US-Börsenaufsicht

SEC-Chef Gensler geht, bevor Trump ihn feuern kann

SEC-Chef Gary Gensler tritt mit dem Ende der Biden-Administration zurück. Er hinterlässt ein komplexes regulatorisches Erbe – und könnte dem Kapitalmarkt auf den letzten Metern noch einheizen.

SEC-Chef Gensler geht, bevor Trump ihn feuern kann

Chef von US-Börsenaufsicht flieht vor Donald Trump

Von Alex Wehnert, New York

Der Chef der US-Börsenaufsicht SEC nimmt seinen Hut, bevor Donald Trump ihn feuern kann. Gary Gensler, der die Regulierungsbehörde seit April 2021 führt, wird am 20. Januar 2025 um 12 Uhr mittags von seinem Posten zurücktreten, wie er am Donnerstag ankündigte. Der 67-Jährige bezeichnete es in einer Mitteilung als „Ehre seines Lebens“, „normalen Amerikanern“ zu dienen und sicherzustellen, dass „unsere Kapitalmärkte die besten der Welt bleiben“.

Gensler hat in seiner Amtszeit ambitionierte und kostspielige Regulierungsprojekte vorangetrieben und war deshalb aus beiden politischen Richtungen unter zunehmenden Druck geraten. Durch den Sieg Donald Trumps bei den US-Präsidentschaftswahlen nahm dieser noch einmal zu. Der Republikaner hatte bereits zugesagt, den SEC-Chef an seinem ersten Tag im Weißen Haus aus dem Amt zu werfen.

Der designierte US-Präsident Donald Trump hat hart gegen SEC-Chef Gary Gensler geschossen. Foto: picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Alex Brandon.

Der Rückzug des Behördenchefs dürfte auch Trumps prominentesten Unterstützer erfreuen: Elon Musk, der wohl rund 200 Mill. Dollar aufgewendet hat, um den Republikaner zurück ins Weiße Haus zu hieven und nun eine Rolle in der neuen Regierung übernehmen soll, liegt mit der SEC seit Jahren im Dauerstreit. Unter Gensler ist die Beziehung noch angespannter geworden als unter seinem Vorgänger Jay Clayton.

So stieß die Behörde 2022 eine Untersuchung zu Musks 44 Mrd. Dollar schwerer Übernahme von Twitter an. Diese dreht sich um mögliche Verstöße des Milliardärs gegen Meldepflichten für Wertpapierkäufe vor Abschluss des Deals. Die SEC lud Musk daraufhin im vergangenen Jahr vor und ersuchte eine richterliche Anordnung gegen den reichsten Mann der Welt, als dieser nicht zu seiner Anhörung erschien. Musk reagierte scharf. „Eine umfassende Reform dieser Behörden ist dringend nötig“, schrieb er auf X. Zudem forderte er die Einsetzung einer Kommission, die „Strafmaßnahmen gegen die Individuen ergreift, die ihre regulatorische Macht missbraucht“ hätten.

Elon Musk liegt mit der SEC seit Jahren im Dauerstreit. Foto: picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Alex Brandon.

Zuletzt war Gensler noch von einer Konferenz zur nächsten geeilt und hatte sich bezüglich des politischen Umfelds unbesorgt gezeigt. „Mit meinen Auftritten kämpfe ich weder um meinen Job, noch handelt es sich hier um Exit-Gespräche“, betonte er Ende Oktober auf der Messe „Money 20/20“ in Las Vegas auf die Frage, ob er sich auf Wahlkampftour befinde.

Kampf bis zur letzten Minute

Seine Entscheidung, bis zum letzten Tag der Biden-Administration im Amt zu bleiben, dürfte laut Washington-Insidern republikanische Politiker enttäuschen, die darauf gehofft hatten, ihn früher loszuwerden. Nun könne der ehemalige Goldman-Sachs-Investmentbanker auf den letzten Metern noch versuchen, restriktivere Marktregulierungen zu verabschieden – mit drei Sitzen haben die Demokraten derzeit schließlich noch die Mehrheit in der fünfköpfigen Kommission inne.

Große Settlement-Umstellung

Genslers Amtszeit geht hinsichtlich der angestoßenen Regulierungsprojekte als eine der aktivsten in die Geschichte der 1934 geschaffenen SEC ein. Dabei kann der Demokrat, der zu Regierungszeiten Barack Obamas bereits den Derivate-Regulator CFTC führte, durchaus auf Erfolge pochen. So hat seine Behörde Ende Mai eine komplexe Umstellung des Settlement-Zyklus in den USA weitgehend geräuschlos über die Bühne gebracht. Die Abwicklung von Wertpapiergeschäften erfolgt seither einen Tag statt wie zuvor zwei Tage nach dem Trade.

Die SEC verweist in ihrer Mitteilung zu Genslers Abschied zudem auf tiefgreifende Reformen im 28 Bill. Dollar schweren US-Staatsanleihemarkt. Denn ab Ende nächsten Jahres gilt für den Großteil der Treasury-Transaktionen in Cash eine Verpflichtung zum zentralen Clearing, ab dem 30. Juni 2026 greift dies auch für Repo-Geschäfte. Dies soll Kontrahentenrisiken reduzieren und die Effizienz im amerikanischen Kapitalmarkt erhöhen.

Furcht vor steigenden Handelskosten

Kritiker führen die Clearing-Reform allerdings als typisches Beispiel für die mangelnde Folgenabwägung an, die der Regulator unter Gensler bei seinen vielschichtigen Vorstößen getroffen habe. Gemäß einer Umfrage des Analysedienstleisters Coalition Greenwich unter einflussreichen Institutionen – darunter vier der fünf nach Umsatz größten Treasury-Dealer – rechnen 72% der Teilnehmer damit, dass die Handelskosten binnen zwei Jahren nach Einführung der Clearing-Pflicht anziehen werden.

Zudem erwarten 80% steigende Margin-Anforderungen. Eine solche Entwicklung geben wiederum 86% als Hauptgrund dafür an, dass sie ihre Aktivität im Sekundärmarkt reduzieren könnten. Mehr als die Hälfte der Befragten geht davon aus, dass die Zahl der Marktteilnehmer nach der Reform abnehmen wird. Damit könnte die Neuregulierung laut Branchenverbänden negative Folgen für das Treasury-Segment als sicheren Anlagehafen haben, von dessen Liquidität und Tiefe die Finanzmärkte rund um den Globus abhängig sind.

Harter Gegenwind aus der Branche

In anderen Fällen ist Gensler mit seinen Vorstößen am Gegenwind aus der Finanzbranche gescheitert. So preschte er mit groß angelegten Neuregulierungen zum Klima-Reporting von Unternehmen oder Transparenzpflichten für Private Funds vor und war nach heftiger Kritik stets gezwungen zurückzurudern.

Seine wohl herbste Niederlage erfuhr er 2023, als ein US-Gericht einen ablehnenden Bescheid der SEC zu einem Spot-basierten Bitcoin-ETF der Investmentgesellschaft Grayscale aufhob. Die Börsenaufsicht kritisierte bei ihrem Veto im Juni 2022, dass die Listingpläne nicht genügend Vorkehrungen zum Schutz vor Betrug und Marktmanipulation enthielten. Die Richter gaben einer Klage von Grayscale statt und bezeichneten das Vorgehen des SEC als „willkürlich und launisch“.

Entscheidender Makel im Erbe

Dabei bezogen sie sich darauf, dass die Aufsicht Futures-basierten Bitcoin-Indexfonds bereits 2021 die Freigabe erteilte. Am US-Finanzmarkt gilt indes der Rechtsgrundsatz, dass ähnliche Produkte auch kongruent zu regulieren sind. Die Richter folgten dem: Die SEC habe nicht zufriedenstellend begründet, warum sie Spot-ETFs anders behandle als Futures-Vehikel. Denn wie Grayscale betonte, basierten die für Bitcoin-Terminkontrakte genutzten Wechselkurse direkt auf Daten von Kryptobörsen. Volatilität und Manipulationsversuche im Spotmarkt wirkten sich damit auch auf die Futures-Börsen aus. Warum am Terminmarkt ein höheres Maß an Investorenschutz möglich sein sollte, erschließe sich also nicht.

Heiße Diskussionen in Washington: Gensler im Gespräch mit dem republikanischen Senator Tim Scott. Foto: picture alliance / Jack Gruber-USA TODAY | Jack Gruber.

Zu Beginn des laufenden Jahres war die US-Aufsicht in der Folge gezwungen, Spot-ETFs verschiedener Anbieter auf Bitcoin zuzulassen, Ende Juli folgten Freigaben für ähnliche Produkte auf die zweitgrößte Cyberdevise Ether. Dass damit eine breitere Masse an Investoren Zugriff auf hoch volatile Kryptowährungen hat, gilt Kritikern als entscheidender Makel im regulatorischen Erbe Genslers.

Neue Ära zieht herauf

Den Antrieb des scheidenden SEC-Vorsitzenden, Anleger vor Manipulationen zu schützen, erklären Beobachter dadurch, dass er schon früh einen Bezug zum Wert des Geldes erhalten habe. Seinem Vater, der in den Kneipen von Baltimore Zigarettenautomaten und Flipper aufstellte, musste Gensler als Kind beim Zählen der Einnahmen helfen. 

Sein Großvater prägte ihm indes ein Bonmot ein, an das der Behördenchef nach eigener Aussage häufig denkt: „Figures don’t lie, but liars sure can figure“ (Sinngemäß: „Zahlen lügen nicht, aber auch Lügner können rechnen“). Anlässlich seines Rücktritts betonte Gensler, die SEC habe das Recht unter ihm „ohne Furcht oder Bevorteilung durchgesetzt“. Börsianer blicken dem 20. Januar 2025 nun gespannt entgegen – dann könnten in der US-Kapitalmarktregulierung neue Zeiten heraufziehen. Denn dass Donald Trump sich nicht scheut, auf hohen Posten Interessenskonflikte zu erzeugen, zeigen laut Washington-Beobachtern seine Nominierungen für Kabinettsposten.

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