Zinssenkungen sind die falsche Medizin
Die falsche Medizin
Zinssenkungen
Der Leitzins in der Eurozone wird weiter fallen, doch die positiven Effekte auf die
Konjunktur dürften überschaubar bleiben.
Von Martin Pirkl
Viel wird dieser Tage darüber geredet, wie tief die Zinsen in der Eurozone noch sinken müssen, damit sie das Wirtschaftswachstum nicht mehr ausbremsen. Der ein oder andere Notenbanker – vor allem aus Südeuropa – plädiert zudem öffentlich dafür, dass die EZB den Einlagensatz sogar noch unter dieses neutrale Niveau hievt. Dann würde die Geldpolitik die Konjunktur ankurbeln.
Wer jedoch auf große Wirtschaftswachstumsimpulse durch die Notenbank hofft, der dürfte enttäuscht werden. Nicht nur, weil der Spielraum für weitere Zinssenkungen der Europäischen Zentralbank (EZB) begrenzt ist, wenn sie nicht riskieren will, ihr Inflationsziel von 2% mittelfristig weiterhin zu verfehlen. Sondern auch, weil die Geldpolitik die falsche Medizin ist, um der schwächelnden Konjunktur neue Lebensgeister einzuhauchen – insbesondere in Deutschland. Die größte Volkswirtschaft der Eurozone könnte 2025 ein drittes Jahr in Folge ein schrumpfendes Bruttoinlandsprodukt verzeichnen. Das hat es in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland noch nie gegeben.
Die Politik ist gefragt
Die bereits erfolgten und die zukünftigen Zinssenkungen der EZB sind zwar sicherlich gut für die Wirtschaft. Damit die Investitionen jedoch wieder deutlich anziehen, braucht es andere Dinge. Denn es sind unter anderem zu hohe Energiepreise, zu wenig Planungssicherheit, eine überbordende Bürokratie oder die sehr niedrige Produktivität, die dazu führen, dass Unternehmen zu wenig investieren. Nichts davon lässt sich mit Zinssenkungen beheben. Hier ist die Politik gefragt.
Bei der Planungssicherheit wird es für die Unternehmen in Deutschland darauf ankommen, wie schnell die neue Bundesregierung stehen wird – und ob sie anders als die Ampel-Regierung einen konsistenten politischen Kurs fährt. Doch selbst wenn dies der Fall sein sollte, werden einige Unsicherheiten für die Wirtschaft bleiben. Ein großer Unsicherheitsfaktor ist die Zollpolitik des US-Präsidenten Donald Trump. Sie könnte enorme negative Auswirkungen auf das Wirtschaftswachstum der Eurozone und vor allem Deutschlands haben. Die Effekte auf die Euro-Inflation, die für die EZB besonders relevant sind, sind schwieriger abzuschätzen, weil manche Aspekte für einen höheren und andere für einen niedrigeren Inflationsdruck sprechen.
Probleme im Binnenmarkt
EZB-Direktorin Isabel Schnabel spricht angesichts der geopolitischen Spannungen gar davon, dass Europa sein exportorientiertes Wachstumsmodell überdenken müsse. Zumindest den Binnenkonsum zu stärken kann keine schlechte Idee sein. Hierbei wäre es hilfreich, wenn die EU Fortschritte bei der Vollendung des Binnenmarktes schaffen würde. Einer Untersuchung des Internationalen Währungsfonds (IWF) zufolge führen Hindernisse innerhalb der Warenströme der EU zu Belastungen, die äquivalent sind zu einem innereuropäischen Zollsatz von 44% auf Produkte des verarbeitenden Gewerbes. Zum Vergleich: Für den Warenverkehr zwischen den US-Bundesstaaten hat der IWF nur eine Belastung in Höhe von 15% berechnet. Marktzutrittsschranken im Dienstleistungssektor führen sogar dazu, dass der IWF hier einen fiktiven Zollsatz von 110% für die EU berechnet hat.
Deutschland muss Strukturprobleme angehen
Fortschritte bei der Kapitalmarktunion und im Binnenmarkt gehören schon längst zu den Punkten, die immer wieder fallen, wenn es darum geht, private Investitionen in Europa anzukurbeln. Und diese braucht es, damit benötigte Strukturreformen vorankommen und die (digitale) Infrastruktur verbessert wird. Staatliche Investitionen allein werden nicht ausreichen. Nicht mal in Deutschland, das angesichts der niedrigen Schuldenquote eigentlich den Spielraum für deutlich höhere Ausgaben hat.
Und insbesondere Deutschland muss seine Strukturprobleme angehen, damit wieder nachhaltig ein relativ hohes Wirtschaftswachstum entsteht. Sich auf positive konjunkturelle Effekte der Geldpolitik zu verlassen wäre ein Fehler. Nicht nur, weil sie überschaubar sein dürften. Sondern auch, weil die EZB ihre Geldpolitik nicht auf deren konjunkturelle Effekte ausrichten kann, sondern auf ihr Mandat: Und dieses lautet Preisstabilität.