Im BlickfeldEU-Spitzenpersonalien

Von der Leyen im Stresstest

Einmal schon musste die EU-Kommissionschefin die Präsentation ihres Kollegiums verschieben. Nun wirft EU-Kommissar Breton hin und sorgt für weitere Turbulenzen auf dem Weg zur neuen EU-Kommission.

Von der Leyen im Stresstest

Von der Leyen im Stresstest

Einmal schon musste die EU-Kommissionschefin die Präsentation ihres Kollegiums verschieben. Nun wirft EU-Kommissar Breton hin und sorgt für weitere Turbulenzen auf dem Weg zur neuen EU-Kommission.

Von Detlef Fechtner, Brüssel, und Gesche Wüpper, Paris

Die Zusammenstellung des Kollegiums der EU-Kommissare ist die vornehmste Aufgabe der EU-Kommissionspräsidentin. Aber es kann auch ihre anstrengendste werden. Diese Erfahrung macht gerade Ursula von der Leyen. Als wäre es nicht schon schwer genug, die Zukunftsaufgaben Europas in 26 Dossiers zu unterteilen, um für jede dieser Zuständigkeiten einen geeigneten EU-Kommissar oder eine passende EU-Kommissarin zu finden, stößt die frühere deutsche Ministerin jetzt auf jede Menge zusätzlicher Anforderungen. Spätestens seit dem Paukenschlag vom Montag, als der französische EU-Kommissar Thierry Breton seinen sofortigen Rücktritt aus dem Kollegium publik machte, gerät die Formation der neuen EU-Kommission für von der Leyen zu einem veritablen Stresstest.

Aber der Reihe nach: Der Auswahlprozess begann schon in dem Moment schwierig zu werden, als nur wenige nationale Regierungen der eindringlichen Forderung der EU-Kommissionschefin nachkamen, zwei Kandidaten zu benennen, einen Mann und eine Frau. Ein Schelm, wer sich dabei denkt, dass die eine oder andere Regierung damit bewusst ein Zeichen setzen wollte, wer letztlich in Europa das Sagen hat: Brüssel oder die nationalen Hauptstädte. Die politischen Muskelspiele führten dazu, dass für die „EU-Kommission von der Leyen II“ zwischenzeitlich nur sieben Frauen (inklusive von der Leyen selbst) und 20 Männer vorgeschlagen waren. Erst durch Nachverhandlungen gelang es von der Leyen, diese Zahl zu erhöhen.

Ärger wegen „EU-Oberkommissar“

Neuer Ärger bahnte sich an, als sich Spekulationen verdichteten, von der Leyen könne Raffaele Fitto zum „exekutiven Vizepräsidenten“ küren, also zu einer Art EU-Oberkommissar. Fitto ist Europaminister in der Regierung der Rechtsaußen-Partei Fratelli d’Italia unter Giorgia Meloni. Einen Vertreter der „Brüder Italiens“ innerhalb des Kollegiums der EU-Kommissare als „exekutiven Vizepräsidenten“ herauszuheben kommt einer Provokation der Mitte-Links-Parteien gleich – und gefährdet deren Zustimmung zum Gesamtpaket.

Vorige Woche verursachten dann die Slowenen eine weitere Verzögerung, weil sie die Bestellung ihrer Kandidatin nicht so rasch über die Bühne brachten, wie es sich Brüssel erhofft hatte. Und nun hat Frankreich noch einmal Turbulenzen ausgelöst, so dass nicht klar ist, ob der (ohnehin bereits einmal vertagte) Termin der Bekanntmachung von Namen und Zuständigkeiten, nämlich der 17. September, eingehalten werden kann.

Bretons Paukenschlag

Der für Binnenmarkt zuständige EU-Kommissar Breton sorgte am Morgen nicht nur mit der Ankündigung seines umgehenden Rückzugs für einen Paukenschlag, sondern auch – und vor allem – mit der Begründung dieses Schrittes. Denn Breton ist erkennbar erzürnt darüber, dass von der Leyen nach seiner erneuten Nominierung durch die französische Regierung trotzdem weiter mit Paris über die Bestellung verhandelt habe. „In der allerletzten Phase der Verhandlungen forderten Sie Frankreich auf, meinen Namen aus persönlichen Gründen zurückzuziehen, die Sie in keinem Fall direkt mit mir erörtert haben, und boten als politischen Kompromiss eine angeblich einflussreichere Rolle für Frankreich im künftigen Kollegium an“, ärgert sich Breton in einem Brief an die Deutsche. Das sei „ein weiteres Zeugnis für fragwürdige Governance“.

Dass Breton nicht viel von der EU-Kommissionspräsidentin hält, ist spätestens seit seinen spöttischen Bemerkungen über deren Wahlergebnis beim Kongress der Europäischen Volkspartei bekannt. Dass der Franzose zudem alles andere als diplomatisch ist, sondern gerne poltert, war insbesondere in seiner jüngsten Auseinandersetzung mit Elon Musk zu beobachten. In Paris wird derweil spekuliert, inwieweit der eigentliche Grund für seinen jähen Rückzug nicht in der französischen Politik zu suchen ist.

Breton bei Barnier in Paris?

Der neue Premierminister Michel Barnier könnte ihn in seine Regierung berufen, mutmaßte der Wirtschaftssender BFM Business. Breton war 2005 bis 2007 Wirtschafts- und Finanzminister während der Amtszeit des früheren Präsidenten Jacques Chirac. Jetzt, da Breton wieder zur Verfügung stehe, könne er für diese Funktion wieder in Betracht gezogen werden, zitiert „Le Monde“ eine Quelle aus dem französischen Wirtschaftsministerium.

Nur wenige Stunden, nachdem Breton seinen Rücktrittsbrief auf Sozialen Netzwerken veröffentlicht hatte, schlug der Élysée-Palast den bisherigen Außenminister Stéphane Séjourné als neuen Kandidaten für den EU-Kommissar-Posten vor. Der 39-jährige Generalsekretär von Macrons Partei Renaissance war 2019 bis 2024 Europa-Abgeordneter, bevor er im Januar Außenminister wurde. „Macron schickt seinen Klon in die Kommission, ohne sich mit jemanden abzustimmen und unter Missachtung der Wahlergebnisse“, keilte Manon Aubry von der linksextremen Partei La France Insoumise.

Kritische Stimmen im Norden

So oder so: Selbst wenn von der Leyen die Wellen nach Bretons unerwartetem Ausstieg wieder glätten kann, sind noch längst nicht alle Probleme ausgeräumt, die einer Bestätigung des Kommissarkollegiums entgegenstehen. So wächst die Kritik der nordeuropäischen Mitgliedstaaten, die fürchten, dass der Süden zu stark in den Dossiers repräsentiert sei, die für Europas Wettbewerbsfähigkeit die entscheidende Rolle spielen. So wird etwa die Spanierin Teresa Ribera als EU-Wettbewerbskommissarin gehandelt. Dem Italiener Fitto werden gute Chancen zugetraut, die Zuständigkeit für Wirtschaft und die milliardenschweren Coronahilfen überantwortet zu bekommen. Und Frankreich war bislang für das Dossier Industrie und strategische Autonomie gesetzt. Gleichzeitig rührt sich erster Widerstand bei der zweitgrößten Fraktion des EU-Parlaments, den Sozialdemokraten (Socialists and Democrats).

Sozialdemokraten hadern

Sie hadern damit, dass ihr Spitzenkandidat für das Amt des EU-Kommissionspräsidenten, der Luxemburger Nicolas Schmit, von seiner Heimatregierung nicht als Kommissar nominiert wurde, sondern ein Christdemokrat erwählt wurde. „Das Ignorieren des Spitzenkandidatenverfahrens, die Untergrabung des Gleichgewichts zwischen den Geschlechtern im Kollegium, die Einsetzung eines Beschäftigungskommissars, dessen Engagement für soziale Rechte bestenfalls fragwürdig ist, die proaktive Einbindung der Europäischen Konservativen und Reformer (Anmerkung: die Parteienfamilie, zu der die Brüder Italiens zählen) in das Herz der EU-Kommission – das wäre das Rezept, um die Unterstützung der Progressiven zu verlieren“, lautet die Warnung an von der Leyen. Ohne die Stimmen der S&D wiederum dürfte es knapp werden bei der Schlussabstimmung über die Personalie. Von der Leyen muss daher noch einige Tage Stress aushalten.

BZ+
Jetzt weiterlesen mit BZ+
4 Wochen für nur 1 € testen
Zugang zu allen Premium-Artikeln
Flexible Laufzeit, monatlich kündbar.