Baillie Giffords Brummbär und sein Erbe
Von Alex Wehnert, Frankfurt
James Anderson ist dieser Tage nur noch schwer zu greifen. Denn der Star-Manager von Baillie Gifford verabschiedet sich gerade von dem schottischen Vermögensverwalter: Zum 1. Mai gibt er die Leitung des Scottish Mortgage Investment Trust ab – unter seiner Leitung hat das Flaggschiff-Vehikel des in Edinburgh ansässigen Hauses in den vergangenen 22 Jahren früh auf einige der renditeträchtigsten Wachstumswerte an den globalen Märkten gesetzt.
Im Jahr 2004 investierte Anderson mit dem im britischen Leitindex FTSE 100 notierten Scottish Mortgage erstmals in Amazon, 2013 stieg er bei Tesla ein, obwohl damals viel Skepsis für die Aussichten des E-Autobauers bestand. Beide Werte haben seither Kurszuwächse von mehreren 1000% hingelegt. Die Grundlage für seinen Erfolg als Stockpicker sieht der 62-Jährige, der vor 40 Jahren am europäischen Campus der Johns-Hopkins-Universität in Bologna studierte und einen Abschluss der Renommierhochschule Oxford in Geschichte hält, in seinem Austausch mit der Wissenschaft.
Stark beeinflusst hat ihn eine Studie von Hendrik Bessembinder, Professor für Finanzen an der Arizona State University, in der dieser die Kursentwicklung aller seit 1926 gelisteten US-Unternehmen analysierte. Mit mehr als der Hälfte der 26000 betrachteten Werte hätten Investoren bis 2016 Verluste gemacht oder wären schlechter gefahren, als wenn sie einmonatige US-Staatsanleihen gehalten hätten. Dagegen generierten nur 1000 Aktien die gesamte Wertschöpfung im Volumen von 35 Bill. Dollar.
„Es braucht einen Grad an Bescheidenheit – was nicht gerade charakteristisch für die Fondsbranche ist –, um zuzugeben, dass wir in unserem Verständnis sehr begrenzt sind und viel lernen können“, sagte Anderson kürzlich in einer Diskussionsrunde zum stellvertretenden Scottish-Mortgage-Manager Lawrence Burns. Anderson, so berichtet es ein Kollege, bezeichnet sich selbst gern als „bear with a sore head“, als „Bär mit schmerzendem Kopf“. Darunter versteht man einen Menschen mit aufbrausendem Temperament, der auf Streit aus ist. Eigentlich ist das Idiom negativ belegt, doch genau solche herausfordernden Typen brauche ein Fondshaus, um die eigene Strategie zu hinterfragen, so der Ansatz der Partner von Baillie Gifford.
Neugier sieht Anderson als Tugend, die er auch privat anzuwenden versucht. Er hat lange Jahre in den USA und europäischen Hauptstädten wie Amsterdam und Berlin verbracht und bedauert, dass die Corona-Pandemie seine Pläne für eine Exkursion ins chinesische Hangzhou und einen einjährigen Aufenthalt in Paris vereitelt hat. Der leidenschaftliche Leser versucht zudem, 50% seiner Lektüre in Werke „von außerhalb der anglo-amerikanischen Blase“ zu investieren, besonders die Romane Émile Zolas haben bei ihm Eindruck hinterlassen.
In seiner Freizeit frönt er aber auch profaneren Leidenschaften – so ist er großer Fan von Heart of Midlothian, einem der beiden Fußball-Erstligisten aus Edinburgh, die seit jeher im Schatten der großen Clubs aus Glasgow stehen. In den vergangenen Jahren hat er mehrere Millionen Pfund an seinen Verein gespendet und dabei geholfen, der Charity-Organisation „Save the Children“ den Platz auf der Trikotbrust der Hearts zu sichern, den sonst eine kommerzielle Marke eingenommen hätte.
Für Baillie Gifford kommt es nun darauf an, einen neuen Brummbär mit weichem Herz zu finden. Sein Nachfolger Tom Slater wirkt eher weniger wie ein klassisches Raubein, allerdings hat Anderson ihn mit aufgebaut: Die beiden lenken den Scottish Mortgage bereits seit 2015 gemeinsam. Slater, der als präziser Analytiker gilt, arbeitet wie die meisten Partner von Baillie Gifford bereits seit Beginn seiner Karriere bei dem Assetmanager. Zuvor schloss er im Jahr 2000 ein Studium der Computerwissenschaften und Mathematik an der Universität von Edinburgh ab – ein Studium der Betriebswirtschaftslehre wäre seinen Chancen auf ein Engagement bei Baillie Gifford eher abträglich gewesen.
Slater lebt mit seiner Frau, einer Genforscherin, und ihren drei Kindern in Morningside, einem südwestlich gelegenen Bezirk der schottischen Hauptstadt. Der Anderson-Erbe will seine nachhaltigen Grundsätze auch persönlich vertreten. So fährt er mit dem Rad ins Büro – wenn er längere Strecken zurücklegen muss, greift er gerne auf seinen Tesla Model 3 zurück. Slater vertritt den Grundsatz, dass sich auch der erfolgreichste Stockpicker eigene Fehler eingestehen muss. Auch Anderson spricht offen über eine verpasste Gelegenheit, die er bereut: Als Louis Vuitton und Moët Hennessy in den 1980er Jahren fusionierten, gefielen ihm die Umstände des Zusammenschlusses nicht, so dass er die LVMH-Aktie nie wieder anrührte. „Daraus habe ich gelernt: Lass dich nie von Ressentiments der Vergangenheit leiten, das führt einfach zu nichts“, blickt der Brummbär auf eine Karriere mit vielen Investment-Erfolgen zurück.