Cingolani bringt Leonardo auf Trab
CEO setzt auf Allianzen
Roberto Cingolani mischt Leonardo auf
Chef des Rüstungskonzerns setzt auf europäische Allianzen
bl Mailand
Von Gerhard Bläske, Mailand
Die Karriere von Leonardo-CEO Roberto Cingolani (62) ist in den vergangenen Jahren regelrecht explodiert. Der dynamische und temperamentvolle Physiker, der von 2005 bis 2019 wissenschaftlicher Direktor des Genueser Forschungsinstituts Istituto Italiano di Tecnologia (IIT) war, wurde unter Premierminister Mario Draghi Minister für die ökologische Transformation. Er stand für die erfolgreiche Befreiung aus der Abhängigkeit von russischen Gaslieferungen und war ein vehementer Befürworter eines Gaspreisdeckels. Auch Draghis Nachfolgerin Giorgia Meloni schätzt ihn sehr. Sie bot ihm einen Ministerposten an, den er aber ablehnte. Er wurde ihr Berater für Energiefragen und im Frühjahr 2022 als Nachfolger von Alessandro Profumo Chef des Rüstungskonzerns Leonardo.
Cingolani, der seinen Wohnsitz in Genua hat, wirbelt Leonardo kräftig durcheinander. Der frühere Professor an der Universität Lecce, der selbst mehr als 100 Patente hat und Experte für Robotik und künstliche Intelligenz ist, kannte den zu 30% staatlichen Konzern schon ganz gut. Denn von 2019 bis 2021 war er dort verantwortlich für Technologie und Innovationen. Als CEO setzt er auf Digitalisierung und europäische Allianzen.
Im Panzerbau wollte er zunächst ein Bündnis mit der deutsch-französische KNDS (Krauss-Maffei Wegmann/Dexter). Doch als man sich nicht einigen konnte, schwenkte er um auf Rheinmetall. Gemeinsam mit den Deutschen will er am Panzerkonzept der Zukunft mitwirken. Die italienische Regierung will für 20 Mrd. Euro Kampfpanzer vom Typ Panther und Schützenpanzer vom Typ Lynx bestellen. Dafür einigten sich die Partner auf einen hohen italienischen Fertigungsanteil von etwa 60%. In der Raumfahrt setzt Cingolani auf eine Partnerschaft mit der französischen Thales. Und in der Rüstungselektronik hat Leonardo über die 25,1-prozentige Beteiligung an Hensoldt auch ein starkes Standbein in Deutschland.
In anderen Sektoren arbeitet Leonardo schon seit vielen Jahren mit Partnern wie Airbus und BAE Systems (MBDA) zusammen. Ein Schwerpunkt ist der Hubschrauberbau. Die US-Tochter AgustaWestland kooperiert mit Sikorski und Bell. In der Luftfahrt sind die Italiener bei der Endmontage des US-Kampfjets F-35, beim Eurofighter-Konsortium und beim Regionalflugzeugbauer ATR dabei. Gemeinsam mit Großbritannien und Japan entwickeln sie mit dem Tempest ein Kampfflugzeug der Zukunft in Konkurrenz zum deutsch-französisch-spanischen Future Combat Air System. Wer mag, kann darin einen Widerspruch zum Bekenntnis zu europäischen Projekten und der Forderung nach einem großen europäischen Rüstungsprogramm sehen.
Der umtriebige Cingolani, der von 1989 bis 1991 am Stuttgarter Max-Planck-Institut für Festkörperforschung gearbeitet hat, trennt sich auch von nichtstrategischen Aktivitäten. Und er will im Rahmen seines Strategieplans auch die Aktionäre in Form von Dividenden und Aktienrückkaufprogrammen angemessen am Erfolg des Unternehmens beteiligen, das stark vom Nachfrageboom in der Rüstungsbranche profitiert. Der Aktienkurs explodiert geradezu unter der Führung Cingolanis. Binnen eines Jahres hat er um 110% zugelegt. Analysten sind überwiegend positiv gestimmt.
Ob der in zweiter Ehe mit einer Griechin verheiratete Cingolani, Vater von drei Kindern, genug Zeit hat, seine ehrgeizigen Ziele bei Leonardo umzusetzen, ist offen. Er gilt als potenzieller Kandidat für den Posten eines EU-Kommissars.