Schicksalstage für den Konzernchef der Baywa
Schicksalstage für den Vorstandschef der Baywa
Von Stefan Kroneck, München
Es sind schwierige Zeiten für Marcus Pöllinger. Die Existenzkrise des Agrarhandelskonzerns Baywa ist auch eine berufliche Krise des Vorstandsvorsitzenden. Wenn der CEO am 27. September die Zahlen des zurückliegenden zweiten Quartals vorlegt, dürfte aller Voraussicht nach die Erfolgsrechnung des Münchner SDax-Mitglieds abermals tiefrot ausfallen. Es wäre der vierte Verlust des Unternehmens in einem Dreimonatsabschnitt in Folge.
Hohe Zinsaufwendungen aufgrund eines Finanzschuldenbergs von über 5 Mrd. Euro und möglicherweise erneute Abschreibungen im Solar- und Windparkprojektgeschäft setzen dem Konzern zu. Das nagt an der Kapitalbasis. Das zehrt an der Liquidität der zum Genossenschaftssektor gehörenden Firma.
Umschuldung notwendig
Pöllinger Handlungs- und Entscheidungsspielraum ist begrenzt, da mit dem jüngsten Rettungspaket der beiden kreditgenossenschaftlichen Ankeraktionäre und der Gläubigerbanken vor allem Letztere bei der Baywa das Sagen haben. Die 550 Mill. Euro umfassende Überbrückungslösung, mit der eine drohende Insolvenz wegen Zahlungsunfähigkeit abgewendet werden konnte, läuft Ende dieses Sommerquartals aus.
Bis dahin müssen das Grundgerüst einer Umschuldung, die auf eine solide Kapitalstruktur auf der Passivseite der Bilanz abzielt, und die Eckpunkte einer angestrebten strukturellen Neuordnung der Konzernaktivitäten stehen. Die Baywa wird wohl einen großen Teil ihrer nicht zum Kerngeschäft zählenden Aktivitäten aufgeben bzw. verkaufen müssen. Das ist nicht nur für die Baywa ein Einschnitt, sondern auch für den Topmanager, der am 6. November dieses Jahres 46 Jahre alt wird. Für ihn sind das Schicksalstage. Im Juli musste er seine Pläne endgültig begraben, dass die Baywa noch aus eigener Kraft ihre selbstverschuldete Schieflage mit einem Ende März bekannt gegebenen Restrukturierungsprogramm meistern kann. Am 12. Juli erklärte der CEO den Konzern in einer Ad-hoc-Meldung als Sanierungsfall. Das sorgte bei Anlegern für einen Schock. Von dem drauffolgenden Kurseinbruch hat sich die Baywa-Aktie bislang nicht vollständig erholen können. Das Misstrauen und die Enttäuschung der Aktionäre sitzen zu tief.
Ursprünglicher Plan kassiert
Ende des gleichen Monats kassierte Pöllinger seine Jahresprognose für das operative Ergebnis und verschob die Bekanntgabe des Halbjahresberichts um neun Wochen. Mit Spannung wird nun für Mitte September ein Sanierungsgutachten inklusive Fortführungsprognose der damit beauftragten Berater von Roland Berger erwartet. Ein Sanierungskoordinator von Alix Partners sitzt beim Vorstand mit am Tisch. Das zeigt, dass die Gläubigerbanken, angeführt von der DZ Bank, LBBW und HypoVereinsbank, die Baywa nunmehr an der kurzen Leine halten, um über die Entwicklung täglich im Bilde zu sein.
Faktisch degradiert
Faktisch kommt das einer Degradierung des CEO gleich. In der Gemengelage wackelt Pöllingers Stuhl. Eine Neuordnung des Vorstands und des Aufsichtsrats wird nach dem Debakel ohnehin erwartet. Der CEO, der seit April vergangenen Jahres an der Konzernspitze steht, trägt kraft seiner herausgehobenen Position im Management eine entscheidende Mitverantwortung für das Desaster. Er trug den teuren Expansionskurs seines Amtsvorgängers Klaus Josef Lutz mit. Dem obersten Führungsorgan gehört der Diplom-Betriebswirt seit November 2018 an. Seit 16 Jahren ist er für das Unternehmen tätig. Vor seinem Aufstieg in den Vorstand leitete Pöllinger die Konzernsparte Baustoffe, die er unter seiner Regie wieder auf Vordermann brachte.
In der vor allem in München öffentlich ausgetragenen Diskussion über die Schuld an der Misere hält sich Pöllinger zurück. Das ist seine Art. Denn er gilt ohnehin nicht als großer Kommunikator. Im konkreten Fall fährt er mit dieser Zurückhaltung besser, als gezielt ins Rampenlicht zu treten, um sein Handeln zu rechtfertigen.
Der CEO tat gut daran, sich nicht auf eine erneute Schlammschlacht mit Lutz einzulassen. Letzterer versuchte über eine Kampagne in eigener Sache, die Dinge nach seiner Lesart zu erklären. Das verschaffte ihm zwar zeitweilig in der Öffentlichkeit eine Deutungshoheit über die Ereignisse, allerdings nicht zum Nutzen der Baywa, sondern ausschließlich zu seinem eigenen.
Keine weitere Schlammschlacht
Dieses Verhalten macht den Eindruck, als kämpft da einer um seine Reputation in der Wirtschaftselite und in hochgestellten gesellschaftlichen Kreisen in der bayerischen Landeshauptstadt. Schließlich ist der 66-Jährige seit 2021 Präsident der Industrie- und Handelskammer München und Oberbayern. Seine Stimme hat in der Wirtschaft des Freistaats Gewicht. Da passt die Existenzkrise der Baywa, die ihre Ursachen in seiner Ära als CEO (2008 bis März 2023) hat, nicht gut zum Image des Juristen.
Das Zerwürfnis
Beide haben ohnehin ein schwieriges Verhältnis zueinander. Im Januar sorgte die Baywa mit einem Machtkampf für Aufsehen. Lutz, der nach der Stabübergabe nahtlos in den Aufsichtsrat wechselte und dort den Vorsitz übernahm, wollte Pöllinger absetzen. Das war der Höhenpunkt eines Zerwürfnisses, nachdem Lutz seinen „Ziehsohn“ Pöllinger zu seinem Nachfolger aufgebaut hatte.
Lutz begründete sein Vorgehen damit, dass Pöllinger gegen Compliance-Regeln verstoßen habe. Medienberichten zufolge ging es um vertrauliche Personalakten von Vorständen, die eine Konzernmanagerin anlegen ließ. Diese Unterlagen bekam angeblich ein externer Berater zu Gesicht. Die anderen Aufsichtsratsmitglieder waren aber nicht bereit, Lutz zu folgen. In einer Sondersitzung des Gremiums sprach der Aufsichtsrat dem CEO sein Vertrauen aus. Ein Fehlverhalten sei nicht erkennbar gewesen, hieß es. Daraufhin warf Lutz nach nur acht Monaten das Handtuch. Er verließ die Baywa Knall auf Fall; seit Mai hilft nun der Kreditgenosse Gregor Scheller (66) als neuer Chefaufseher mit, die Firma ins Lot zu bringen. Pöllinger ging gestärkt aus dem Konflikt mit Lutz hervor. Kurz danach spitzte sich die Krise der Firma aber dramatisch zu.