Übers Ziele hinaus
Es ist ein gewohntes Bild: Wenn der Staat großzügig öffentliche Gelder für Industrievorhaben zu Verfügung stellt, stehen die Unternehmen Schlange. So auch im Fall der Chipindustrie, die seit Monaten wegen der weltweiten Knappheit an Halbleitern für Schlagzeilen sorgt. Die Führung des taiwanesischen Auftragsfertigers TSMC erwägt den Bau einer Fabrik in Deutschland. Intel, die Nummer 1 der Branche, plant gleich mehrere neue Standorte in der EU. Pat Gelsinger, der CEO des US-Konzerns, bevorzugt laut Medienberichten dabei ebenfalls die größte Volkswirtschaft der Gemeinschaft.
Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier und EU-Binnenmarktkommissar Thierry Breton dürften sich angesichts der Nachfrage dieser hochkarätigen Adressen geschmeichelt fühlen, stößt doch ihre Initiative zur Stärkung der westeuropäischen Chipindustrie offensichtlich auf Anklang. Wer mit Subventionen im Milliardenumfang wirbt, sollte sich aber nicht wundern, wenn auch Unternehmen aus Drittstaaten angelockt werden, die man vermutlich nicht als Kernzielgruppe öffentlicher Mittel auf dem Radar hat.
Nun nutzen TSMC und Intel den vermeintlichen Handlungsbedarf von Spitzenpolitikern in dem Alten Kontinent aus, um sich einen Teil des großen Kuchens zu sichern: Der Bau neuer Werke gegen die Zusage, dass sich der Staat an den Investitionen mit hohen Anteilen beteiligt. Ein Kampf um die Subventionstöpfe in Europa für die Chipbranche ist entbrannt.
Die Industriepolitik nach Altmaiers und Bretons Couleur hat ihre Schattenseiten. Ungeachtet des Risikos von Fehlanreizen, wenn es generell um die Verteilung von Staatsgeldern geht, birgt das Timing darüber hinaus die Gefahr, dass man in Berlin und Brüssel weit über das Ziel hinausschießt. Angesichts der derzeitigen Mangelware Chips wird der Öffentlichkeit suggeriert, dass mit dem Bau neuer Fertigungsstätten in Europa der Missstand rasch beseitigt werden könnte, statt dies den freien Marktkräften zu überlassen.
Das ist ein Trugschluss. Denn die Planung und Errichtung neuer Standorte dauert mindestens drei Jahre. Kenner erwarten, dass die Lieferengpässe 2022 weitgehend beseitigt sind. Mit anderen Worten, es wird der Aufbau von Kapazitäten gefördert, die später gar nicht mehr benötigt werden. Gigantische Überkapazitäten im schwankungsanfälligen Chipgeschäft sorgen für einen schädlichen Schweinezyklus. Ein Abschwung droht. Das Nachsehen hätte nicht nur die dafür verantwortliche Politik, sondern vor allem der Halbleitersektor selbst.
(Börsen-Zeitung,