Zu Mileis „Mekka des Westens“ ist es noch ein langer Weg
Zu Mileis „Mekka“ ist es noch ein langer Weg
Der harte Sparkurs zeigt erste Resultate. Aber Argentiniens Regierung hat Schwierigkeiten, die Währungskontrollen loszuwerden. Eine Freigabe könnte die Inflation neu anfachen.
Von Andreas Fink, Buenos Aires
Argentiniens Präsident ist total überzeugt, dass sein Projekt auf dem richtigen Weg ist. Vorigen Montag nutzte er ein Investorentreffen in Hollywood, um dafür zu werben: „Ich bin ohne den geringsten Zweifel davon überzeugt, dass Argentinien sämtliche Voraussetzungen mitbringt, um das neue Mekka des Westens zu werden“. Im Publikum saßen mehr als tausend Unternehmensführer, angeführt vom reichsten Mann der Welt: Elon Musk. „Das Zeitfenster für unseren neuen Goldrausch wird nicht ewig dauern. Es ist heute, es ist jetzt!“, rief Javier Milei. Das Publikum, darunter die IWF-Direktorin Kristalina Georgiewa, klatschte ausgiebig Beifall.
Milei hatte zuletzt durchaus Grund zum Stolz. Vor gut zwei Wochen konnte er den ersten Quartals-Haushaltsüberschuss seit 16 Jahren verkünden. Zudem gelang es ihm vorige Woche, nach viereinhalb Monaten im Amt, erstmals eigene Gesetzesänderungen durch den Kongress zu bringen. Für die nun verabschiedeten 400 Änderungen von Vorschriften und Regeln, die vor allem einen Abbau der Bürokratie zum Ziel haben, bekam er Unterstützung auch aus der gemäßigten Opposition. Weil Mileis eigene Koalition namens „Die Freiheit schreitet voran“ im Kongress nur 38 der 257 Mandate besetzt, ist sie auf die Stimmen der ehemaligen Mitte-Rechts-Koalition sowie moderater Kräfte aus der Mitte angewiesen.
Unter den beschlossenen Gesetzen sind Teile einer Reform des Arbeitsrechts sowie die Wiedereinführung der Einkommensteuer für Besserverdienende. Und eine umfassende Steueramnestie für die Repatriierung von Fluchtvermögen. Schätzungsweise 400 Mrd. Dollar horten die Argentinier außerhalb des offiziellen Finanzsystems, in Matratzen, Bankschließfächern und im Ausland.
Heftige Reaktionen der argentinischen Unternehmer provozierte das RIGI, ein Paket von Lockmitteln für internationale Großinvestoren. Wer mehr als 200 Mill. Dollar in Argentinien investiert, darf auf Steuernachlass hoffen und kann – jenseits der weiterhin geltenden Währungskontrollen – frei Devisen ins und aus dem Land bringen.
Reduktion der Inflation
Ein dritter Erfolg ist die deutliche Reduktion der Inflation. Nach dem Machtwechsel im Dezember waren die Verbraucherpreise binnen eines Monats um 25,8% gestiegen. Aber infolge Mileis radikaler Sparpolitik ließ die Teuerung sukzessive nach. Für April wird nun der erste einstellige Monatswert in der Ära Milei erwartet. Die Ratingagentur Moody’s rechnet mit einer Jahresinflation für 2024 von 150%; immer noch sehr hoch, aber deutlich niedriger als die jüngsten Werte von über 280 Prozent.
Inflationsbekämpfung und Haushaltskonsolidierung sind die zwei Hauptziele von Milei und Caputo, denen sie sämtliche andere – auch ideologische – Positionen unterordnen. In seinem Vorleben als TV-Kommentator hatte Milei immer wieder versichert, er werde sich „den Arm abhacken, ehe er Steuern erhöht“. Doch jetzt hat er die vom Vorgänger geerbten Export- und Importsteuern sogar noch angehoben. Und Finanzminister Caputo hat den privaten Krankenkassen einen neuen Preisdeckel verpasst, nachdem diese binnen weniger Monate ihre Beitragssätze mehr als verdoppelt hatten.
Vor allem vollführt Caputo eine alte Praktik der peronistischen Vorgänger: Er hält den Peso-Kurs künstlich niedrig. Drei Tage nach Amtsübernahme hatte er die Landeswährung um 54% abgewertet, seither wertet der Peso nur noch um 2% pro Monat ab. Zugleich sind die Preise in den ersten vier Monaten um 25, 20, 15 und 10% gestiegen. Milei hat zuletzt mehrfach erklärt, die hohen Preise lägen vor allem an Argentiniens fehlender Wettbewerbsfähigkeit und den hohen Steuern. Aber er war es, der die Importsteuer erhöht und ausgeweitet hat.
Milei und Caputo wollen keinesfalls abwerten, um die Inflation nicht erneut anzufachen. Ob sie damit durchkommen, hängt vor allem vom größten Devisenbringer ab: den Landwirten, die gerade die Soja-Ernte einfahren. Sollten die Farmer ihre Körner großenteils einlagern und auf einen besseren Wechselkurs spekulieren, könnten die Devisen erneut knapp werden: Denn das Land muss bis Jahresmitte seine Dollar-Gläubiger bedienen. Milei und Caputo gehen ein erhebliches Risiko ein, wenn sie versuchen, die Inflation auf ein Niveau zu senken, das sie letztlich nicht halten können, warnt der Ökonom Martín Rapetti, der über Wechselkursentwicklungen in Lateinamerika geforscht hat.
Viele Ökonomen warnen, dass es bei einem Ende der Währungskontrollen zu einem sprunghaften Anstieg des Dollar-Kurses kommen könnte, der den Teufelskreis der Inflation wieder in Gang bringen und alle Erfolge über Bord werfen würde.
Instabilität irritiert Investoren
Milei weiß aber nur zu gut, dass für Unternehmen, die sich für Geschäfte in seinem „Mekka“ interessieren, nicht nur die finanziellen Faktoren wichtig sind. Sie verlangen nach funktionierenden Institutionen, Rechtssicherheit und unbehinderten Geldflüssen. Aber sie erwarten auch politische und soziale Stabilität. Und genau hier liegen die großen Fragezeichen: Für diesen Donnerstag hat der Gewerkschaftsbund CGT zum zweiten Generalstreik der Ära Milei aufgerufen. Er dürfte viel umfassender ausfallen als der letzte. Busse und Bahnen werden ausfallen und den Großraum Buenos Aires lahmlegen. Caputos harter Sparkurs und die Preisexplosion haben den Konsum brutal einbrechen lassen. Selbst die Top-Marke Coca-Cola büßte Marktanteile ein. Viele Betriebe laufen nur noch auf 50% ihrer Kapazität. Die Industrieproduktion ging um 10% zurück, und das Baugewerbe, wo die staatlichen Aufträge entfallen, verlor mehr als 24% zum Vorjahr.
Um aus dieser Rezession wieder herauszukommen, braucht Milei dringend frische Dollar – und Investoren wie Elon Musk, den er diese Woche zum zweiten Mal in zwei Monaten traf. Milei prophezeit, die Wirtschaft werde wieder abheben, die Kurve sei wie ein „V“. Und viele Bürger scheinen ihm das, trotz aller Härten des Sparprogramms, zu glauben: Denn noch immer liegen Mileis Zustimmungswerte bei über 50%. Aber die meisten Ökonomen in Buenos Aires fürchten, dass die Erholungskurve bestenfalls ein „U“ wird. Und einige befürchten gar ein „L“.