Ehemaliger RTL-Chef führt ProSiebenSat.1
Von Joachim Herr, München
Andreas Wiele, der Aufsichtsratsvorsitzende von ProSiebenSat.1, sorgt fünf Monate nach seinem Antritt für einen Tausch an der Konzernspitze. Unverhohlen heißt es gleich im ersten Satz der Pressemitteilung, der Aufsichtsrat habe einen Wechsel beschlossen. Erst ein paar Sätze weiter ist das in solchen Fällen obligatorische „gegenseitige Einvernehmen“ mit Rainer Beaujean (54) erwähnt. Am Dienstagmorgen ist der bisherige Vorstandsvorsitzende auf den Internetseiten des Medienkonzerns aus dem Vorstandsteam schon verschwunden. In der Branche heißt es, die Chemie zwischen dem Medienmanager Wiele und dem Finanzexperten Beaujean habe nicht gestimmt.
Enger verbunden fühlt sich Wiele offenbar mit Beaujeans Nachfolger Bert Habets (51), der am 1. November beginnt. Wie den früheren Axel-Springer-Vorstand Wiele wählte die Hauptversammlung Habets im Mai in den Aufsichtsrat. Habets ist seit 14 Jahren der erste Vorstandsvorsitzende von ProSiebenSat.1, der mit der Erfahrung als Branchenfachmann seine Aufgabe startet. Wiele bezeichnet ihn als einen „der profiliertesten und erfolgreichsten Medienmanager Europas“.
Als Banktrainee begonnen
Der Niederländer Habets war von 2021 bis vor kurzem Chef des griechischen Medienkonzerns Antenna. Im April 2019 hatte der frühere Chief Executive Officer der RTL-Gruppe den Konkurrenten von ProSiebenSat.1 kurzfristig verlassen. Offiziell wurden damals familiäre Gründe genannt, doch in der Medienbranche ist von Differenzen zwischen Habets und Thomas Rabe zu hören, dem Chef von Bertelsmann und seit Habets Abgang auch von RTL.
Habets hatte seine Karriere 1995 als Trainee in der niederländischen NIBC Bank begonnen. 1999 wechselte er als Projektmanager zur RTL-Gruppe in Luxemburg. Von 2008 bis 2017 war er Chef von RTL Niederlande, anschließend zunächst Co-CEO und von 2018 bis zu seinem Abgang alleiniger CEO der RTL Group.
Wiele erhofft sich vom künftigen Vorstandsvorsitzenden von ProSiebenSat.1 „einen signifikanten Beitrag zu den Wachstumsplänen“ des Unternehmens. Er soll die Entwicklung zu einem Digitalkonzern vorantreiben. Dazu gehört die Streaming-Plattform Joyn, die noch Verluste beiträgt und ProSiebenSat.1 nach dem Ausstieg des US-amerikanischen Partners Discovery nun allein betreibt.
Habets wird im Vorstand unter anderem für die Segmente Commerce & Ventures, unter anderem mit Beteiligungen an Onlinehändlern und Verbraucherportalen, sowie Dating & Video verantwortlich sein. Zum zweiten Segment gehört die Parship Meet Group, deren Börsengang wegen des schwierigen Umfelds vorerst ausgesetzt bleibt. Aktuell machen beiden Privatsendergruppen – ProSiebenSat.1 und RTL – die sinkenden Werbeerlöse wegen des abgekühlten Konsumklimas zu schaffen.
Kein Einfluss von Berlusconi
An der grundsätzlichen Strategie des Unternehmens werde sich nichts ändern, beteuert eine Sprecherin: „Wir glauben weiterhin daran, dass ProSiebenSat.1 bestens aufgestellt ist, um die Entwicklung zu einem Digitalkonzern erfolgreich umzusetzen.“
An der Strategie und auch an Beaujean hatte der italienische Großaktionär Media for Europe (MFE) gelegentlich via Interviews Kritik geäußert, verzichtete bisher aber auf ein Mandat im Aufsichtsrat. Das von der Familie Berlusconi kontrollierte Unternehmen besitzt laut der bisher letzten Stimmrechtsmitteilung direkt 24,26% der Aktien von ProSiebenSat.1. Zum Wechsel an der Spitze sagt die Unternehmenssprecherin im Zusammenhang mit MFE : „Andreas Wiele hat heute deutlich zu verstehen gegeben, dass die personelle Veränderung im Vorstand in keiner Weise mit einem Einfluss von MFE in Verbindung steht.“
Abfindung für zwei Jahre
Beaujean kam im Juli 2019 als Finanzvorstand ins Unternehmen und wurde im März 2020 nach der Trennung von Max Conze Vorstandssprecher. Im Dezember des vergangenen Jahres verlängerte der Aufsichtsrat mit dem damaligen Vorsitzenden Werner Brandt Beaujeans Vertrag um fünf Jahre bis Juni 2027. Zudem wurde Beaujeans Position mit dem Wechsel vom Sprecher zum Vorsitzenden formal aufgewertet. Der Aktienkurs ist seit seinem Antritt als CEO im März 2020 leicht gestiegen, hat sich aber seit dem Hoch im Sommer 2021 nahezu gedrittelt. Die Abfindung, mit der Beaujean nun rechnen kann, dürfte sich auf zwei Jahresgehälter beschränken, da das Unternehmen laut seinem Vergütungsbericht der Empfehlung des Corporate Governance Kodex folgt.
Im Vorstand wird Habets mit Finanzchef Ralf Peter Gierig starten sowie mit Wolfgang Link, der für das größte Segment Programm (Entertainment) zuständig ist, und mit Personalchefin Christine Scheffler. Links und Schefflers Verträge wurden im Sommer um fünf Jahre bis Ende 2027 verlängert.
