Reeves lässt Labour seriös wirken
Rachel Reeves lässt Labour seriös wirken
Von Andreas Hippin, London
Rachel Jane Reeves (45) hat es geschafft, Labour nach den chaotischen Jahren unter der Führung von Jeremy Corbyn wieder wählbar erscheinen zu lassen. Anders als Parteichef Keir Starmer hatte sie keine Funktion im Schattenkabinett des Altlinken aus dem Londoner Stadtteil Islington inne. Ihr wird eher nachgesagt, als Genossin der Bosse in die Fußstapfen der Eisernen Lady (Margaret Thatcher) treten zu wollen. „Securonomics“ lautet ihr Mantra. Anders formuliert: keine Experimente.
Starmer übertrug ihr 2021 das Finanzressort. Sie werde niemals Schindluder mit den öffentlichen Finanzen treiben, versprach sie den Wählern. Im Falle eines Wahlsiegs würde die gebürtige Londonerin als erste Frau an der Spitze des Schatzamts stehen. Zuvor hatte Starmer auf Anneliese Dodds gesetzt, die er dann allerdings zur Frauen- und Gleichstellungsministerin herunterstufte.
Sachverstand wird anerkannt
In der City erfreut sich Reeves dank ihres bodenständigen Auftretens und ihres Sachverstands großer Beliebtheit. Es ist ihr zu verdanken, dass mehr als 120 Unternehmensgründer, CEOs und ehemalige Führungskräfte mit einem von der „Times“ veröffentlichten Schreiben die wirtschaftspolitischen Ziele von Labour unterstützten und erklärten, es sei „Zeit für einen Wechsel“. Unter ihnen fand sich John Holland-Kaye, der ehemalige Chef des Londoner Flughafens Heathrow, ebenso wie Andrew Higginson, der Chairman von JD Sports.
Bevor sie 2010 für den Wahlkreis Leeds West ins Unterhaus gewählt wurde, war die Absolventin der London School of Economics unter anderem für die Bank of England tätig. Dort analysierte sie das in Japan betriebene Quantitative Easing. Die britische Botschaft in Washington und Halifax Bank of Scotland waren weitere Stationen ihrer Karriere.
„Langweilig und verschnarcht“
Sie unterstützte Ed Miliband im Kampf um die Parteiführung. In seinem Schattenkabinett war sie zunächst als City-Ministerin, dann als Arbeits- und Rentenministerin vorgesehen. Dort vertrat sie eine harte Linie gegen Leistungsmissbrauch. Niemand solle sich vormachen, unter einer Labour-Regierung ein Leben lang von staatlichen Transferzahlungen leben zu können, sagte sie damals. Ian Katz, damals Chefredakteur von BBC Newsnight, nannte sie 2013 in einem Tweet „langweilig und verschnarcht“ („boring snoring“), wofür er sich anschließend bei ihr entschuldigte. An ihrer Wahrnehmung durch vergleichbare Medienvertreter dürfte sich seither aber nicht viel geändert haben.
Denn Reeves gehört nicht zu den „Trendy Lefties“, die das Bild der Partei in den Großstädten prägen. Die Mutter zweier Kinder unterstützte 2016 den glücklosen Owen Smith, der Corbyn die Parteiführung streitig machen wollte. Dem als „Magic Grandpa“ verspotteten Parteilinken, der damals gewann, war sie zu rechts. Reeves verschwand für eine Weile aus dem politischen Rampenlicht.
Immer zwei Züge voraus
Sie kam in Lewisham, im Londoner Südosten, als Kind zweier Lehrer zur Welt. Mit sieben Jahren begann sie, Schach zu spielen. Nach der Grundschule gewann sie den Meistertitel der British Women‘s Chess Association in der Altersgruppe bis 14 Jahre. Sie habe den Eindruck, ihre Leidenschaft für Schach helfe ihr im Wahlkampf, sagte sie dem „Guardian“. Sowohl im Spiel als auch in der Politik sei strategisches Denken entscheidend. Man müsse immer zwei Züge vorausdenken.
Reeves besuchte eine Gesamtschule für Mädchen. „Als ich in den 1980er und 1990er Jahren aufwuchs, hatten wir eine Regierung, die sich einfach nicht um normale Menschen und normale Schulen, wie die von mir besuchte, kümmerte“, schreibt sie auf ihrer Website. Es habe nicht genug Schulbücher gegeben und die Schulbibliothek habe in ein Klassenzimmer umgewandelt werden müssen. „Nach 14 Jahren konservativer Regierung ist es heute wieder so“, behauptet Reeves. Auf die Cator Park School for Girls folgte ein Bachelorabschluss der Universität Oxford (New College) in Philosophie, Politik- und Wirtschaftswissenschaften, dem sie einen Master of Science der London School of Economics in Volkswirtschaftslehre hinzufügte.
„Hervorragende Ökonomin“
Mark Carney, der ehemalige Gouverneur der Bank of England, lobte sie als „hervorragende Ökonomin“. Wer sich für ihr Denken interessiert, kann ihr Werk über die großen Frauen der Volkswirtschaftslehre lesen: The Women Who Made Modern Economics. Wird sie erste Schatzkanzlerin, ist auch ihr ein Platz in der britischen Geschichte sicher.