Unsichtbare und Abwesende
Notiert in Moskau
Unsichtbare und Abwesende
Von Eduard Steiner
Wie in den vergangenen Jahren traf sich Russlands Präsident Wladimir Putin auch diesen Dezember – an diesem Montag – wieder mit den Top-Vertretern der russischen Wirtschaft. Er gratulierte ihnen zu den Ergebnissen im ablaufenden Jahr und formulierte Aufgaben für 2025. Das Ritual ist üblich. Und doch gab es einen kleinen und feinen Unterschied zu früher. Der Pressedienst des Kremls veröffentlicht die Teilnehmerliste nämlich nicht mehr. Und auch die russischen Fernsehkanäle zeigen im Unterschied zu früher die Gesichter der Anwesenden nicht. Damit sie auf den Kameras erst gar nicht sichtbar wurden, wurden sie nicht mehr an einem runden Tisch platziert, sondern Putin gegenüber hingesetzt. Die Kameras nahmen die Anwesenden aus großer Entfernung vom Rücken her auf. Quasi „inkognito“, wie es die Zeitung „Moskowskij Komsomolez“ formulierte. Der Kreml sah sich zu diesem Vorgehen gezwungen, weil der Westen die Teilnehmerlisten an derartigen Veranstaltungen zur Verhängung von Sanktionen gegen die betreffenden Personen und ihre Unternehmen verwendet hatte.
Parlamentarier anscheinend in die VAE entschwunden
Eine andere Form der Unsichtbarkeit beschäftigt indes gerade die Staatsduma, also das Parlament, das seinem früheren Vorsitzenden Boris Gryslow zufolge bekanntlich „kein Ort für Diskussionen“ ist. Für zumindest interne Diskussionen sorgt aber der Abgeordnete Jurij Napso von der nationalistischen, sogenannten liberal-demokratischen Partei. Der Mann nämlich ist seit zwei Jahren nicht mehr auf Sitzungen erschienen, weshalb Parlamentsvorsitzender Vjatscheslav Volodin sich veranlasst sah, die Frage nach einem Verbleib aufzuwerfen. Napso selbst wiederum sah sich veranlasst, Krankenbescheinigungen zu schicken. Danach muss er sich einer medizinischen Behandlung in den Vereinigten Arabischen Emiraten unterziehen.
Volodin hegt Zweifel und will überprüfen, ob er wirklich eine Behandlung just in den Emiraten braucht. Nach einem Monat Abwesenheit könne einem Mandanten nämlich das Mandat entzogen werden. Darüber wunderte sich wiederum Napso selbst. „Ich kümmere mich um meine Gesundheit“, ließ er wissen. Und schon vor einem Jahr wehrte er sich gegen den Vorwurf, dass er sich vor dem Parlament drücke. Er habe ehrenwerte Gründe für seine Abwesenheit: Um eine Behandlung nicht auf Budgetkosten durchzuführen, befinde er sich in einer Privatklinik.
Solche Dinge beschäftigen das russische Parlament. Als es noch eine Spur freier war, also vor mindestens zehn Jahren, gab es auch schon Aufregungen darüber, dass Abgeordnete mit Abwesenheiten sehr großzügig umgingen. Unter anderem Alina Kabajewa, wie Abgeordnete erzählten, die ehemalige Weltmeisterin in rhythmischer Sportgymnastik und Medienberichten zufolge Partnerin von Wladimir Putin, mit dem sie auch Kinder haben soll. Auf die Frage, warum denn nicht auch sie disziplinierter anwesend sein müsse, bekamen die Abgeordneten vom Parlamentschef keinerlei Antwort.