Geopolitische Sorgen treiben Finanzwächter um
Geopolitische Sorgen treiben Finanzwächter um
EZB hält Finanzsystem Resilienz zugute, zeigt sich aber beunruhigt über wachsende internationale Friktionen und hohe Staatsverschuldung
fir Frankfurt
Nicht nur im globalen Handel drohen Spannungen, warnt die EZB im aktuellen Finanzstabilitätsbericht. Generell seien politische und geopolitische Spannungen auf dem Vormarsch. Sorge bereitet ihr auch, dass dadurch fiskalische Probleme hoch verschuldeter Euro-Staaten zusätzlich angeheizt werden.
Die Europäische Zentralbank bescheinigt der Finanzwirtschaft im Euroraum zwar weitgehend Widerstandsfähigkeit, warnt aber vor zunehmenden Bedrohungen, die makroökonomischer und geopolitischer Natur sind. „Neben der hohen makrofinanziellen Unsicherheit haben in den vergangenen Monaten auch die geopolitischen Risiken und die wirtschaftspolitische Unsicherheit zugenommen“, heißt es im halbjährlich erscheinenden Finanzstabilitätsbericht der EZB, der am Mittwoch veröffentlicht wurde. Die Bundesbank wird an diesem Donnerstag mit einer Bestandsaufnahme nachlegen, wie es um die Finanzstabilität in Deutschland bestellt ist.
Protektionistische Tendenzen
Auch wachsende globale Handelsspannungen und eine mögliche Zunahme protektionistischer Tendenzen in der ganzen Welt gäben Anlass zur Sorge, befindet die EZB. Der Sieg von Donald Trump bei der US-Präsidentschaftswahl hat weltweit Befürchtungen befeuert, dass der Republikaner nach seinem Amtsantritt am 20. Januar Handelskonflikte vom Zaun bricht, so wie er es in seiner ersten Amtszeit 2017 bis 2021 getan hat. Seine jüngste Drohung, US-Zölle von generell 10% auf Einfuhren zu erheben und auf chinesische Importe sogar 60%, würde die internationalen Handelsaktivitäten bremsen und die exportorientierte deutsche Wirtschaft hart treffen.
Erhöhte Verwundbarkeit
Alles in allem seien die Verwundbarkeiten für die Finanzstabilität im Euroraum seit Mai, als der vorherige Finanzstabilitätsbericht veröffentlicht wurde, auf erhöhtem Niveau geblieben. Drei Hauptquellen nennt die EZB: überzogene Bewertungen von Aktien und Unternehmensanleihen in Verbindung mit einer hohen Risikokonzentration; (geo)politische Unsicherheit, welche schwaches Wirtschaftswachstum und hohe Staatsverschuldung verschärfe, und schließlich Kreditrisiken, die in Privathaushalten und Unternehmen schlummerten.
Träten Sorgen wegen der Inflation in den Hintergrund, so nehme die EZB eine steigende Anfälligkeit der öffentlichen Haushalte wahr, hieß es. „Trotz der jüngsten Verringerung der Schuldenquote bestehen in mehreren Ländern des Euroraums nach wie vor fiskalische Probleme, die durch strukturelle Schwierigkeiten wie ein schwaches Wachstum und eine erhöhte politische Unsicherheit noch verschärft werden“, heißt es in dem Report.
Zwar lasse im Euroraum der Inflationsdruck nach, doch zeigten sich Marktteilnehmer beunruhigt über einen schwächer als erwarteten Konjunkturverlauf, merkt EZB-Vizepräsident Luis de Guindos im Vorwort des Finanzstabilitätsberichts an. Obwohl die EZB die Zinsen bereits in mehreren Schritten gesenkt hat und weitere Schritte folgen dürften, würden die Kosten des Schuldendienstes der Eurostaaten voraussichtlich weiter steigen, so die Autoren des Reports, weil fällig werdende Schulden zu höheren Zinssätzen abgelöst würden.
Unangenehme Überraschungen
Bedenken hinsichtlich des Kreditrisikos bestünden insbesondere im Immobiliensektor, bei kleinen und mittelgroßen Unternehmen und bei Privathaushalten mit niedrigen Einkommen, die von einer Konjunkturflaute am ehesten betroffen wären. Zudem warnt die EZB davor, dass die Wahrscheinlichkeit von bösen Überraschungen zunehme. So könnten etwa sich drastisch verschlechternde Konjunkturaussichten oder Eskalationen geopolitischer Auseinandersetzungen „abrupte Stimmungsumschwünge“ bei Anlegern auslösen, die sich auf verschiedenste Anlageklassen auswirken.
Noch hohe Rentabilität
Die EZB beobachtet nach eigenen Wort nach wie vor noch eine Rentabilität „auf historisch hohem Niveau“, macht aber wenig Hoffnung, dass sich dieser Trend weiter fortsetzt. Im zweiten Quartal dieses Jahres belief sich die durchschnittliche Eigenkapitalrendite der Banken auf 9,4%. Sie könnte den Höhepunkt erreicht haben, da die Zinssenkungen in diesem Jahr die Zinsüberschüsse der Banken nicht mehr so üppig sprudeln lassen und zugleich die Kreditrisikovorsorge zulege. „Inzwischen haben die Nettozinserträge ihren Höchststand erreicht, was darauf hindeutet, dass die Haupttriebfeder für steigende Bankgewinne an Schwung verliert“, heißt es von der EZB.
Die Kreditqualität bewertet die EZB als insgesamt stabil, auch wenn es Herausforderungen gebe. So hätten zwar die Quoten notleidender Kredite ein historisches Tief erreicht, doch seien Verluste in konjunktursensiblen Bereichen wie Gewerbeimmobilien und Mittelstandskredite gestiegen. Ihr vergleichsweise geringes Volumen mindere aber die Effekte.