EZB

Zeit für Taten

Konjunkturelle Unsicherheit darf nicht zu geldpolitischer Untätigkeit führen. Angesichts der Rekordinflation muss die EZB den absoluten monetären Ausnahmezustand beenden.

Zeit für Taten

Die Inflation in Eur­oland übertrifft im Negativen weiter alle Erwartungen und sorgt zunehmend für Panik bei Politikern und Notenbankern. Jüngstes Beispiel ist die von Bundeskanzler Olaf Scholz propagierte „konzertierte Aktion gegen den Preisdruck“. Nun ist es sicher gut, wenn auch die Regierung das Problem endlich ernst nimmt und mehr tut, um die Bürger sinnvoll zu entlasten. Und jeder Beitrag zur Vermeidung einer Lohn-Preis-Spirale ist ab­solut begrüßenswert. Niemand sollte aber überzogene Erwartungen an diese Runde mit Gewerkschaften und Ar­beitgebern haben. Vor allem aber: Sie darf keinesfalls ab­lenken davon, dass nun zu­vorderst die Europäische Zentralbank (EZB) gefragt ist.

Dass die EZB in Zeiten einer Rekordinflation von 8,1% im­mer noch viele Billionen Euro pro Monat in die Wirtschaft pumpt und an Null- und Ne­gativzinsen festhält, ist ab­surd. Das gilt umso mehr, als längst nicht mehr nur die Hö­he, sondern auch die Breite der Inflation besorgniserregend ist. Die Kernrate ohne die Energie- und Lebensmittelpreise liegt ebenfalls auf einem Rekordhoch bei 3,8% – ohne Aussicht auf baldige Besserung. Zudem drohen sich die Inflationserwartungen von der 2-Prozent-Marke zu lösen, und die Löhne scheinen anzuziehen. Ja, die EZB kann kein Öl und Gas fördern, sie hat keine Containerschiffe und sie setzt nicht die Löhne. Aber das heißt nicht, dass sie untätig bleiben sollte. Sie muss Zweitrundeneffekten Einhalt gebieten, und sie sollte schon gar nicht die Teuerung noch anheizen.

Natürlich ist es äußerst problematisch, dass zugleich die Unsicherheit über die Euro-Wirtschaft so groß ist wie selten – nicht zuletzt wegen des Ukraine-Kriegs. Eine wirtschaftliche Stagnation und sogar eine Rezession sind nicht ausgeschlossen. Zugleich ist aber nicht alles schwarz: Die Unternehmensstimmung etwa hält sich überraschend gut, die Beschäftigung zieht stark an. Und das Ende der rigiden Lockdowns in China verbessert auch die globalen Wachstumsperspektiven. Unsicherheit darf je­denfalls nicht zu Untätigkeit führen. Und überhaupt: Wenn die EZB nun nach dem Ende der Käufe in einem ersten Schritt den Negativzins von −0,5% beendet, ist sie weit davon entfernt, auf die Bremse zu treten. Der reale Zins bleibt weit im negativen und expansiven Bereich. Warnungen, dass die EZB damit die Wirtschaft in die Rezession stürzt, sind schlicht irrsinnig.

Eigentlich gibt es sogar keinen Grund, warum die EZB nicht bereits am Donnerstag die Zinsen an­heben sollte – außer, dass sie sich selbst die Hände gebunden hat, weil sie versprochen hat, erst die Nettoanleihekäufe zu stoppen („Se­quencing“), und weil sie früh festgelegt hat, bis Juni an den Käufen festzuhalten. Das muss ihr eine Lehre sein. Im aktuellen Um­feld und an geldpolitischen Wendepunkten ist es heikel, sich zu lange im Voraus festzulegen. EZB-Präsidentin Christine Lagarde, die zuletzt mitunter eine un­glück­li­che Figur abgegeben und mit ihrem jüngsten Blog-Beitrag ungute Erinnerungen an die Alleingänge ihres Vorgängers Mario Draghi ge­weckt hat, sollte es deshalb nun tunlichst vermeiden, eine kräftigere Zinserhöhung um 50 Basispunkte im Juli auszuschließen. Sollte die Inflation weiter nur eine Richtung kennen und sollten die Inflationserwartungen weiter anziehen, kann ein solcher Schritt sehr wohl notwendig werden – auch als Signal vor den anstehenden Tarifrunden.

Je schneller die EZB den absoluten monetären Ausnahmezustand mit billionenschweren Anleihekäufen und Negativzinsen beendet, desto eher kann auch die De­batte darüber beginnen, wie es nach diesen ersten Schritten in Sachen Normalisierung weitergehen soll. Derzeit spricht vieles dafür, dass die Zinsen dann weiter schrittweise, aber kontinuierlich erhöht gehören. Auch das Thema der EZB-Bilanz muss dann auf den Tisch. Tempo und Ausmaß der Normalisierung hängen indes in der Tat von der Konjunktur- und Inflationsentwicklung ab. Die EZB muss aber klar(er) machen, dass sie notfalls entschieden gegensteuert – auch wenn das den hoch verschuldeten Euro-Ländern missfällt. Der Eindruck fiskalischer Dominanz ist fatal und darf sich keinesfalls weiter verfestigen.

Das macht auch die Diskussion über ein neues Notfallinstrument gegen als exzessiv angesehene Zinsunterschiede (Spreads) so gefährlich. So wichtig es ist, dass die Geldpolitik in allen Ländern möglichst gleichermaßen ankommt, und so nötig es in Kri­sen sein kann, exzessive Marktspekulationen zu kontern – so riskant und anmaßend ist es, beurteilen zu wollen, wie viel Spread in Normalzeiten ge­rechtfertigt ist. Mehr noch aber drohte das nur den Eindruck zu verstärken, dass der EZB am Ende die Solidität der Euro-Staaten wichtiger ist als die Preisstabilität. Das wäre für die EZB desaströs.

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