Biotech (Orient Gene) aus der Volksrepublik China, könnte man allerdings den Eindruck gewinnen, dass die Standards nicht allzu hoch sind. Der Vergleich zweier Schachteln zeigt: Einmal sind die Bestandteile jedes Tests ordentlich in kleine Tütchen gepackt. Im anderen Karton muss man sie sich selbst zusammensuchen. Die Vermutung liegt nahe, dass die Produktion in staatlich subventionierter Handarbeit erfolgt. In beiden Kartons sind die Spenderkappen der Röhrchen, in denen sich der Extraktionspuffer befindet, durch eine feste weiße Substanz verstopft, die sich nicht entfernen lässt. Wer sie dennoch benutzen will, muss die Spenderkappe abnehmen, um die Probe auf den Teststreifen aufzutragen. Tut man das nicht, springt sie ab und man verspritzt die Pufferlösung. Da ist schon fragwürdig, wenn die für die Auftragsvergabe Verantwortlichen argumentieren, dass Orient Gene und die ebenfalls chinesische Acon Biotech (Flowflex) mehr Erfahrung damit hätten, Tests in großen Mengen herzustellen. Beim Flowflex-Produkt fällt vor allem die Dicke der Tupfer auf, die man sich nur ungern in die Nase steckt. In diesem Zusammenhang sei daran erinnert, dass die britische Aufsicht auch dann noch auf die Tests der Innova Medical Group setzte, die im Reich der Mitte gefertigt wurden, als die US-Aufsicht FDA empfahl, sie lieber wegzuwerfen.
Vielleicht geht es ja um den Preis. Die Gesundheitsbehörde NHS ist schließlich dafür berüchtigt, dass sie ziemlich klare Vorstellungen davon hat, wie viel Geld ein zusätzliches Lebensjahr die Öffentlichkeit kosten darf. Man darf davon ausgehen, dass die Gesundheitsbürokratie keinen Penny zu viel für schnöde Sars-CoV-2-Tests bezahlen wollte. An und für sich ist das nicht verwerflich, schließlich handelt es sich um öffentliche Mittel. Doch der mit Blick auf die fortschreitende Deglobalisierung sinnvolle Aufbau einer eigenen Produktion wird auf diese Weise erschwert. Stattdessen werden Milliarden in die Volksrepublik überwiesen. Diagnostik ist ein gutes Geschäft. Man sollte es nicht anderen überlassen. Das gilt auch dann, wenn sich Omikron als nicht gefährlicher als eine fiebrige Erkältung erweisen sollte.
Aber das löst das aktuelle Knappheitsproblem nicht. Gut, dass viele Schulen schon vor den Weihnachtsferien allen Schülern Tests mitgegeben haben, um den Unterrichtsbeginn im neuen Jahr möglichst problemlos zu gestalten. Dumm nur, wenn man sie nach Val d’Isère oder Acapulco mitgenommen hat, statt sie für ihren eigentlichen Zweck zu nutzen.