Ulrich Becker, CMS

Firmen müssen schon jetzt nach Alternativen suchen

Viele Unternehmen haben Force-majeure-Klauseln in ihre Verträge aufgenommen, um sich gegen Störungen im Warentransport abzusichern, sagt CMS-Partner Ulrich Becker.

Firmen müssen schon jetzt nach Alternativen suchen

Herr Becker, infolge des Klimawandels könnten extrem niedrige Pegelstände wichtiger Flüsse wie im vergangenen Sommer häufiger auftreten. Welche Folgen hat das?

Die niedrigen Pegelstände haben massive Auswirkungen auf die Wirtschaft und damit auch auf Verbraucher. Wegen Einschränkungen bei der Beladung oder dem kompletten Ausfall von Transporten kommen dringend benötigte Waren nicht zum Kunden. Das betrifft nicht nur fertige Produkte, sondern auch Rohstoffe und die Versorgung mit Energie. Kommen Gas und Kohle nicht an, stehen Produktionsanlagen still oder können nur noch in verringertem Umfang produzieren. Und das gilt auch für die Vorprodukte und löst schnell Kettenreaktionen auf die gesamte Lieferkette aus.

Wie  wirkt   sich  Niedrigwasser auf vertragliche Verpflichtungen aus?

Die Situation ist mit den Lieferkettenstörungen der vergangenen Jahre vergleichbar. Seien es coronabedingt geschlossene Häfen in China, der blockierte Suezkanal oder die Engpässe bei Halbleitern. Immer stellte sich die Frage, was das für vertragliche Verpflichtungen bedeutet. Handelt es sich um Force ma­jeure, also höhere Gewalt? Kommen Lieferanten aus ihren Lieferverpflichtungen raus? Können Kunden, die nicht oder nicht vollständig beliefert werden, Schadenersatz verlangen? Die Antwort ist: Es kommt drauf an.

Worauf genau?

Das deutsche Recht kennt – außer im Reiserecht – keine höhere Gewalt. Viele Unternehmen haben als Lehre aus den vergangenen Jahren aber Force-majeure-Klauseln in ihre Verträge aufgenommen, um sich abzusichern. Das Naturereignis Niedrigwasser ist sicherlich dem Grunde nach ein Umstand, der als höhere Gewalt im Sinne solcher Klauseln eingeordnet werden könnte. Ohne Force-majeure-Klauseln in den Verträgen­ kann sogenannte Un­möglichkeit vorliegen, wenn die Leistung schlicht nicht erbracht werden kann. Dann wird der Lieferant ebenfalls von seiner Leistungspflicht frei. Klar ist aber, dass nur höhere Transportkosten noch nicht per se Force majeure oder Unmöglichkeit begründen. Der Lieferant hat sich verpflichtet zu liefern, und dieser Pflicht misst das deutsche Recht eine große Bedeutung zu. Grenze dieser Pflicht ist die Zumutbarkeit, was natürlich einzelfallbezogen zu betrachten ist. Aber der Lieferant muss schon über alternative Transportmittel wie Luft-, Bahn- oder Straßentransport nachdenken, auch wenn dies für ihn mit höheren Kosten verbunden ist.

Wie können Unternehmen sich schützen?

In Anbetracht des Klimawandels werden wir uns künftig auf derartige Situationen einstellen müssen. Also muss man sich bereits jetzt nach Alternativen umsehen. Faktisch haben Unternehmen schon während der letzten Engpässe Änderungen vorgenommen: Neben der Vorhaltung von eigenen oder Konsignationslagern lag der Fokus vor allem auf der Verkürzung von Lieferwegen und der Diversifizierung der Lieferanten. Einige Unternehmen haben auch Vertragsstrafen und Kündigungsrechte für den Fall der Nichtlieferung vorgesehen. Das mag zwar einen kurzfristigen Schaden teilweise kompensieren. Den konkreten Engpass lösen diese Klauseln aber nicht.

Greifen Versicherungen?

Beim Thema Versicherungen kommt es auf die konkrete Versicherung und ihre Klauseln an. Bei Covid-19 vertrat der Bundesgerichtshof die Meinung, dass sogenannte Betriebsschließungsversicherungen nur dann aufkommen müssen, wenn Covid-19 in den Vertragsbedingungen ausdrücklich erwähnt ist. Dies zugrundegelegt wird man auch bei Einschränkungen durch Niedrigwasser auf die konkrete Police schauen müssen.

Wann können Regressansprüche gestellt werden?

Schadenersatz gibt es nur, wenn der Lieferant die Verzögerung oder Unmöglichkeit zu vertreten hat, also zumindest fahrlässig gehandelt hat. Je unvorhersehbarer ein Ereignis ist, desto unwahrscheinlicher, dass ein Verschulden vorliegt. Bei dem diesjährigen Niedrigwasser halte ich es für vertretbar, dies als unverschuldet anzusehen; ob man das in den kommenden Jahren noch so sehen wird, bleibt abzuwarten.

Dr. Ulrich Becker ist Partner der internationalen Wirtschaftskanzlei CMS Deutschland.

Die Fragen stellte Helmut Kipp.

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