Im Porträt:Stephan Leithner, Deutsche Börse

Positiv unvollendet

Seit dem 1. Oktober ist Stephan Leithner Co-CEO der Deutschen Börse. Was den Österreicher antreibt, wie er tickt, warum er trotz entsprechendem Lebenslauf und M&A-Vita kein typsicher Investmentbanker ist und welche großen strategischen Themen den eher zurückhaltenden Strategen emotional werden lassen – ein Porträt.

Positiv unvollendet

Im Porträt: Stephan Leithner

„Einen Beitrag zum Finanzplatz leisten“

Stephan Leithner wird Co-CEO der Deutschen Börse

Von Philipp Habdank, Frankfurt

Seit dem 1. Oktober ist Stephan Leithner Co-CEO der Deutschen Börse. Was den Österreicher antreibt, wie er tickt, warum er trotz entsprechendem Lebenslauf und M&A-Vita kein typsicher Investmentbanker ist und welche großen strategischen Themen den introvertieren Strategen emotional werden lassen – ein Porträt.

Seit dem 1. Oktober ist Stephan Leithner Co-CEO der Deutschen Börse. Ab dem kommenden Jahr wird er den Dax-Konzern dann allein führen und Theodor Weimer ablösen. Es ist für ihn der erste CEO-Job.

Zum ersten Mal wählt die Deutsche Börse ihren Chef damit aus den eigenen Reihen. Eine logische Entscheidung – haben doch Leithner und Weimer zusammen die Strategie der Börse seit 2018 maßgeblich verändert. Aus einem Börsenbetreiber, dessen Zusammenschluss mit der London Stock Exchange gescheitert war, ist ein breit aufgestellter Infrastrukturanbieter geworden mit gut 5 Mrd. Euro jährlichen Nettoerlösen und knapp 3 Mrd. Euro operativem Gewinn.

Dieser Erfolg geht zu einem großen Teil auf das Konto von CEO Weimer. Doch der langjährige Investmentbanker Leithner hat mit seinen eingefädelten M&A-Deals außerhalb des klassischen Börsengeschäfts einen maßgeblichen Anteil daran, dass die Deutsche Börse heute strategisch auf breiteren Beinen steht. Beispielhaft ist die Übernahme des dänischen Spezialsoftware-Anbieters Simcorp, die größte Übernahme in der Geschichte der Deutschen Börse.

Auf einem guten Weg

Ein Erfolg, den Leithner selbst aber nicht zu wichtig nimmt. Die Simcorp-Übernahme als das Meisterstück seiner Karriere zu bezeichnen wäre bei weitem zu hoch gehängt, wie er selbst sagt. Man habe die Übernahme gemacht, Leithner sei stolz darauf, wie gut sie funktioniert habe, und er sieht die Deutsche Börse damit auf einem guten Weg. Aber: „Ein Meisterstück kann es erst sein, wenn auch die Integration erfolgreich abgeschlossen ist.“

Ohnehin ist der Spezialsoftware-Anbieter Simcorp nur ein Puzzlestück eines größeren Projekts, an dem Leithner mit seinem Team nun seit fünf oder sechs Jahren gemeinsam arbeitet: dem Aufbau des Geschäftssegments Investment Management Solutions (IMS).

Erfolge bei der Deutschen Bank

Erfolg müsse immer nachhaltig sein und in großen zeitlichen Dimensionen gesehen werden. Leithner ist jetzt seit 30 Jahren im Finanzsektor tätig. So war er beispielsweise über zehn Jahre bei der Deutschen Bank, die er mit seinem Team in dieser Zeit im M&A- und Emissionsgeschäft in Europa von der Nummer 9 zur Nummer 1 gemacht habe. Er tat dies damals aus der Überzeugung heraus, dass Europa eine eigene starke Investmentbank braucht. Aus diesem Grund ist er von McKinsey zur Deutschen Bank gewechselt und nicht zu einer großen US-Investmentbank. Umso härter muss ihn die anschließende Krise der Deutschen Bank getroffen haben, die er selbst als das einschneidendstes Erlebnis seiner Karriere bezeichnet.

Kein renditeorientierter Investmentbanker

Leithner ist aber weit mehr als der renditeorientierte Investmentbanker, der durch clevere M&A-Deals den Unternehmenswert der Deutschen Börse nach oben treibt. Auch wenn der Tiroler lange im Investment Banking der Deutschen Bank unterwegs war und kurzzeitig auch für den schwedischen Private-Equity-Investor EQT nach Übernahmezielen gesucht hat, wirkt Leithner nicht wie der Prototyp des schillernden Rainmakers. Im Gegenteil: Sein Auftreten ist ruhig, er wirkt mehr intro- als extrovertiert. Leithner gibt sich als Teamplayer, der sich nicht in den Vordergrund drängt. Und das nimmt man ihm ab.

Die Weiterentwicklungen und Veränderungen bei Clearstream sind genauso wichtig wie das Voranbringen unserer Trading- und Clearing-Dienstleistungen.

Stephan Leithner, Deutsche Börse

Nachhaltiger Erfolg

Denn bei all der öffentlichen Aufmerksamkeit, die Leithners Geschäftssegment IMS gerade erhält, wird er nicht müde zu betonen, welchen Stellenwert die traditionellen Geschäftsfelder der Deutschen Börse haben. „Wir sollten nicht vergessen, dass die Weiterentwicklungen und Veränderungen bei Clearstream über die letzten sieben Jahre mindestens genauso wichtig sind wie das Voranbringen unserer Trading- und Clearing-Dienstleistungen.“ Clearstream sei eine Geschichte bei der Deutschen Börse, die über 20 Jahre geschrieben wurde. In diesen Dimensionen müsse man denken, um nachhaltigen Erfolg in Infrastrukturgeschäften zu messen.

Leithner gegen TCI

Denn in den ersten zehn Jahren sei es keinesfalls ausgemacht gewesen, dass die Abwicklungs- und Verwahrgesellschaft ein Erfolg für die Deutsche Börse werde. Man habe die Mehrheit gekauft. Anschließend kam der aktivistische Investor TCI und forderte drei Jahre lang vehement, Clearstream wieder zu verkaufen. Auch wenn Leithner damals noch nicht bei der Deutschen Börse arbeitet, so hat er dennoch entscheidend seine Finger im Spiel. „Ich war zu dieser Zeit bei der Deutschen Bank und wir waren von der Deutschen Börse als Berater mandatiert, um das Unternehmen als Ganzes zusammenzuhalten“, erinnert er sich.

Ich war zu dieser Zeit bei der Deutschen Bank und wir waren von der Deutschen Börse als Berater mandatiert, um das Unternehmen als Ganzes zusammenzuhalten.

Stephan Leithner, Deutsche Börse

Leithner ist ein Stratege, der Entscheidungen nicht aus dem Bauch heraus, sondern wohlüberlegt mit kühlem Kopf trifft. Was allerdings nicht bedeutet, dass er nicht auch leidenschaftlich werden kann. Wer sich mit ihm länger unterhält, der merkt aber schnell, dass es keine einzelnen Deals, Titel oder Preise sind, die Leithners Passion sind. Den Corporate-Finance-Award selbst hätte er am Abend der Verleihung, bei der er das gesamte Team auf die Bühne geholt hat, am Ende wahrscheinlich sogar auf dem Tisch stehen lassen. Wichtiger war ihm, sich am Ende mit dem Team zusammen auf die Suche nach der Bar zu machen, um den Erfolg zu feiern. Eine Kollegin nahm die Trophäe letztendlich mit.

Was den Börsenchef antreibt

Emotional und leidenschaftlich wird Leithner dann, wenn er über große und vor allem strukturelle Themen spricht, die seiner Meinung nach nicht optimal, zu langsam oder sogar komplett in die falsche Richtung laufen. Sich selbst bezeichnet er als ungeduldig. „Einen Beitrag zum deutschen Finanzplatz zu leisten, das treibt mich heute an und das hat es auch schon in den vergangenen 25 Jahren getan“, sagt der Co-Börsenchef. Eines dieser strukturellen Themen ist für ihn die niedrige Anzahl von Börsengängen in Europa und speziell in Deutschland. Nur 10% aller globalen Börsengänge würden in der EU stattfinden. „Das dürfen wir uns nicht schönreden.“

Einen Beitrag zum deutschen Finanzplatz zu leisten, das treibt mich heute an und das hat es auch schon in den vergangenen 25 Jahren getan.

Stephan Leithner, Deutsche Börse

Das Problem sieht Leithner nicht darin, dass es zu wenige deutsche Unternehmen gibt, die an die Börse wollen. Das Problem sei vielmehr, dass es nicht genügend Investoren gebe. Doch dieses Problem ist nicht gottgegeben. Investoren sind kein Rohstoff, den ein Land entweder hat oder eben nicht. Schweden habe bewiesen, dass sich das Problem in einer sehr überschaubaren Zeit beheben lässt. „Schweden hat durch seine großen Pensionsfonds – die sind nicht mehr als 25 Jahre alt – ein Ökosystem geschaffen, in dem es eine strukturelle Nachfrage nach Investitionen gibt, die sich in strukturell besseren Bewertungen [für Unternehmen] niederschlagen“, sagt Leithner.

Er kennt den Markt

Das sei der Grund, weshalb deutsche Firmen und Start-ups nach Amerika gehen würden – weil Investoren dort investieren und Unternehmen dadurch eine bessere Bewertung erwarten würden. „Ich bin da auch deswegen so leidenschaftlich, weil ich diese Situationen aus den verschiedenen Blickwinkeln kenne. Ich habe IPOs selbst in Deutschland und den USA begleitet und weiß, wie hoch der konstruktive Anlagedruck von Investoren dort ist, wenn ein IPO zugeteilt wird“, so Leithner, der dieses strukturelle Problem als CEO der Deutschen Börse aber nicht allein lösen könne.

Ich bin so leidenschaftlich, weil ich diese Situationen aus den verschiedenen Blickwinkeln kenne.

Stephan Leithner, Deutsche Börse

„Aber ich kann wichtige Initiativen wie WIN aktiv unterstützen“, sagt Leithner. Im Rahmen der Initiative für Wachstums- und Innovationskapital WIN haben Versicherungen und andere Kapitalsammelstellen zugesagt, bis 2030 mindestens 12 Mrd. Euro in Deutschland in Venture Capital zu investieren. Gleiches gelte für die Kapitalmarktunion: „Ich sage ganz klar: Das Erste und Wichtigste ist, dass wir in Europa einen Kapitalstock schaffen, der in Europa aber auch international angelegt werden muss“, so Leithner.

Zu viele Handelsplätze

Ein Dorn im Auge sind dem künftigen Börsenchef die 500 Handels- und Ausführungsplätze, die es in Europa über alle Anlageklassen hinweg gebe. Leider sei der Marktanteil der transparenten, öffentlichen Börsen, wie die der Frankfurter Börse, Xetra oder Euronext in den vergangenen 15 Jahren von 70% auf nur noch rund 35% zurückgegangen. „Das Problem sind nicht die 35 öffentlichen, transparenten Börsen in der EU, wie es aktuell oft über den Diskurs zu einer möglichen Konsolidierung dargestellt wird“, sagt Leithner.

Diese Fragmentierung in Europa ist entstanden durch Mifid und kommt unserem Ökosystem nicht zugute.

Stephan Leithner, Deutsche Börse

Fragmentierung reduzieren

Vielmehr gebe es über 200 Handels- und Ausführungsplätze allein im Aktiensegment, die nicht transparent seien – und intransparente Preise seien immer schlechtere Preise. „Diese Fragmentierung in Europa ist entstanden durch [die Finanzmarktrichtlinie] Mifid und kommt unserem Ökosystem nicht zugute“, kritisiert Leithner. Er fordert deshalb, diese Fragmentierung regulatorisch zu reduzieren. Man müsse Europa nur dahin zurückführen, wo die USA schon seien. „Das ist regulatorisch absolut möglich.“

Weniger Börsen bedeutet konzentriertere Handelsvolumina. Regionalbörsen zusammenzulegen spare natürlich auch Kosten. Doch das größte Problem des europäischen Aktienmarktes ist laut Leithner die künstliche regulatorische Fragmentierung, gepaart mit einem sehr hohen Anteil von intransparentem Handel. „Und wenn wir dieses Problem gelöst haben, dann sprechen wir darüber, ob wir aus den 35 Börsen lieber fünf oder vier machen wollen.“

Wenn wir dieses Problem gelöst haben, dann sprechen wir darüber, ob wir aus 35 Börsen lieber fünf oder vier machen wollen.

Stephan Leithner, Deutsche Börse

„Wenn wir die kritischen Pensionsvolumina aufbauen, Liquidität wieder zusammenführen und Transparenz in den Märkten schaffen, dann werden wir in Europa ein IPO-Ökosystem sehen, bei dem niemand mehr nach Amerika gehen muss.“ Doch bis dahin bleibt noch viel zu tun. Der europäische Aktienmarkt und wohl auch das IMS-Projekt der Deutschen Börse – und irgendwie auch der angehende Börsenchef Stephan Leithner selbst: Sie sind „positiv unvollendet“.

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