Wie Russland die Swift-Abtrennung auszugleichen versucht
Als Experten in einem Rundruf der russischen Nachrichtenagentur Ria Nowosti dieser Tage gefragt wurden, welche einheimischen Technologien die russische Wirtschaft angesichts der Sanktionen und schweren Turbulenzen stützen und ankurbeln könnten, waren sie um eine Antwort nicht verlegen. Von bahnbrechenden Projekten in der Atomenergie über Wasserstoff bis hin zu Industrierobotern war die Rede. Und nicht zuletzt von der Blockchain. Diese nämlich würde die Nachfrage nach Dezentralisierung und Sicherheit von Daten optimal bedienen, hieß es. Angesichts des folgenschweren Ukraine-Krieges ist die Nachfrage danach gerade im russischen Finanzsektor groß. Schließlich sucht er angesichts der westlichen Sanktionen nervös nach neuen Wegen, nicht nur die Finanzgeschäfte im Inland, sondern unbemerkt und unbehindert vom Westen auch Auslandstransaktionen in Echtzeit abwickeln zu können.
Blockchain als Lösung
Nicht zufällig wurde kürzlich genau auf diesem Sektor auch die erste große russische Blockchain-Lösung präsentiert – und zwar als Antwort auf den Umstand, dass der Westen die wichtigsten russischen Banken vom internationalen Zahlungsabwicklungssystem Swift abgekoppelt hatte. Anfang Juni hat die staatliche Technologieholding Rostec mitgeteilt, dass sie das als Swift-Alternative geplante System namens Cells fertiggestellt hat (vgl. BZ vom 8. Juni). Über diese Blockchain-basierte Plattform sollen in erster Linie Cross-Border-Payments in unterschiedlichen Währungen abgewickelt werden sowie Identitätsmanagement stattfinden, hieß es. Mit den angegebenen 100000 Transaktionen pro Sekunde wäre ein hochvolumiger Zahlungsverkehr möglich. Und es könnte „das Risiko für Sanktionen eliminiert werden sowie die Unabhängigkeit der nationalen Finanzpolitik für das Clearinggeschäft sichergestellt werden“, wie Oleg Jewtuschenko, Executive Director von Rostec, wissen ließ.
Vorerst blieb es bei der Ankündigung. Medial wurde das Cells-System nicht weiter thematisiert. Und auch in Finanzkreisen ist es vorerst noch nicht richtig angekommen, obwohl Anatoli Aksakow, Chef des Finanzausschusses in der Staatsduma, bereits im März von der forcierten Entwicklung eines Blockchain-basierten Zahlungsvehikels – und eines digitalen Rubel sowie Yuan – vor allem im Austausch mit China gesprochen hatte.
Vorerst mehr Thema ist stattdessen nach wie vor eine andere Swift-Alternative, die die Zentralbank selbst bereits seit langem initiiert hat und heute umso mehr propagiert: Das Financial Messaging Transfer System (SPFS). Als Vorsichtsmaßnahme gegen eine mögliche Abkoppelung vom Swift-System, das weltweit von mehr als 11000 Banken aus 220 Staaten genutzt wird, wurde SPFS nach der Krim-Annexion 2014 aufgebaut. 2017 begann es in vollem Umfang mit allen Devisen zu arbeiten – allerdings nur im Inland, wo fortan der Marktanteil von Swift bis Ende Februar 2022 von zuvor 80 auf 20% schrumpfte, wie die Nachrichtenagentur Tass eruierte. SPFS überrundete Swift, muss sich den Markt aber auch mit anderen inländischen Anbietern teilen.
Zumindest im Inland wurde die Anwendung einheimischer Zahlungsabwicklungssysteme angesichts der Sanktionen nun also ausgeweitet, einmal abgesehen davon, dass auch das einheimische Zahlkartensystem den Rückzug internationaler Kreditkartenanbieter wie Visa oder Mastercard kompensiert. Anders bei Auslandsgeschäften, wo das System in den Kinderschuhen steckt. Vor gut einem Jahr wurde mit der Anbindung einiger Banken aus den GUS-Staaten immerhin der erste Schritt ins Ausland gemacht. Auch die Töchter großer russischer Banken in Europa wurden angebunden. Aktuell seien es 70 Institute in zwölf Staaten, wie Zentralbankchefin Elvira Nabiullina erklärte. Die Zentralbank würde jeden, der das wünsche, auch anschließen. Allerdings – so Nabiullina – würden viele Partner sekundäre Sanktionen des Westens befürchten.
Albtraum Auslandszahlung
Unterdessen sind die grenzüberschreitenden Zahlungen aus und nach Russland zum Albtraum für die Beteiligten geworden. Von „zunehmenden Kosten und zunehmendem Kopfweh“ spricht ein Finanzmanager in Russland, der anonym bleiben möchte, im Gespräch mit der Börsen-Zeitung. Vor allem nachdem die EU am 14. Juni drei weitere russische Großbanken – darunter den Branchenprimus Sberbank – von Swift ausgeschlossen hat, sind inzwischen zehn große russische Institute abgekoppelt. Die Auslandstransaktionen ihrer Kunden werden von nicht sanktionierten Banken zwar bereitwillig übernommen – allen voran von den in Russland verbliebenen westlichen Banken Raiffeisen, Unicredit und Citibank sowie der russischen Gazprombank, die ihre weiter funktionierenden Auslandstöchter in der Schweiz und in Luxemburg bekanntlich zur Zahlungsabwicklung der russischen Rohstoffexporte behalten hat.
Tinkoff Bank wirft hin
Und sie bringen ihnen ein sattes Zusatzgeschäft. Aber eben auch jede Menge Schwierigkeiten. Nicht zufällig warf am vergangenen Mittwoch die renommierte Tinkoff Bank hin und stellte alle Devisen-Transaktionen über Swift ins Ausland für Privatkunden bis 1. Oktober ein. Der Grund: Die westliche Zahlungsinfrastruktur gewährleiste keine zeitlich komfortable Abwicklung mehr, schreibt die Tinkoff Bank.
Tatsächlich dauert die Zahlungsabwicklung aus oder nach Russland ungleich länger oder wird nicht selten verweigert. Einmal abgesehen davon, dass die Kosten für die Kunden exorbitant gestiegen sind. Das liegt nicht an Swift selbst. Der Grund ist, dass die wenigen Korrespondenzbanken im Westen, über die die Zahlungen laufen, bei Russlandgeschäften nun deutlich höheren Compliance-Anforderungen unterliegen. „Die Korrespondenzbanken sind mit den Checks heillos überfordert“, sagt der Finanzmanager, der anonym bleiben möchte. „Manche Bank erlaubt nur noch zwei Auslandsüberweisungen im Monat.“ Die eine oder andere dürfte bald schon nichts mehr erlauben, sondern das Handtuch werfen, wie Natalja Miltschakowa, Chefanalystin der russischen Bank Freedom Finance prophezeit.