US-Schuldengrenze

USA steuern auf Staatsbankrott zu

Der Streit über die gesetzliche Schuldengrenze in den USA eskaliert, und ohne eine Erhöhung oder Aufhebung des Limits droht eine Staatspleite. Früher oder später müssen Demokraten und Republikaner Farbe bekennen.

USA steuern auf Staatsbankrott zu

Es ist eine Situation, die sich kein Ökonom ausmalen möchte: Die USA bedienen ihre Schulden nicht mehr, erklären den Staatsbankrott und stürzen die Finanzmärkte in Chaos und die Weltwirtschaft in die nächste Rezession. Das Horrorszenario ist aber in greifbare Nähe gerückt. Falls der US-Kongress nicht einer An­hebung der gesetzlichen Schuldengrenze zustimmt – diese wurde am 19. Januar erreicht – oder diese beseitigt, dann steht im Sommer die erste US-Staatspleite in der Ge­schichte bevor.

Laut Finanzministerium hat der US-Kongress bisher 78-mal das Schuldenlimit angehoben, und nur in den seltensten Fällen nehmen die Medien und die breite Öffentlichkeit von der einfachen Abstimmung überhaupt Notiz. Anders aber in diesem Jahr, wie auch in vielen anderen, in denen Republikaner mindestens eine Kongresskammer be­herrschten. Sie bestehen auf einschneidenden Sparmaßnahmen, selbst Kürzungen bei gesetzlich vorgeschriebenen Ausgabenprogrammen, und drohen andernfalls, ihre Zustimmung zu verweigern.

In einem solchen Fall warnt Finanzministerin Janet Yellen vor „irreparablem Schaden“, und zwar sowohl für das Finanzsystem als auch die Gesamtwirtschaft. Zwar ist es möglich, dass die Parlamentarier die höhere Schuldengrenze noch vor der ultimativen Deadline absegnen werden. Diese hat Yellen auf den 5. Juni geschätzt, während die Haushaltsbehörde Congressional Budget Office (CBO) meint, dass der Kongress noch mindestens bis Juli und eventuell sogar September Zeit hat.

Übergangsfinanzierung

Bis dahin werden „außerordentliche Maßnahmen“, auf die Yellen seit Mitte Januar zurückgreift, ausgeschöpft sein. In der Zwischenzeit wird aber die ständig wiederkehrende Debatte über das Schuldenlimit Marktteilnehmern fast täglich in Erinnerung rufen, dass die USA seit Jahrzehnten außerstande sind, ihre Staatsfinanzen ins Lot zu bringen. Der daraus resultierende Vertrauensverlust in die politische Funktionalität und Stabilität des Finanzsystems wird für sich genommen schädlich genug sein.

Die Ironie der Debatte ist darin zu sehen, dass der Kongress vor mehr als einem Jahrhundert den sogenannten „Second Liberty Bond Act“ – faktisch das erste Schuldenlimit – nicht verabschiedete, um dem Fiskus die Hände zu binden. Ganz im Gegenteil: Der Sinn des Gesetzes aus dem Jahr 1917 war es, während des Ersten Weltkriegs die Finanzierung des militärischen Engagements in Europa zu erleichtern. Damit der Staat die Flexibilität haben würde, um Truppeneinsätze und Waffen zu finanzieren, wurden großzügige Budgets gebilligt, auf die Präsident Woodrow Wilson zurückgreifen konnte, ohne jedes Mal vorher vom Kongress grünes Licht bekommen zu müssen. Das Gesetz wurde dann während des Zweiten Weltkriegs durch die formale Einführung einer großzügig angesetzten Schuldengrenze ersetzt.

Zwar kam es 1953 erstmals zu einem Patt zwischen dem Weißen Haus und dem Kongress. Damals wurde Präsident Dwight D. Eisenhower gezwungen, Sparmaßnahmen anzuordnen und Barreserven des Finanzministeriums sowie Goldbestände zu verkaufen, um einen Staatsbankrott zu verhindern. Zu einem Politikum eskalierte die Debatte über die Schuldengrenze aber erst in den 1990er Jahren. Zweimal – 1995 und 1996 – führte sie zu einem „Shutdown“, also einem Stillstand des staatlichen Verwaltungsapparats.

In eine tiefe Krise – und genau davor fürchten sich heute sowohl Demokraten als auch Republikaner – mündete der Konflikt aber erst im Jahr 2011. Republikaner im Senat und Repräsentantenhaus forderten als Gegenleistung für ein höheres Limit ein verbindliches Bekenntnis der Obama-Regierung zum Defizitabbau. Das politische Gerangel be­herrschte lange Zeit die Schlagzeilen. Zwar setzte der Kongress schließlich Anfang August die Schuldengrenze auf 16,4 Bill. Dollar hoch und beschloss befristete Zwangseinsparungen. Doch der Vertrauensverlust war so immens, dass die Ratingagentur Standard & Poor’s zum ersten Mal die Bonität von US-Staatsanleihen herunterstufte.

Politisches Tauziehen

In den darauffolgenden Jahren zeichneten sich weitere Krisen ab, die aber durch Einigungen in letzter Sekunde noch abgewendet werden konnten. Doch seitdem die Republikaner im November die Mehrheit im Repräsentantenhaus zurückerobern konnten, sind die Karten neu ge­mischt. Als ihr Parteifreund Donald Trump Präsident war, schraubten sie ohne mit der Wimper zu zucken das Limit dreimal hoch – und das, obwohl der Schuldenberg aufgrund der von Trump durchgesetzten Steuersenkungen stark gewachsen war. Nun aber, wo der Präsident Joe Biden heißt, nehmen sie wie auch in der Vergangenheit die „verschwenderische Ausgabenpolitik der linksliberalen Demokraten“ unter Beschuss.

Konkret heißt dies, dass sie unter der Ägide von Kevin McCarthy, dem neuen Mehrheitschef im Repräsentantenhaus, Defizitabbau fordern und selbst bei Ausgabenprogrammen, die gesetzlich vorgeschrieben sind, Kürzungen durchsetzen wollen. Zur Debatte stehen Streichungen bei den Krankenversorgungsprogrammen Medicare und Medicaid. Bei der gesetzlichen Rentenversicherung fordern einige Republikaner, dass deren Leistungen auf fünf Jahre befristet sein sollten und ohne ein neues Gesetz auslaufen würden.

Davon wiederum wollen Biden und Yellen nichts wissen. Zwar geben sich beide Seiten zumindest bis jetzt unnachgiebig. Seitdem das Limit von derzeit 31,4 Bill. Dollar am 19. Januar erreicht wurde, greift Yellen auf „außerordentliche Maßnahmen“ zurück. Zur Wahl steht ihr, Reinvestitionen von fälligen Staatsanleihen zu suspendieren sowie entweder Einzahlungen in die Rentenkassen bestimmter Gruppen von Bundes­bediensteten oder Beiträge an den Wechselkurs-Stabilisierungsfonds auszusetzen. Diese werden aber dem Finanzministerium zufolge am 5. Juni aufgebraucht sein, laut CBO hingegen zwischen Juli und September. Ohne ein Haushaltsgesetz wären die USA dann außerstande, ihren Zahlungsverpflichtungen nachzukommen.

Wie könnte also der Staat reagieren, wenn bis zum „Tag X“ kein höheres Limit in Gesetzesform gegossen ist? Für einen allfälligen Plan B hatte 2011 Finanzminister Timothy Geithner die Weichen gestellt. So würde der Fiskus weiterhin Zinsen zahlen, bei Fälligkeit von Staatsanleihen die Restschuld begleichen und diese durch die zeitgleiche Ausgabe neuer Obligationen finanzieren. Damit wäre sichergestellt, dass der Schuldenstand unverändert bleibt.

Leidtragende wären dann andere Gläubiger des Staats, beispielsweise Bundesbedienstete mit Ansprüchen auf ihre Gehälter, Empfänger von ge­setzlichen Rentenzahlungen, Krankenhäuser und Ärzte, die mit der staatlichen Krankenversorgung Medicare zusammenarbeiten und auch private Unternehmen, die auf ihre Einnahmen aus Staatsaufträgen angewiesen sind. Ein „Shutdown“, also ein Stillstand des öffentlichen Verwaltungsapparats, und zivile Klagen, die anspruchsberechtigte Vertragspartner einreichen würden, wären also das unmittelbare Ergebnis. Diese dürften aber gegen die Folgen für die Finanzmärkte und die Wirtschaft, die der Vertrauensverlust auslöst, verblassen.

Griff in die Trickkiste

Theoretisch könnte Yellen noch tiefer in die Trickkiste greifen, das Schuldenlimit schlichtweg ignorieren und sich auf die 14. Verfassungsänderung (Amendment) berufen. Diese besagt, dass die Zahlungsfähigkeit des Staates nie in Frage gestellt werden darf. Das aber würde sich nicht eignen, um die Märkte zu beruhigen, da Investoren einen Beweis für das Unvermögen sehen würden, mit den Republikanern einen Kompromiss zu schließen und zu sparen. Wahrscheinlich ist daher eine Einigung in letzter Minute, womöglich erst im Mai oder Juni. Dass sie sich Kürzungen bei der gesetzlichen Rentenversicherung oder Krankenversorgung in Wirklichkeit gar nicht leisten können, da sie damit Millionen von Wählern verlieren würden, wissen die Republikaner sehr wohl.

Ein Kompromiss dürfte daher ähnlich aussehen wie anno 2011: befristete Zwangseinsparungen bei diskretionären Ausgabenprogrammen, die also nicht gesetzlich vorgeschrieben sind. Damit würden beide Seiten das Gesicht wahren und könnten zumindest einen kleinen Fortschritt in Richtung Defizitabbau erzielen. Ungelöst bliebe aber das längerfristige Problem eines US-Staats, der schon seit Jahrzehnten weit über seine Verhältnisse lebt.

Von Peter De Thier, Washington