Lieferkettenprobleme

Versorgungseng­pässe bedrohen US-Aufschwung

Die weltweiten Lieferkettenprobleme sorgen für teils leere Regale in US-Supermärkten. Das trifft unmittelbar die Verbraucher, die für einen großen Teil der Wirtschaftsleistung in den USA verantwortlich sind. Der Aufschwung nach der Krise ist in Gefahr.

Versorgungseng­pässe bedrohen US-Aufschwung

Von Peter De Thier, Washington

Bereits in wenigen Wochen könnte die US-Notenbank mit der Drosselung ihrer Anleihekäufe das Ende jener ultralockeren Geldpolitik einläuten, die seit dem Ausbruch der Coronapandemie im März vergangenen Jahres Bestand hat. Hohe Inflation, robustes Wachstum und die Erholung am Arbeitsmarkt würden den Schwenk in der Geldpolitik rechtfertigen, argumentiert Fed-Chef Jerome Powell. Einige Ökonomen meinen aber, dass die Fed Konjunkturrisiken, die sich in den kommenden Monaten weiter zuspitzen könnten, unterschätzt. So etwa die Folgen der Unterbrechungen in globalen Lieferketten und die daraus resultierenden Versorgungsengpässe, die auch die Verbraucher hart treffen. Deren Ausgaben machen immerhin 70% der Wirtschaftsleistung in den USA aus.

Zwar geschieht es selten, dass die Sorgen der Konsumenten einem Präsidenten als Anlass für eine Fernsehansprache dienen, um seine Landsleute zu beschwichtigen. Ende vergangener Woche war es aber zum ersten Mal seit der Finanzkrise wieder soweit. An der Pazifikküste standen Hunderte von Frachtschiffen im Stau – sie warten teilweise bis heute darauf, entladen zu werden. Befördert werden darin alle möglichen Importgüter, von Heimelektronik, Bekleidung und Möbeln bis hin zu Lebensmitteln.

Folglich kündigte Präsident Joe Biden an, dass die Hafenverwaltungen beider Städte, die zusammen 40% aller Container an der Westküste abfertigen, den Betrieb ununterbrochen fortsetzen würden, um die Auflösung des Staus zu beschleunigen. Neben der Hafenarbeitergewerkschaft erklärten auch Lieferdienste wie Federal Express und United Parcel Service (UPS), dass ihre Fahrer Überstunden machen würden. Zudem versprachen Branchengiganten im Einzelhandel, etwa Walmart, Costco und Target, ihre Unterstützung. Ein Allheilmittel könne er nicht versprechen, betonte Biden. Doch handele es sich um einen wichtigen Schritt, um sicherzustellen, dass leergefegte Ladenregale bald wieder mit Waren gefüllt würden.

Inzwischen, knapp eine Woche nach Bidens Ansprache, hat sich jedoch wenig geändert. Grund dafür ist, dass die Containerschiffe lediglich ein Glied in den immer komplexeren Lieferketten sind. So gesehen mag Bidens Initiative durchaus ein Start sein, eignet sich allein aber keineswegs, um die Versorgungsengpässe zu überwinden. Wie Kenny Vieth, Präsident des Beratungsunternehmens ACT Research, sagt, „fehlt es an den notwendigen Lagerhallen, an verfügbaren Fernfahrern und freien Kapazitäten im Schienennetz“.

Das alles trage zu den Engpässen bei, doch diese Lücken fänden in Bidens Plan keine Berücksichtigung. Rick Mihelic vom North American Council for Freight Efficiency geht noch weiter und kritisiert den Vorstoß gar als kontraproduktiv: „Gelöst ist damit gar nichts, im Gegenteil. Wenn Hafenarbeiter rund um die Uhr im Einsatz sind, führt dies lediglich dazu, dass das nächste Glied in der Lieferkette komplett überlastet sein wird.“

Die Folgen für zunehmend unruhige Einzelhändler und Verbraucher machen sich jetzt schon bemerkbar. „Knappheiten haben wir in fast allen Produktgruppen, und diese werden mit Blick auf das Weihnachtsgeschäft immer akuter werden“, klagt Linda Taylor, Inhaberin des Elektronikgeschäfts VK Electronics in Nebraska. Folglich gehören in vielen Regionen Hamsterkäufe bereits zur Tagesordnung. Insbesondere im Mittleren Westen, wo sich die vergleichsweise schlechte Anbindung an die Küsten und der Mangel an Lkw-Fahrern besonders bemerkbar machen.

Nicht zu unterschätzen sind auch die gesamtwirtschaftlichen Folgen. Neben der Delta-Variante des Coronavirus zählen nämlich die Versorgungsengpässe zu den größten Sorgen der Verbraucher und schlagen auch in den ökonomischen Indizes zu Buche. Der Index der Verbraucherstimmung der University of Michigan rutschte im Sommer weit ab und verharrt seit drei Monaten auf etwa demselben Stand wie unmittelbar nach Ausbruch der Pandemie. Dazu gesellt sich die Erwartung einer weiter steigenden Inflation (siehe Grafik), die viele Verbraucher veranlassen dürfte, auf nicht zwingend notwendige Konsumausgaben so lange zu verzichten, bis die Preise wieder sinken.

Dass die Inflation keineswegs vorübergehend sein wird, wie Powell dies unterstellt, meint auch eine wachsende Zahl von Experten. Der Nationalökonom Stephen Roach von der Yale Universität geht daher scharf mit der Fed ins Gericht. Viel zu lange habe diese an ihrer ultralockeren Geldpolitik festgehalten. „Bei den Störungen in Lieferketten sind wir nur eine Panne von der Stagflation der siebziger Jahre entfernt“, sagt Roach.

Das sinkende Verbrauchervertrauen drückt den Privatkonsum und somit auch das Wachstum, während die Preise aufgrund der Engpässe weiter steigen. Wäre die Notenbank zumindest früher und entschlossener gegen die hohe Teuerungsrate zu Feld gezogen, so Roach, hätten die Verbraucher zwar mit Knappheiten in einigen Produktgruppen zu kämpfen, doch die Unternehmen müssten sich weniger über den fortdauernden Kaufkraftverlust den Kopf zerbrechen, der seit über einem Dreivierteljahr zu beobachten ist. Zweifellos ein schwieriges Dilemma für die Währungshüter in Washington, aber auch für die Konsumenten, deren Ausgaben in den USA einen deutlich größeren Teil des Bruttoinlandsprodukts (BIP) ausmachen als in jedem anderen G7-Staat sowie der EU.

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