Herbert Diess

Zu viele Querelen und zu wenig Vertrauen

Herbert Diess verliert nach knapp viereinhalb Jahren den Vorstandsvorsitz bei Volkswagen. Es gab zu viele Querelen im Unternehmen und am Ende zu wenig Vertrauen.

Zu viele Querelen und zu wenig Vertrauen

Von Carsten Steevens, Hamburg

Das am vorigen Freitag vom Aufsichtsrat verkündete Aus für Herbert Diess als Vorstandsvorsitzender des Volkswagen-Konzerns per Ende August kam überraschend – offenbar nicht zuletzt für ihn selbst. In seiner Rede auf der Betriebsversammlung Ende Juni in Wolfsburg etwa waren Worte eines nahenden Abschieds nicht durchgeklungen. Im Gegenteil: Selten zuvor hatte man Diess bei Auftritten vor Beschäftigten konzilianter erlebt. Mahnte er etwa Anfang 2020 kurz vor Beginn der Corona-Pandemie vor allem, beim Wandel des Autos in Richtung „Mobile Device“ schneller zu werden, um bei der Bewertung auf Dauer nicht den Anschluss an neue Herausforderer wie Tesla zu verlieren, so hob der seit April 2018 amtierende Konzernchef nun Fortschritte bei der Umsetzung der im vorigen Sommer präsentierten Strategie sowie die operative Entwicklung hervor.

„Wir verdienen so viel wie nie trotz Halbleiter-Mangel und stockenden Lieferketten“, rief er den Mitarbeitenden zu. Oder auch: „Kein Wettbewerber treibt seine Transformation so konsequent voran wie wir: Fünf Jahre Vorsprung haben wir auf andere Autohersteller bei der Elektrifizierung.“ Selbst bei der Software-Tochter Cariad, für deren Entwicklung der 63-Jährige Anfang 2022 im Konzernvorstand verantwortlich wurde, überwogen nach Berichten über Verzögerungen bei wichtigen Software-Projekten keineswegs Moll-Töne. Dass das „ambitionierteste Projekt in der gesamten Industrie“ zu einigen Herausforderungen führen werde, sei von vornherein „allen Beteiligten klar“ gewesen. „Wir lernen Software, wir werden besser.“

Doch die demonstrative Zuversicht des promovierten Diplom-Ingenieurs, der mit Ungeduld, Eigensinnigkeit und mangelnder Diplomatie auf der Arbeitnehmerseite immer wieder aneckte, deckte sich in den vergangenen Monaten offenbar immer weniger mit Einschätzungen der Großaktionäre. Lange hatten vor allem die Familien Porsche und Piëch ihre schützende Hand über Diess gehalten, weil dessen Stärken offenbar geschätzt wurden und sich niemand aus den Konzernreihen als Nachfolger aufdrängte. Von einem Rausschmiss war Diess zeitweise nicht weit entfernt – so im Frühjahr 2020, als er sich für Anschuldigungen gegen Aufsichtsratsmitglieder aufgrund eines monierten Verstoßes gegen Vertraulichkeitsregeln entschuldigen musste. Eine Folge war, dass er den in Personalunion ausgeübten Vorstandsvorsitz der Kernmarke VW Pkw aufgeben musste.

Trotz weiterer interner Querelen erhielt der Österreicher im vorigen Sommer einen neuen, zweieinhalb Jahre länger dauernden Vertrag bis Oktober 2025. Doch vor dem Hintergrund eines Kursrutsches der VW-Vorzüge um mehr als 40% seit dem Zwischenhoch im März 2021 bröckelte der Rückhalt weiter ab.

Die Altvorderen bei VW um den ehemaligen Aufsichtsratschef Ferdinand Piëch hatten einen „harten Hund“ gesucht, der die Zuständigkeit für die margenschwache Kernmarke übernehmen sollte, um sie auf Rendite zu trimmen. Als der Vielmarkenkonzern am 9. Dezember 2014 bekannt gab, dass Diess zum 1. Oktober 2015 in den Vorstand berufen worden sei, ließ sich der damalige Konzernchef Martin Winterkorn mit den Worten zitieren, man habe eine „herausragende Persönlichkeit“ und „einen der fähigsten Köpfe der Automobilindustrie“ gewinnen können.

Einen Ruf hatte sich Diess erworben, seit er 2007 im BMW-Vorstand für Einkauf und Lieferantennetzwerk und von 2012 an für das Entwicklungsressort zuständig geworden war. Als 2014 die Entscheidung anstand, wer beim Münchener Autobauer Norbert Reithofer auf dem Chefsessel beerben würde, fiel die Wahl auf Produktionsvorstand Harald Krüger. Diess zog nach Wolfsburg, auch mit der Aussicht, mittelfristig ein Kandidat für den VW-Vorstandsvorsitz zu sein.

Als Konzernchef Winterkorn nach Bekanntwerden des Diesel-Skandals im September 2015 zurücktrat, fand sich der auf den Chefsessel in Wolfsburg beförderte Porsche-Chef Matthias Müller im Sturm der Krise wieder. Diess, mit seinem Antritt als Konzernvorstand am 1. Juli 2015 selbst vom Skandal erfasst, machte sich daran, im Armdrücken mit Arbeitnehmervertretern die Bedingungen für höhere operative Renditen bei Volkswagen Pkw zu verhandeln. Mit Erfolg, wie seine spätere Berufung zum Konzernchef zeigen sollte.

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