Bundesbank/EZB

Weidmann mahnt Notenbank­kollegen

Bundesbankpräsident Jens Weidmann tritt Ende 2021 ab. Das hat auch mit der ultralockeren Geldpolitik der vergangenen Jahre zu tun – und mit den aktuellen Weichenstellungen für die Zukunft.

Weidmann mahnt Notenbank­kollegen

Von Mark Schrörs, Frankfurt

„Ich bin gerne Bundesbankpräsident.“ Das sagte Jens Weidmann im Februar 2019, nachdem das Bundeskabinett für ihn eine zweite Amtszeit an der Spitze der Bundesbank bis 2027 beschlossen hatte. Er freue sich, weiter eine wichtige Rolle in den geldpolitischen Diskussionen zu spielen, fügte er hinzu. Bereits einige Jahre vorher, im Jahr 2012, hatte er nach aufgekommenen Rücktrittsspekulationen erklärt: „Ich kann meiner Aufgabe am besten gerecht werden, wenn ich im Amt bleibe. Ich will dafür arbeiten, dass der Euro genauso hart bleibt, wie die Mark es war.“

Frustration über EZB-Politik

Jetzt aber reicht es dem 53-Jährigen, nun scheint seine Freude an diesem Amt und dieser Aufgabe zumindest derart erloschen, dass er beides aufgibt: Am Mittwoch jedenfalls bat Weidmann Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier um seine Entlassung aus dem Amt zum 31. Dezember 2021. Er verlasse die Bundesbank, an deren Spitze er seit Mai 2011 stand, aus persönlichen Gründen, ließ Weidmann mitteilen. „Ich bin zur Überzeugung gelangt, dass mehr als zehn Jahre ein gutes Zeitmaß sind, um ein neues Kapitel aufzuschlagen – für die Bundesbank, aber auch für mich persönlich“, schreibt Weidmann in einem Brief an Mitarbeiter der Bundesbank.

Bei dieser Entscheidung mag eine Rolle spielen, dass er sich mit 53 Jahren fragt, was die Zukunft noch bringt – zumal, nachdem es im Jahr 2019 mit der Nachfolge von Ex-EZB-Präsident Mario Draghi nicht geklappt hat. In seinem Brief ließ Weidmann aber erkennen, dass seine Entscheidung auch mit der ultralockeren Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) in den vergangenen Jahren und den aktuellen Weichenstellungen auch nach der EZB-Strategieüberprüfung zu tun hat. Weidmann stand vor allem breiten Staatsanleihekäufen stets kritisch gegenüber und er plädierte zuletzt für ein rasches Ende des Corona-Notfallanleihekaufprogramms PEPP und dafür, die Normalisierung der Geldpolitik nicht zu vergessen.

Im EZB-Rat stand er damit als Hardliner, als „Falke“, aber stets einer strukturellen Mehrheit von „Tauben“ gegenüber, die eher für eine lockere Geldpolitik plädieren. Sein öffentlicher Widerstand brachte ihm auch die Bezeichnung „Anti-Draghi“ ein. Unvergessen ist, wie Draghi öffentlich über eine Strategie des „Nein zu allem“ klagte – und dabei vor allem auf Weidmann zielte. Er hatte etwa 2012 als einziges EZB-Ratsmitglied gegen das Staatsanleihekaufprogramm OMT gestimmt. Erst 2019, kurz vor dem Entscheid über die Draghi-Nachfolge, bekannte Weidmann sich doch noch dazu.

Mit Draghi-Nachfolgerin Christine Lagarde verbindet Weidmann zwar ein viel besseres Verhältnis. Lagarde bedauerte auch am Mittwoch in einer Stellungnahme den Rücktritt, nannte Weidmann einen „guten persönlichen Freund“ und lobte dessen Loyalität, seine „klare Haltung zur Geldpolitik“ und seinen Willen, Gemeinsamkeiten zu finden. „Ich werde Jens vermissen und seinen stets konstruktiven Ansatz in all unseren Gesprächen, immer gepaart mit einem Sinn für Humor.“

An dem Grundproblem im Ringen um die geldpolitische Ausrichtung änderte der gute Draht zu Lagarde aber wenig. Im Gegenteil: Mit dem im Juli neu formulierten Zinsausblick (Forward Guidance) hat der EZB-Rat de facto auf Jahre hinaus Leitzinserhöhungen ausgeschlossen – unter anderem gegen das Votum Weidmanns. Und in der aktuellen Diskussion über die Geldpolitik nach einem möglichen Auslaufen von PEPP im März 2022 plädieren viele Euro-Notenbanker für anhaltend umfangreiche Anleihekäufe und ein Beibehalten der enormen Flexibilität von PEPP. Weidmann hatte das stets abgelehnt. „Krisenmaßnahmen mit ihrer außergewöhnlichen Flexibilität sind nur in der Notsituation, für die sie geschaffen wurden, verhältnismäßig“, wiederholte er jetzt auch in seinem veröffentlichten Brief. Weidmann wird sicher auch alles andere als glücklich damit gewesen sein, dass derzeit viele Euro-Notenbanker die unerwartet stark steigende Inflation stets herunterspielen, und wie diese Notenbanker die im Juli beschlossene neue EZB-Strategie interpretieren. Es komme nun darauf an, wie diese Strategie durch konkrete geldpolitische Entscheidungen „gelebt“ werde, so Weidmann. „Dabei wird es entscheidend sein, nicht einseitig auf Deflationsrisiken zu schauen, sondern auch perspektivische Inflationsgefahren nicht aus dem Blick zu verlieren.“ Eine stabilitätsorientierte Geldpolitik werde zudem dauerhaft nur möglich sein, wenn der Ordnungsrahmen der Währungsunion weiterhin die Einheit von Handeln und Haften sichere, die Geldpolitik ihr enges Mandat achte und nicht ins Schlepptau der Fiskalpolitik oder der Finanzmärkte gerate. „Dies bleibt meine feste persönliche Überzeugung genauso wie die hohe Bedeutung der Unabhängigkeit der Geldpolitik“, so Weidmann. Diese Unabhängigkeit muss nun aber künftig jemand anderes verteidigen.

BZ+
Jetzt weiterlesen mit BZ+
4 Wochen für nur 1 € testen
Zugang zu allen Premium-Artikeln
Flexible Laufzeit, monatlich kündbar.