Free Lunch oder Bumerang?
Von Johannes Frey, Florian Schmid und Frank-Michael Schwarz *)
Der Steuergesetzgeber ist in jüngster Zeit primär auf Steuergerechtigkeit und die Steigerung von Steuereinnahmen fokussiert. Dies ist sinnvoll, wenn hierdurch die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Deutschlands gefördert wird. Leider setzt sich der Gesetzgeber viel zu wenig mit potenziellen Risiken und Nachteilen auseinander. Gerade bei Steuergesetzen wäre eine Swot-Analyse dringend erforderlich. Diese dient dazu, die Stärken und Schwächen sowie die Chancen und Risiken eines Projekts gegenüberzustellen (Strenghts, Weaknesses, Opportunities, and Threats). Eine solche Swot-Analyse lässt sich gut anhand des aktuellen Gesetzesentwurfes zu der sogenannten Registerbesteuerung veranschaulichen.
Worum geht es? Im Jahr 2020 entdeckte die Finanzverwaltung eine Regelung aus den Jahren 1925/1934. Es geht darum, Veräußerungsgeschäfte und Lizenzen zwischen ausländischen Gesellschaften allein deshalb zu besteuern, weil unter anderem in Deutschland eingetragene Marken oder Patente umfasst sind. Hat also etwa im Jahr 2013 ein brasilianisches Unternehmen sein weltweites Marken- und Patentportfolio an seine brasilianische Schwestergesellschaft veräußert, will die Finanzverwaltung deutsche Steuer erheben, soweit deutsche Marken oder Patente mitübertragen wurden. Ein weiterer Bezug (oder Nexus) zu Deutschland soll nicht notwendig sein. Auch das ausländische Steuerrecht soll unbeachtlich sein.
Nach einem aktuellen Gesetzesentwurf soll nun ab 2023 in derartigen Fällen grundsätzlich keine deutsche Steuer mehr anfallen. Für die Zeit zwischen 2013 und 2022 ist indes eine Besteuerung dieser Fälle beabsichtigt, soweit diese innerhalb der Unternehmensgruppe erfolgten.
Das Bundesfinanzministerium (BMF) hat einen sehr informativen Bericht veröffentlicht, der zahlreiche gesetzespolitische Fragestellungen aus Sicht der Finanzverwaltung beantwortet und Transparenz schafft. Allerdings erfolgte keine Swot-Analyse, die dem Gesetzgeber und der Finanzverwaltung als Entscheidungsgrundlage bei Rechtssetzung und -auslegung dienen könnte. Die Leitlinien einer solchen Analyse sollen hier aufgezeigt werden.
Gerechtigkeitserwägungen
Bei Steuergesetzen spielen – zu Recht – Gerechtigkeitserwägungen eine wichtige Rolle. Bei einer nachträglichen Anwendung für lediglich neun Jahre (2013–2022) für rein ausländische Transaktionen liegt aber der Gedanke einer gerechten Besteuerung fern. Aus fiskalischer Sicht könnte eine vermeintliche Chance in dem Umstand liegen, dass die Steuereinnahmen ausländische Transaktionen und Unternehmen treffen. Dies übersieht indes, dass auch deutsche Unternehmen betroffen sind (z. B. über ausländische Tochtergesellschaften eines deutschen mittelständischen Unternehmens). Hier besteht sogar das Risiko, dass der Fiskus zweimal besteuert: einmal im Rahmen der sogenannten Registerbesteuerung beim ausländischen Lizenznehmer und ein zweites Mal im Rahmen der sogenannten Hinzurechnungsbesteuerung, sofern der ausländische Lizenzgeber einem niedrigen Steuersatz unterliegt.
Die sogenannte Registerbesteuerung wurde erst 2020 „entdeckt“. Aus Sicht der Finanzverwaltung erschien dies zunächst als ein „Geschenk des Himmels“. Es gibt seit 1925/1934 eine Norm, nach deren Wortlaut eine Besteuerung aus fiskalischer Sicht möglich erschien. Allerdings wurde diese nie derart interpretiert und niemand hatte sie bisher so angewandt. So hatten die betroffenen Unternehmen keine Möglichkeit, sich hierauf einzustellen. Bei einer Veräußerung oder Lizenzierung in 2013 wusste noch niemand, dass Deutschland hier ein Besteuerungsrecht geltend machen würde. Die betroffenen Unternehmen fühlen sich daher in ihrem Vertrauen auf die Verlässlichkeit des Wirtschaftsstandorts Deutschland erschüttert. Aus Gründen des verfassungs- und europarechtlich garantierten Vertrauensschutzes dürfen Steuergesetze nicht mit Rückwirkung erlassen bzw. angewandt werden. So gab es beispielsweise erhebliche internationale Proteste, als Indien im sogenannten Vodafone-Fall 2012 rückwirkend eine Besteuerung ausländischer Sachverhalte gesetzlich einführte. In Zukunft wird Deutschland in derartigen Fällen der Spiegel vorgehalten.
Deutschland hat die internationalen Projekte der teilweisen Neuverteilung von Besteuerungsrechten („OECD Pillar 1“) und der globalen Mindestbesteuerung („OECD Pillar 2“) in beachtenswerter Weise vorangetrieben. Insbesondere bei der globalen Mindestbesteuerung erhofft sich der Fiskus erhebliche Vorteile für den Standort und zusätzliche Einnahmen. Allerdings sind diese globalen Projekte noch nicht umgesetzt. Eine vergangenheitsbezogene, einseitige Registerbesteuerung schwächt Deutschlands Position, diese globalen Projekte umzusetzen. Die Registerbesteuerung ist genau das Gegenteil dessen, was diese Projekte erreichen wollen: Rechtssicherheit, Verlässlichkeit, Gerechtigkeit und ein einheitliches Recht. Sie wird daher international kritisiert.
Streitkaskade
Es wird zu zahlreichen Rechtsstreitigkeiten kommen. Klar – die Rechtslage und nachfolgende Streitigkeiten bergen Risiken und können Schwächen offenlegen. Aber hat der Fiskus hier außer internem Aufwand etwas zu verlieren? Man könnte meinen, dass jeder erhaltene Euro „money for nothing“ bzw. ein „free lunch“ sei. Die Gemengelage bei einer „Tax Controversy“ ist indes vielschichtiger. Unternehmen, die bereits mit dem Fiskus im Streit sind, werden auch in Betriebsprüfungen weniger kompromissbereit sein. Es macht oft keinen Unterschied mehr, ob man einen oder mehrere Rechtsstreitigkeiten führt. Dies führt zu einer gefährlichen und ineffizienten Streitkaskade sowie zu einer Verlängerung der offenen Betriebsprüfungszeiträume. Die streitigen Verfahren könnten leicht zwischen sieben und zehn Jahren dauern. Damit wird ein politisches Ziel dieser Legislaturperiode verfehlt: die Beschleunigung der nach internationalen Maßstäben zu langen deutschen Betriebsprüfungen.
Langjährige steuerliche Streitigkeiten beeinflussen zudem die Standortwahl. Bei Entscheidungen über künftigen Ausbau von Standorten kann dies schließlich dazu führen, dass Unternehmen sich an anderen Standorten erweitern. Hierdurch verlieren Kommunen und Staat künftiges Steuersubstrat und möglicherweise sogar Arbeitsplätze.
Die EU-Grundfreiheiten und Gleichbehandlung sind für die deutsche Wirtschaft elementar. Besteuert nun Deutschland vergangenheitsbezogen ausländische Unternehmen für wenige Jahre, liegt eine Ungleichbehandlung nahe. Eine Rechtfertigung hierfür erscheint nicht begründbar, zumal die Regelung für die Zeit von 1934 bis 2012 nicht angewandt wurde und auch ab 2023 abgeschafft werden soll. Es lässt also nur schwer begründen, dass zwingende Gründe des Allgemeininteresses die Registerbesteuerung rechtfertigen. Geht man – wie wir – davon aus, dass eine europarechtswidrige Anwendung vorliegt, läge hierin ein erhebliches Risiko. Bei einer Verletzung von Europarecht besteht sogar ein Haftungsrisiko für den Mitgliedstaat für die durch die Verletzung entstandenen Schäden. Dies hat der EuGH bereits seit Längerem anerkannt (etwa in „Brasserie du Pecheur“).
Die Swot-Analyse zeigt: Was vordergründig als eine einfache Besteuerung ausländischer profitabler Konzerne erscheint, könnte sich in einen messerscharfen Bumerang verwandeln: Wettbewerbsnachteile für deutsche Unternehmen, erhöhte Anzahl von Streitigkeiten, erhebliche Verlängerungen bei Betriebsprüfungen sowie reduzierte künftige Steuereinnahmen aufgrund von Standortnachteilen. Der Gesetzesentwurf und der Bericht des Bundesfinanzministeriums haben diese Risiken noch nicht aufgegriffen oder gar quantifiziert. Unternehmen führen diese Analyse regelmäßig durch. Wieso sollte der Gesetzgeber dies nicht genau so handhaben?
Es gilt auch bei der Steuergesetzgebung: „There ain’t no such thing as a free lunch.“
*) Dr. Johannes Frey ist Partner, Dr. Florian Schmid und Dr. Frank-Michael Schwarz sind Associates von Skadden Arps Slate Meagher & Flom.