„Die Immobilienwirtschaft hat noch Luft nach oben“
Helmut Kipp
Herr Callet, die EU-Taxonomie soll den europäischen Kontinent grüner machen. Was sind die Kernpunkte der Verordnung?
Die Taxonomie-VO (Verordnung (EU) 2020/852 vom 18. Juni 2020) enthält ein europaweit einheitliches Klassifizierungssystem. Kernpunkte sind das Schaffen eines Bewusstseins für die Umweltauswirkungen von Finanzprodukten, zum Beispiel Immobilienfonds, und die Stärkung des Anlegervertrauens. Die Taxonomie-VO und der darauf basierende Delegierte Rechtsakt der Kommission stellen die konkrete Umsetzung des Faktors E in ESG dar, also des Faktors Ökologie. Das ist auch dringend nötig, denn innerhalb der EU sind Immobilien der Sektor mit dem größten Energieverbrauch, hierauf entfallen rund 36% der Kohlenstoffemissionen.
Wie wirken sich die Regelungen auf die Immobilienwirtschaft aus?
Das Taxonomie-Klassifikationssystem richtet sich unter anderem unmittelbar an Finanzmarktteilnehmer, die Finanzprodukte bereitstellen. Die Finanzmarktteilnehmer, die in Immobilien investieren, sind daher unmittelbar Adressat der Taxonomie-Verordnung. Damit sind aber auch die anderen Marktteilnehmer der Branche jedenfalls mittelbar betroffen. Denn mit der Taxonomie-VO kann es nun ein veritables Vermarktungshindernis darstellen, wenn beim Bau, bei der Sanierung oder bei der Vermietung eines Gebäudes die ESG-Kriterien (Environment, Social, Governance) nicht beachtet werden. Zudem erwarten wir weitere Sanktionsmechanismen. Bereits heute schafft Artikel 22 der Taxonomie-VO die Grundlage für Vorschriften zur Sanktionierung von Verstößen.
Welche Folgen ergeben sich für Gebäude, die nicht der Taxonomie entsprechen?
Dies hängt zunächst davon ab, wer die betroffenen Gebäude hält. Direkt adressierte Marktteilnehmer müssen die Umweltziele in ihre Prozesse einbeziehen, etwa in ihren An- und Verkaufsprozess. Gleiches gilt für Unternehmen, die eine nichtfinanzielle Erklärung nach §§ 289b, 289c Handelsgesetzbuch abgeben müssen. Konkret bedeutet das zunächst, den Ist-Zustand des eigenen Portfolios zu überprüfen und sodann mit bestimmten Dokumentationen und Verbesserungsmaßnahmen zu beginnen.
Verfügt die Immobilienbranche über die notwendigen ökologischen Audits?
Qualifizierte ökologische Audits für Immobilien in Deutschland gibt es in der erforderlichen Form noch nicht. Übergangsweise wird daher mit den bestehenden nationalen Standards und Regularien gearbeitet, wie zum Beispiel dem Energieausweis.
Ist mit weiteren Verschärfungen der Umweltstandards zu rechnen?
Ja. Zum einen gelten ab dem 1. Januar 2022 die sogenannten technischen Bewertungskriterien (Technical Screening Criteria) für den Bau und die Renovierung von Gebäuden. Zum anderen ist davon auszugehen, dass die qualifizierten ökologischen Audits eingeführt werden und damit auch im Detail Umweltstandards definiert werden.
Welche Investitionen sind erforderlich, um den Gebäudebestand nachhaltig zu machen?
Einige Investitionen sind bereits gesetzlich avisiert, zum Beispiel das Smart Metering im Zusammenhang mit der Reform der Heizkostenverordnung. Hier geht es letztlich um Investition in Technik. Aber auch in Dienstleistungen rund um die Dokumentation und Zertifizierung wird zusätzlich investiert werden müssen. Wir gehen davon aus, dass Anbieter von Zertifikaten wie DGNB (Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen) oder LEED (Leadership in Energy and Environmental Design) die ESG-Kriterien zur Nachhaltigkeit berücksichtigen werden und damit zusätzliche Aufträge erhalten.
Hat sich die Immobilienbranche ausreichend auf die Taxonomie vorbereitet?
Die Immobilienwirtschaft hat noch Luft nach oben. Eine der aktuell größten Herausforderungen besteht beim Einsammeln und Teilen von Daten, die für die ESG-Kriterien wichtig sind. Wir sehen, dass das Vorhalten und Teilen der Daten im jeweiligen Vermietungs- oder Vermarktungsprozess verbesserungsfähig ist.
Johannes Callet ist Partner von Taylor Wessing und Rechtsanwalt für Immobilienwirtschafts- und Baurecht.
Die Fragen stellte .