LeitartikelGroßbritannien vor der Wahl

Wachstum ist alles

Labour verspricht Stabilität. Doch wenn sich kein Wachstum einstellt, drohen höhere Steuern und noch mehr Schulden.

Wachstum ist alles

Wahl in Großbritannien

Wachstum ist alles

Von Andreas Hippin

Labour verspricht Stabilität. Doch wenn sich kein Wachstum einstellt, drohen höhere Steuern und noch mehr Schulden.

Es ist zwar noch ein bisschen früh, das Ergebnis vorwegzunehmen. Doch wäre es ein Wunder, wenn Labour nach den Parlamentswahlen am 4. Juli nicht die nächste britische Regierung stellen würde. Die Meinungsforscher sagen Premierminister Rishi Sunak eine krachende Niederlage voraus. Gleichwohl herrscht in der Londoner City keine große Beunruhigung.

Die größte Oppositionspartei des Landes ist seit Wochen dabei, in der Square Mile für sich zu trommeln. Dem Vernehmen nach werden ihre Vorhaben dort als ziemlich glaubwürdig wahrgenommen. Das Verhältnis wird als konstruktiv beschrieben. Das mag daran liegen, dass die als Schatzkanzlerin vorgesehene Rachel Reeves einmal für die Bank of England gearbeitet hat und deshalb einen gewissen Vertrauensvorschuss genießt.

Reeves verströmt Kompetenz

Vielleicht ist nach chaotischen Jahren unter insgesamt fünf konservativen Premierministern auch einfach nur der Wunsch nach Veränderung da. Reeves verströmt die lange vermisste Kompetenz. Wenn die neue Regierungsmannschaft dann auch noch mit wirtschaftlicher Stabilität wirbt und verspricht, wesentliche Steuern nicht zu erhöhen, ist es kein Wunder, dass sie in der Welt der Zigarren und Golfschläger großes Entgegenkommen findet.

Doch Labour verlässt sich zu sehr darauf, dass die britische Wirtschaft in den kommenden Jahren ordentlich wachsen wird. Nur dann gehen die Berechnungen von Reeves auf. Unklar bleibt, wo das Wachstum herkommen soll. Es ist zum „Magic Money Tree 2.0“ geworden. Doch Geld wächst nicht auf Bäumen. Es wäre eine große Überraschung, wenn sich die Partei plötzlich für Deregulierung einsetzen würde, die sich bislang für mehr staatliche Kontrolle starkgemacht hat.

Wachstumshemmnis Klimapolitik

Die Klimapolitik von Labour dürfte sich als in hohem Maße wachstumshemmend erweisen. Nach der Ankündigung, das Verkaufsverbot für Neuwagen mit Verbrennungsmotor um fünf Jahre auf 2030 vorzuverlegen, könnte der Amtsantritt der neuen Regierung von der Schließung von zwei Stellantis-Werken begleitet werden. Der Autobranche macht die wegbrechende Nachfrage nach Batteriefahrzeugen zu schaffen. Die immer wieder versprochenen zahllosen hoch bezahlten grünen Jobs sucht man dagegen vergebens. Daran wird sich auch nichts ändern.

Das wäre noch zu verschmerzen, wenn nicht auch noch hohe Ausgaben auf die Regierung zukämen, die bislang nicht eingeplant sind. Dazu gehört die überfällige Entschädigung der Bluterkranken, die vom öffentlichen Gesundheitswesen NHS durch verseuchte Blutprodukte mit Hepatitis C oder HIV infiziert worden sind. Ebenfalls auf der Liste: die möglicherweise unvermeidliche Rückverstaatlichung von Thames Water. Die Anteilseigner verweigern dem Wasserversorger dringend benötigtes frisches Geld.

Kommunen vor der Pleite

Damit nicht genug: Im ganzen Land stehen zahllose Kommunen vor der Zahlungsunfähigkeit, unabhängig davon, welche Partei dort den Ton angibt. Die rasante Teuerung, sinkende Einnahmen aus der Gewerbesteuer und steigende Kosten für die Altenpflege haben Großstädte wie Birmingham und Nottingham bereits in die Pleite getrieben. Weitere dürften folgen.

Dann wird schnell wieder die Frage gestellt werden, was einem wichtiger sei: niedrige Steuern oder gute öffentliche Dienstleistungen. Und natürlich wird auch der marode National Health Service (NHS) viel mehr Geld brauchen, allein schon, um die ambitionierten Gehaltsforderungen der Ärzteschaft zu erfüllen.

Lockere Haushaltsregeln

Es sollte also niemanden überraschen, wenn Labour die Wahlversprechen schnell vergessen und doch die Steuern erhöhen und neue Schulden machen würde. Die Haushaltsregeln der amtierenden Regierung laden dazu ein. Denn die Tories haben nur eine Grenze gesetzt: Gemessen in Prozent des Bruttoinlandsprodukts darf die Staatsverschuldung auf Fünfjahressicht nicht steigen. Das sollte kein Problem sein. Man muss nur ausreichend Wachstum und, damit einhergehend, steigende Steuereinnahmen vorhersagen.

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