Bundestagswahl

AfD-Erfolge schockieren CDU im Osten

Die heftigsten innerparteilichen Reaktionen auf das CDU-Debakel bei der Bundestagswahl kommen aus dem Osten Deutschlands. Das ist kein Zufall.

AfD-Erfolge schockieren CDU im Osten

Von Stefan Reccius, zzt. Leipzig

Der Schock muss tief sitzen bei Michael Kretschmer. Als erster namhafter CDU-Politiker kam Sachsens Ministerpräsident am Morgen nach dem Debakel der Union bei der Bundestagswahl aus der Deckung. Deutschland habe „ein Erdbeben erlebt“, sagte Kretschmer im Mitteldeutschen Rundfunk (MDR). „Es ist eine klare Entscheidung gegen die Union gewesen in ganz Deutschland“, führte Kretschmer aus, um dann zum Angriff auf CDU-Kanzlerkandidat Armin Laschet überzugehen: „Ich sehe hier nicht einen klaren Regierungsauftrag, sondern ich sehe hier einen klaren Wählerwillen, der deutlich gemacht hat, die Union ist dieses Mal nicht erste Wahl.“

Kretschmers Wutrede stand in krassem Gegensatz zur Linie, die die Parteispitzen von CDU und CSU am Sonntagabend vermittelt hatten: dass Laschet trotz historischer Verluste und Platz 2 hinter der SPD die Kanzlerschaft für sich beanspruche. Kretschmers Konter aus den eigenen Reihen bildete gewissermaßen die Ouvertüre dafür, dass Laschet und CSU-Chef Söder zurückruderten und den Regierungsanspruch der Union relativierten. 

Es ist kein Zufall, dass die heftigsten Reaktionen auf den Wahlausgang innerhalb der CDU aus dem Osten Deutschlands kamen. Sowohl in Sachsen als auch in Thüringen ging die Alternative für Deutschland (AfD) als stärkste Kraft aus den Wahlen hervor. Mit 24,6% lag sie in Sachsen bei den Zweitstimmen weit vor der CDU, die mit 17,2% hinter der SPD (19,3%) einlief. Mindestens so gravierend: Zehn der 16 Direktmandate in Sachsen sicherte sich die AfD, nur vier die CDU. In Thüringen holte die AfD vier der acht Wahlkreise direkt und lag beim Zweitstimmenergebnis mit 24,0% knapp vor der SPD (23,4%), die CDU landete mit zweistelligen Verlusten abgeschlagen bei nur noch 16,9%.

Bereits am Wahlabend nannte Reiner Haseloff, Kretschmers Ministerpräsidentenkollege in Sachsen-Anhalt, bei Anne Will das Wahlergebnis für die CDU „in Ostdeutschland ein Desaster“. Mit Blick auf die gerade in den neuen Bundesländern weit verbreiteten Vorbehalte gegen Laschet legte Haseloff im MDR nach, „rückwirkend“ seien die Bedenken gegen die Person Laschet „durchaus auch berechtigt“ gewesen. Sachsen-Anhalts CDU-Landeschef Sven Schulze sekundierte, das Ergebnis sei „fast schon eine Katastrophe“. Im Wahlkampf sei man „zu wenig auf die speziellen Belange der Ostdeutschen eingegangen“.

Tatsächlich hat insbesondere die CDU im Osten Deutschlands bis heute keine Antwort auf den Aufstieg der AfD gefunden. Das erklärt das Entsetzen über das Wahlergebnis. Politikwissenschaftler wiesen darauf hin, dass es sich bei der ostdeutschen AfD längst nicht mehr um eine reine Protestpartei handele. Insbesondere bei Erstwählern verzeichnete die Partei hier so große Erfolge wie nirgendwo sonst in Deutschland. In schlechter Erinnerung sind bei vielen Wählern und Parteikollegen Äußerungen von Marco Wanderwitz, dem Ostbeauftragten der scheidenden Bundesregierung. Wanderwitz hatte den Ostdeutschen vor einiger Zeit pauschal „Demokratiedefizite“ und „Diktatursozialisierung“ vorgeworfen. Am Sonntag verlor Wanderwitz, der seit 2002 für die CDU im Bundestag sitzt, sein Direktmandat im Erzgebirge an den AfD-Kandidaten Mike Moncsek. Krachend scheiterte auch der Versuch, die AfD mit der Nominierung Hans-Georg Maaßens rechts zu überholen. Der frühere Verfassungsschutzpräsident unterlag in Südthüringen deutlich dem SPD-Kandidaten Frank Ullrich – in etwa gleichauf mit dem AfD-Kontrahenten.

Sachsens Ministerpräsident Kretschmer hatte Maaßens Nominierung im Vorfeld kritisiert. Kretschmer selbst verlor sein Bundestagsmandat bereits 2017 in seiner Heimatstadt Görlitz an den AfD-Mann Tino Chrupalla, der auch diesmal direkt einzog. Anschließend wurde Kretschmer an die Spitze der Landesregierung gewählt. Seit 2019 bildet Kretschmer, der zwischenzeitlich mit laxer Coronapolitik Aufsehen erregte und später Fehler einräumte, eine sogenannte Kenia-Koalition mit Grünen und der SPD. Am Montag stellte er klar, die CDU müsse die Niederlage „mit Demut“ annehmen.