KommentarGeldpolitik

Vielschichtige Gefahren für die Disinflation

Die Zinssenkung der EZB im Juni ist richtig, eine zweite direkt im Juli folgen zu lassen, wäre aber ein Fehler.

Vielschichtige Gefahren für die Disinflation

EZB

Vielschichtige Gefahren

Von Martin Pirkl

Ein weiterer Zinsschritt im Juli ist nicht angeraten: die Inflation ist hartnäckig und die Konjunktur erholt sich ohnehin

Die Europäische Zentralbank (EZB) lässt sich nicht wirklich in die Karten schauen, ob nach der historischen Zinssenkung im kommenden Monat direkt die zweite folgen wird. Notenbankpräsidentin Christine Lagarde lehnte jede Festlegung auf einen Kurs ab und wiederholte ihr Mantra, man werde datenabhängig von Sitzung zu Sitzung entscheiden. Doch immer weniger spricht dafür, dass eine zweite Zinssenkung direkt im Juli angebracht ist.

Das liegt nicht nur daran, dass die EZB selbst nicht mehr so zuversichtlich auf die Entwicklung der Inflation in diesem Jahr blickt. Die Prognosen für die Gesamtrate und die Kernteuerung als Gradmesser für den zugrundeliegenden Preisdruck hob sie an. Auch die jüngsten Wirtschaftsdaten waren eine Enttäuschung. Das Lohnwachstum ist kräftig und es ist alles andere als sicher, ob es sich im Jahresverlauf wirklich verlangsamt, wie von der Notenbank prognostiziert. Die Inflation im Mai war höher als erwartet. Das lag zwar auch an Sondereffekten, deutet aber dennoch an, dass der weitere Disinflationsprozess holprig wird. Dies räumt die EZB auch ein.

Kein Zeitdruck für die EZB

Dazu kommt noch, dass wenig Druck auf der EZB liegt, bei der Zinswende mit hohem Tempo vorzugehen. Die Konjunktur in der Eurozone erholt sich langsam. Das Wirtschaftswachstum dürfte im zweiten Jahresverlauf weiter anziehen – wenn auch auf eher niedrigem Niveau. Dementsprechend geht auch die EZB in ihrer neuen Prognose von mehr Wachstum in diesem Jahr aus. Eine besser laufende Wirtschaft erhöht nicht nur tendenziell den Preisdruck. Die EZB muss auch nicht mehr befürchten, dass ihre restriktive Geldpolitik die Euro-Wirtschaft in eine Rezession abrutschen lässt. Das aktuelle Zinsniveau führt auch nicht zu einem großen Anstieg der Arbeitslosigkeit, einer Kreditklemme oder gar einer Gefahr für die Finanzstabilität.

Die EZB hat also Zeit abzuwarten, bis sie sich sicherer sein kann, dass die Inflation 2025 wirklich auf den Zielwert fallen wird. Eine Zinssenkung im Juli wäre überstürzt und könnte dazu führen, dass die EZB am Ende noch einmal die Zinsen erhöhen muss. Ein Horrorszenario angesichts der wirtschaftlichen Kosten. Dieses muss und will die Notenbank unbedingt vermeiden.

War wegen der holprigen Disinflation die jetzige Zinssenkung bereits ein Fehler? Nein, denn der Weg zum Inflationsziel ist nicht mehr allzu lang. Und die Geldpolitik ist weiter deutlich restriktiv. Tatsächlich sind die Realzinsen aktuell höher als zum Zeitpunkt der letzten Zinserhöhung. Langsam und mit Bedacht den Grad der Restriktion zurückzufahren, ist daher richtig.


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