Warnschuss für Delivery Hero
Bis Ostern sind es noch zwei Monate. Ob Delivery Hero dann eine Art Wiederauferstehung am Kapitalmarkt feiern kann? Derzeit stehen die Chancen dafür schlecht. Zu viel Vertrauen hat der Lieferdienst zerstört. Der historische Kurssturz von gut 30% in der vergangenen Woche wird lange nachwirken. Er zeugt von wachsenden Zweifeln unter Investoren an der langfristigen Tragfähigkeit des Geschäftsmodells, und selbst wohlmeinende Analysten, die lange zum Kauf geblasen haben, stufen die Aktie herab. Das ist Wasser auf die Mühlen derer, die schon 2020 der Überzeugung waren, Delivery Hero habe im Dax nichts zu suchen. Damals ersetzten die Berliner die Skandalfirma Wirecard.
Ausgelöst hat das Börsendrama eine Kombination aus enttäuschender operativer Performance und schlechter Kommunikation. Erst kündigte der Konzern im Januar an, dass das Kerngeschäft mit Essenslieferungen in der zweiten Hälfte 2022 beim bereinigten Ergebnis vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen (Ebitda) in die schwarze Zone vorstoßen wird. Damit nannte die Firmenleitung erstmals seit langem einen Zeitplan für den Break-even und signalisierte, der Profitabilität einen höheren Stellenwert zu geben. Das verleitete Analysten dazu, ihre Ergebnisschätzungen hochzusetzen. Doch das war ein Trugschluss. Der einen Monat später veröffentlichte Jahresausblick, der operative Verluste in Höhe von 1 bis 1,2% des über die Plattform abgewickelten Bruttowarenwerts in Aussicht stellt, blieb klar hinter den Erwartungen zurück. Flugs müssen Analysten ihre Kalkulationen abermals anpassen, diesmal nach unten. Kein Wunder, dass da mancher einen dicken Hals kriegt.
Der Hintergrund für die enttäuschende Margenprognose ist das hochdefizitäre Geschäft mit der schnellen Auslieferung von Supermarktartikeln und anderen Fertigwaren. Dieses neue Segment, Quick Commerce genannt, ist mit einem Umsatzanteil von etwa einem Sechstel im Schlussquartal 2021 noch relativ klein, steht aber für geschätzte operative Verluste von einer halben Milliarde Euro im laufenden Jahr. Die zweite negative Überraschung ist die neue Tochter Glovo, die im Fiskaljahr 2022 nach Prognose des Managements mehr als 300 Mill. Euro Miese einfahren wird, was erschreckend hohen 8% des Bruttowarenvolumens entspricht. In Summe läuft das bei ganzjähriger Berücksichtigung von Glovo auf ähnlich hohe Gesamtverluste wie 2021 hinaus. Die Nulllinie bleibt also in weiter Ferne.
Dass erste Stimmen bereits vor einem drohenden Abschied aus dem Dax warnen, kann Delivery Hero verschmerzen. Ein Abstieg – sofern es überhaupt so weit kommt – wäre zwar ein Prestigeverlust, aber kein Drama. Kritischer sind die Mittelabflüsse, die mit den Verlusten einhergehen. Denn in knapp zwei Jahren, im Januar 2024, ist die erste der sechs Wandelanleihen-Tranchen fällig, die Delivery Hero begeben hat, um Verluste und Wachstum zu finanzieren. Bis dahin dürfte das Cash-Polster von zuletzt 2,2 Mrd. Euro großenteils aufgezehrt sein. Eine Wandlung erscheint derzeit unwahrscheinlich, und ob im nächsten Jahr eine Refinanzierung zu akzeptablen Bedingungen gelingt, hängt nicht zuletzt von den dann herrschenden Kapitalmarktbedingungen ab. Im Zweifelsfall kann Delivery Hero noch Tafelsilber verwerten, das aus Aktienpaketen börsennotierter Wettbewerber und Investments in andere Lieferdienste besteht. Allerdings haben die Assets zuletzt deutlich an Wert verloren. Delivery Hero ist nämlich keinesfalls allein mit den drastischen Kursabschlägen. Ob Just Eat Takeaway, die mit ihrer Tochter Lieferando den deutschen Markt beherrscht, die britische Deliveroo oder Zomato aus Indien – alle haben binnen weniger Monate rund die Hälfte ihrer Marktkapitalisierung oder mehr eingebüßt. Das schmälert die Bewertung anderer Investments wie Gorillas und Rappi.
Die Kernfrage für Delivery Hero lautet: Schafft es das Unternehmen wirklich, sich mit riesigen Verlusten eine so starke Marktstellung aufzubauen, dass später üppige Gewinne locken? Lange haben Investoren das geglaubt. Doch inzwischen zeigt sich: Obwohl Restaurantschließungen, Homeoffice und Kontaktbeschränkungen einen gewaltigen Verkaufsschub beschert haben, bleiben die operativen Verluste hoch. Umso mehr kommt es nun darauf an, dass das Management um CEO und Mitgründer Niklas Östberg endlich einen klaren, verlässlichen Weg zur Profitabilität präsentiert und einhält. Und das heißt vor allem, die Verluste im Quick Commerce unter Kontrolle zu bringen. Sonst wird es nichts mit der Auferstehung.