Die schwierige Suche nach einem neuen ESM-Chef
Von Andreas Heitker, Brüssel
Sich einen Euro-Rettungsschirm oder eine Eurogruppe ohne Klaus Regling vorzustellen fällt schwer. Der Volkswirt, der schon im Bundesfinanzministerium und in der EU-Kommission am Aufbau der Währungsunion gearbeitet hatte, war von Beginn an dabei, als 2010 zunächst die Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität (EFSF) aus der Taufe gehoben wurde. In Luxemburg startete er als Geschäftsführender Direktor in ein paar Büroräumen, die von der Europäischen Investitionsbank (EIB) gerade nicht genutzt wurden. Es gab ein Telefon. Und die erste Investition erfolgte dem Vernehmen nach in eine vernünftige Kaffeemaschine.
Seit September 2012 ist Regling auch Managing Director des auf Dauer von den Euro-Ländern angelegten Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM). Doch damit ist schon bald Schluss: Am 7. Oktober – wenige Tage nach seinem 72. Geburtstag – läuft das zweite Mandat von Regling aus. Eine Verlängerung ist ausgeschlossen. Und für den Euro-Rettungsfonds bricht dann eine neue Zeitrechnung an.
Deutsche ohne Chance
Am Montag haben sich die Finanzminister der Euro-Staaten erstmals über die Nachbesetzung informell ausgetauscht. Konkrete Namen wurden noch nicht verhandelt. Gewählt wird der neue ESM-Chef vom ESM-Gouverneursrat – da dieser aber ohnehin identisch mit der Eurogruppe ist, nutzte Präsident Paschal Donohoe das Treffen der Eurogruppe in Brüssel dazu, um die Suche nach einem Regling-Nachfolger oder einer -Nachfolgerin zu starten. Donohoes Ziel ist es, eine Einigung bis zum nächsten Jahrestreffen des Gouverneursrates am 16. Juni zu erzielen. Sollte dies nicht gelingen, wäre die Eurogruppe am 11. Juli wohl die letzte Gelegenheit, die neue ESM-Führung mit genügend zeitlichem Vorlauf und ohne die Einberufung von Sondersitzungen zu bestellen.
Dass die Bundesregierung es schafft, erneut einen deutschen Kandidaten an die Spitze des ESM zu hieven, wird als schwierig angesehen. Denn aktuell stehen ja auch in anderen europäischen Finanz- oder Aufsichtsbehörden Deutsche am Steuer: Werner Hoyer in der EIB, Elke König beim Single Resolution Board (SRB) oder Klaus-Heiner Lehne beim EU-Rechnungshof.
Nach Informationen der Börsen-Zeitung hat das Finanzministerium in Berlin daher als strategisches Ziel in den anstehenden Verhandlungen ausgerufen, den Euro-Rettungsfonds als „zentralen Pfeiler der Stabilitätsarchitektur der Währungsunion“ zu erhalten. Deutschland dürfte damit vor allem Kandidaten aus Ländern unterstützen, die in den vergangenen Jahren als die „sparsamen vier“ oder als die „neue Hanse“ auf sich aufmerksam gemacht und die Beibehaltung eines streng stabilitätsorientierten Finanzkurses in Europa gefordert haben. Zu nennen sind hier insbesondere die Niederlande und Österreich, aber auch Irland, Finnland und die baltischen Länder. Namen sind noch keine gefallen. Lediglich die Niederlande hatten schon Interesse bekundet.
Die Interessenlage der Südeuropäer dürfte dagegen eine andere sein: Länder wie Spanien, Portugal und insbesondere die hoch verschuldeten Staaten Griechenland und Italien liebäugeln eher damit, die Einsatzgebiete des Stabilitätsmechanismus zu vergrößern und auch die Vergabekriterien der Kredite aufzuweichen. In Italien steht der ESM ohnehin schon lange unter besonderer Beobachtung der Öffentlichkeit, seit Rechtspopulist Matteo Salvini einst eine Debatte losgetreten und damit die ganze ESM-Reform zeitweise ausgebremst hatte.
Aufgabe: Stigma loswerden
Ratifiziert ist die Reform im Übrigen bis heute nicht, auch wenn sie eigentlich schon Anfang 2022 greifen sollte. Dies liegt auch an Italien – im Wesentlichen allerdings an einer noch beim Bundesverfassungsgericht anhängigen Klage. Sollte die Reform tatsächlich noch vor dem Abschied von Regling in Kraft treten, wäre damit der Instrumentenkasten des ESM neu sortiert, die Kompetenzverteilung mit der EU-Kommission in Krisenzeiten neu geregelt, und vor allem würde der Rettungsfonds auch die Letztsicherung des europäischen Bankenabwicklungsfonds SRF übernehmen und damit seine Bedeutung noch mehr ausweiten.
Reglings Nachfolger könnte damit gleich ein neues Kapital aufschlagen. Allerdings wird auch er sich zunächst einmal damit befassen müssen, das Stigma loszuwerden, das dem ESM seit der Griechenland-Krise anhaftet. Wie der Teufel das Weihwasser meiden Krisenstaaten die Kreditangebote aus Luxemburg. Dass der ESM von seinen 200 Mrd. Euro Coronakrediten, die zu nahezu Nullzinsen und Nullkonditionen angeboten wurden, null Cent losgeworden ist, sollte jedem in der Währungsunion zu denken geben.
Wenig Interesse an Reglings Nachbesetzung kommt derzeit übrigens aus Paris, obwohl die französische Führung üblicherweise immer frühzeitig mitmischt, wenn es strategisch wichtige Posten in Europa zu vergeben gibt. Dem Vernehmen nach ist Frankreich aber eher an der Besetzung des Chefpostens bei der ebenfalls in Luxemburg ansässigen Europäischen Investitionsbank interessiert. Das Mandat von Hoyer läuft allerdings noch bis Januar 2024.