Windturbinenbauer in Turbulenzen
Von Carsten Steevens, Hamburg
Windturbinenbauer haben eigentlich Grund zur Zuversicht. Pläne und Maßnahmen von Staaten weltweit, dem Klimawandel zu begegnen, das Streben nach sauberer und unabhängiger Energieversorgung oder auch Initiativen zur Dekarbonisierung der Industrie sind starke und langfristige Treiber der Nachfrage nach Windenergie und damit nach Windkraftanlagen an Land (onshore) und auf hoher See (offshore).
Erst vor wenigen Tagen verständigten sich die Regierungschefs von Dänemark, Belgien, Deutschland und den Niederlanden im dänischen Esbjerg auf einen Ausbau der Offshore-Windenergie, der eine Vervierfachung der in der Nordsee installierten Gesamtkapazität bis zum Jahr 2030 und eine Verzehnfachung bis 2050 vorsieht. Der Plan, der – auf höchster nationaler Ebene verabredet – die Dringlichkeit der Expansion unterstreicht, korrespondiert mit dem Vorhaben der EU-Kommission, die Windenergiekapazitäten bis zur Mitte dieses Jahrhunderts massiv auszubauen – von 165 Gigawatt (GW) im vergangenen Jahr auf 1000 GW bei Onshore-Windenergie und von 15 auf 300 GW bei Offshore-Windenergie.
„Die mittelfristigen Aussichten für unsere Industrie sind so gut wie nie“, so Nordex-Chef José Luis Blanco in der virtuellen Hauptversammlung des auf Onshore-Windkraft ausgerichteten Turbinenbauers in Hamburg. Unterstellt wird die weiterhin erforderliche politische Unterstützung für erneuerbare Energien.
Ankündigungen einzelner Regierungen, für Bedingungen zu sorgen, um den jährlichen Zubau von neuer Kapazität zu forcieren, bedürfen dringend der Umsetzung. Europa baue zu wenig neue Windenergieanlagen, um seine Energie- und Klimaziele zu erreichen, stellt der Branchenverband WindEurope fest. Problematisch sei hier nicht der Ehrgeiz der Regierungen. Der größte Engpass blieben die Genehmigungen.
Gewinnwarnungen
Europa hat 2021 gut 41 Mrd. Euro in neue Windparks investiert. Damit wurde dem Verband zufolge ein Rekordniveau von 25 GW neuer Kapazität finanziert. Zu wenig – gemessen an den EU-Klima- und Energiesicherheitszielen bis 2030. Um bis dahin eine Windkapazität in der EU von 480 GW zu erreichen, müssten jährlich 35 GW an neuen Windkraftanlagen gebaut werden, moniert WindEurope. Das Problem: Anstatt profitabel zu wachsen, haben die Turbinenbauer ausgerechnet jetzt mit zum Teil heftigen Turbulenzen zu kämpfen.
Die Unternehmen verlieren Geld, rote Zahlen auch im jüngsten Quartal gehen einher mit Gewinnwarnungen für das laufende Geschäftsjahr. Seit dem ersten Halbjahr 2021 haben sich die Bedingungen im Umfeld der Windbranche – wie für andere Industrien auch – deutlich verschlechtert. Volatile Logistikmärkte, weitere Auswirkungen der Corona-Pandemie sowie massive Kostensteigerungen bei Rohstoffen und Transportdienstleistungen, vor allem bei Seefrachten, führten im weiteren Jahresverlauf zu Prognosekorrekturen – und zu fallenden Aktienkursen bei börsennotierten Gesellschaften wie Vestas, Siemens Gamesa oder Nordex.
Projektverzögerungen
Die Gemengelage hat sich 2022 nicht verbessert, wie neue Gewinnwarnungen der Unternehmen zeigen. Ein großes Problem seien derzeit, so Inka Klinger, Leiterin Projektfinanzierung bei der Hamburg Commercial Bank (HCOB), die nicht funktionierenden Lieferketten, da ein Großteil der Komponenten der Windenergieanlagen aus Asien bezogen werde. Der pandemiebedingte Lockdown in Schanghai und anderen Provinzen in China in den vergangenen Wochen hat die Verfügbarkeit von Komponenten zusätzlich erschwert. Die in der Folge entstehenden Verzögerungen belasteten die Windkraftanlagenhersteller hinsichtlich der Erfüllung ihrer Lieferverpflichtungen. Hinzu komme fehlende Preisstabilität in Bezug auf die Anlagenkaufpreise vor dem Hintergrund der stark erhöhten Inflation und der gestiegenen Rohstoffpreise.
Die Turbinenbauer, die seit Jahren erheblichen Preis- und Kostendruck spüren, bemühen sich, neben der Sicherung der Lieferketten zur Abarbeitung ihres Auftragsbestands die Verkaufspreise weiter an die steigenden Kosten anzupassen. Auch werden einzelne Werke geschlossen. Zudem werden Rufe lauter, den ruinösen Preiskampf in der Industrie einzustellen. Henrik Andersen etwa, Chef des Marktführers Vestas, kritisierte nach Veröffentlichung eines in den ersten drei Monaten dieses Jahres auf 765 (i.V. 64) Mill. Euro gestiegenen Verlusts mangelnde Disziplin bei der Konkurrenz.
Wann sich die Margen wieder spürbar erholen, ist unklar. Für zusätzliche Unsicherheiten sorgen die direkten und indirekten Auswirkungen des seit Februar andauernden Russland-Ukraine-Kriegs. Nordex schätzt derzeit, in der Ukraine Umsätze von rund 200 Mill. Euro zu verlieren, die unmittelbaren Folgen könnten 2022 bis zu 1 Prozentpunkt Ebitda-Marge ausmachen. Allerdings: Während die Windkraftanlagenbauer die wirtschaftlichen Folgen des Krieges spüren, könnte dieser langfristig dazu beitragen, den Umstieg von fossilen auf regenerative Energieträger und damit die Energiewende zu beschleunigen.