Kuroda gerät von allen Seiten unter Druck
Von Martin Fritz, Tokio
Haruhiko Kuroda ist gerade nicht zu beneiden: Der 77-jährige Gouverneur der Bank of Japan (BoJ) steht vor der härtesten Herausforderung seiner mehr als neunjährigen Amtszeit, weil ein plötzlicher Inflationsschub und der Absturz des Yen auf ein 24-Jahres-Tief zum Dollar das versprochene Festhalten an seiner ultralockeren Geldpolitik in Frage stellen. In dieser Woche gelang es der Notenbank nur mit großer Mühe, ihre Renditeziele für Anleihen zu verteidigen.
Seit April hatte die BoJ unbegrenzte Kaufgebote für neue zehnjährige Staatsanleihen (JGBs) zu 0,25% abgegeben und damit einen Renditeanstieg über ihr inoffizielles Ziel hinaus verhindert. Aber schon vor der absehbaren starken Zinsanhebung um 75 Punkte in den USA rentierten Anleihen mit einer Restlaufzeit von sieben bis neun Jahren plötzlich höher als zehnjährige JGBs. Hier hielt die Notenbank mit Kaufgeboten zu 0,0% dagegen. Doch die Notierungen am Terminmarkt deuten darauf hin, dass einige Händler unverdrossen auf eine Änderung der Geldpolitik spekulieren, zum Beispiel durch eine Flexibilisierung der Kontrolle der Zinskurve. Denn der wachsende Renditeabstand von US-Treasuries und JGBs schwächt den Yen und treibt die Inflation erstmals seit 2014 über die offizielle Zielrate von 2%. Damit nicht genug: Kuroda zog durch eine ungeschickte Wortwahl den Zorn des normalen Japaners auf sich. In einer öffentlichen Rede am 6. Juni hatte er erklärt, die Toleranz der japanischen Haushalte für Preiserhöhungen habe zugenommen. Dabei bezog sich der Gouverneur auf eine externe Umfrage, wonach der Anteil der Japaner, die trotz einer Preiserhöhung weiter dieselbe Menge und im selben Supermarkt einkaufen würde, gestiegen ist. In der Vergangenheit hatte Kuroda die niedrige Inflationserwartung der Konsumenten mit deren „deflationärer Mentalität“ begründet.
Streit über Toleranzbegriff
Den Begriff „Toleranz für höhere Preise“ verwendet die BoJ schon länger. Daher dürfte Kuroda von der starken Reaktion der Konsumenten überrascht worden sein. Laut einer Umfrage der Agentur Kyodo erklärten 77% der Japaner, sie hielten seine Aussage für „unangebracht“. In der Presse und im Fernsehen ärgerten sich Bürger deutlich darüber, wie „weit entfernt“ Kuroda vom Leben der kleinen Leute sei. Die Empörung war so heftig, dass der Notenbankchef sich bei einer Befragung im Parlament entschuldigen musste.
Nach Ansicht einiger Analysten wollte der BoJ-Chef sogar möglicherweise eine Kurskorrektur der Geldpolitik vorbereiten. Aber Premierminister Fumio Kishida gab ihm vor dem Monatstreffen der BoJ am Donnerstag und Freitag Rückendeckung. Die Notenbank solle an ihrem Inflationsziel von 2% festhalten, da die Geldpolitik über die Kreditzinsen einen großen Einfluss auf die Geschäftskosten von kleinen und mittleren Unternehmen habe, erläuterte der Regierungschef, der eine negative Auswirkung auf das Ergebnis der Parlamentswahl am 10. Juli befürchtet. Denn im Mai war die Zahl der Insolvenzen um 12% zum Vorjahr auf 517 und damit zum ersten Mal seit zwölf Monaten gestiegen – vor allem wegen der Preissprünge von Materialien und Energie. Höhere Kreditzinsen würden für noch mehr Geschäfte das Aus bedeuten.