Leitartikel Chinas Geldpolitik

Verstohlener Griff in den Taubenschlag

China verspricht eine flottere Konjunkturanregung für 2025 mit neu formulierter Geldpolitik. Der Botschaft mag man nicht recht über den Weg trauen.

Verstohlener Griff in den Taubenschlag

China

Griff in den Taubenschlag

China verspricht flottere Konjunkturanregung für 2025. Der Botschaft mag man nicht recht über den Weg trauen.

Von Norbert Hellmann

Erklärungen der chinesischen Führungsspitze zu Wirtschaftsplanung und Konjunktursteuerung sind von einem rigiden Formalismus geprägt, der sich über Jahrzehnte hinweg kaum geändert hat. Für Marktbeobachter heißt das, besonders genau hinzusehen, wenn sich in einem Passus zur geld- oder fiskalpolitischen Ausrichtung auch nur ein Wörtchen ändert. Die jüngsten Pekinger Verlautbarungen im direkten Vorfeld und Nachgang zur jährlichen Dezember-Wirtschaftsplanungskonferenz haben in dieser Hinsicht einiges zu bieten. Die Märkte zeigen sich aber dennoch enttäuscht.

Signal kommt nicht an

Der Staat will auf seine Art besonders offensive Stimulierungsmaßnahmen im kommenden Jahr signalisieren, bekommt die Botschaft jedoch nicht herübergebracht. Das bedeutet wohl, dass bis zum Volkskongress im März, wenn das Wachstumsziel und die Budgetvorgaben festgeschrieben werden, weiterhin breite Skepsis zu den Konjunkturperspektiven das Marktsentiment prägt. Ein besonderer Hingucker ist die Geldpolitik, sprich die Aussicht auf erneut signifikante monetäre Lockerungsschritte. Sie hatten beim ersten größeren Rundumschlag Ende September eine gewaltige Hausse am brachliegenden Aktienmarkt gezündet. Seit Oktobermitte dümpelt er jedoch auf freilich höherem Niveau wieder vor sich hin.

Neuerdings „angemessen locker“

Eine zur Planungskonferenz hervorgebrachte neue verbale Weichenstellung für die Geldpolitik hat ihre Wirkung verfehlt, obwohl sie im Sprachduktus der Pekinger Führung als bahnbrechend wahrgenommen werden könnte. So wird die seit Jahren gängige Formulierung einer „vorsichtsbetonten“ monetären Linie nun in „angemessen locker“ umgewandelt. Im diesbezüglichen Themenkatalog der Zentralbank gibt es fünf Kategorien, nämlich „locker“, „angemessen locker“, „vorsichtsbetont“, „angemessen eng“ und „eng“.

Die Losung „locker“ ist bislang noch nie zur Anwendung gekommen. Die jetzt für 2025 geltende Nummer 2 auf der Skala war letztmalig von 2009 bis 2010 in Gebrauch, als China mit monumentalen Wirtschaftsstimuli auf die globale Finanzkrise reagierte, sich damit aber heftige Blasenbildung am Aktien- und Immobilienmarkt einfing. Gemäß geldpolitischem Jargon, der bildhaft zwischen Tauben und Falken unterscheidet, kann man nun vom Griff in den Taubenschlag sprechen. Parallel dazu hat sich Peking endlich dazu aufgerafft, die Anregung der Binnennachfrage und des Konsums in den Rang einer obersten konjunkturpolitischen Priorität zu erheben. Auch das ist schon sehr lange nicht mehr der Fall gewesen.

Implizites Eingeständnis?

Die neue Tonlage in Sachen Stimulierungsbereitschaft ist damit ungewöhnlich offensiv, aber nicht wirklich geeignet, Pessimismus zu verscheuchen. Zum einen, weil sie an den Märkten als implizites Eingeständnis dafür gewertet wird, dass die Wirtschaftslage verfahrener ist, als Peking dies bislang zugeben mochte. Dabei misstraut man den Fähigkeiten zur Konsumanregung. Zum anderen ist nicht ersichtlich, dass mit der versprochenen monetären Lockerung ein großer Unterschied gemacht werden kann.

Enger Zinsspielraum

Chinas Leitzinsgefüge befindet sich mit Werten von 1,5% für den 7-Tage-Repozins als kurzfristige Benchmark und 2% bei den einjährigen Geldern zur Bankenrefinanzierung bereits auf rekordtiefem Niveau. Die Rendite auf zehnjährige Regierungsanleihen fiel jetzt erstmals unter die Marke von 1,8%, was einen Rekordabstand zur Verzinsung von US-Staatsanleihen bedeutet. Der weitere Zinssenkungsspielraum wirkt im Abgleich mit Wechselkurssituation und Kapitalabwanderungsgefahren eher begrenzt.

Prellbock Deflation

Bei der Transmission der Zinsimpulse hin zur dringend benötigten Anregung der Kreditnachfrage stößt man auf ein gewaltiges Hindernis. Der hartnäckigen Deflationstendenz, über die Peking nie offen sprechen mag, ist kaum beizukommen. Das heißt aber auch, dass die für unternehmerische Kalküle entscheidenden Realzinsen noch immer ungewöhnlich hoch sind. Bislang gibt es kein überzeugendes Konzept zur Reflationierung der Wirtschaft. Daran vermag das Bekenntnis zur monetären Lockerungsstufe 2 nichts zu ändern.

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