Neue Treiber für Carve-outs
Neue Treiber für Carve-out-Transaktionen
Abspaltungen am Beispiel von Restrukturierungen und ESG – Anwendungsfeld ist weiter, als man auf den ersten Blick denken mag
Von Maximilian Schwab
und Ulrich Klockenbrink *)
Lange wurde „Carve-out“ nur von wenigen sofort mit Unternehmenstransaktionen in Verbindung gebracht. Heute dürfte der Begriff der wirtschaftlich interessierten Öffentlichkeit hinreichend vertraut sein. Dies hängt mit den zahlreichen medial begleiteten börsennotierten Spin-offs oder Verkäufen von Konzernsparten bekannter Großunternehmen zusammen, wie zuletzt der Verkauf von DB Schenker.
Bekannt sind auch die klassischen Motive: Konzentration auf Kernbereiche, Schaffung von Liquidität, Shareholder Value und regionale Fokussierung. Gleiches gilt für die typischen Herausforderungen wie operative und personelle Trennung, nachlaufende Abhängigkeiten und Übergangsphasen.
Restrukturierung und ESG
Die Fälle, bei denen andere Motive oder Situationen zu Carve-outs führen, nehmen indes zu. Dies ist spannend, da hierbei neue Herausforderungen bei der Anbahnung und Durchführung gelten. Es bieten sich zwei Beispielfälle an: die gegenwärtig aktuelle Restrukturierungssituation in Deutschland und der Einfluss von ESG (Environmental Social Governance). Beiden ist gemein, dass Carve-outs hier einen besonderen Beitrag leisten können, in diesen Sondersituationen aber andere Parameter berücksichtigt werden müssen als in klassischen Carve-outs.
Existenzgefährdung abwenden
Selbstverständlich gab es schon immer die Veräußerung nicht profitabler Bereiche für den „symbolischen Euro“ oder einen negativen Kaufpreis an Dritte, die sich den Turnaround zutrauen. Ebenso gab es schon immer die Veräußerung des „Tafelsilbers“ in schwierigen Zeiten. Im Unterschied zu der aktuellen Situation waren dies meist strategische Entscheidungen sonst „gesunder“ Unternehmen. Gegenwärtig befinden sich aber viele Unternehmen aufgrund hoher Verschuldung oder Zinslast, Kaufzurückhaltung und technologischem Wandel in einer akuten Krise. Desinvestmentkonzepte zur Entschuldung und zur Fokussierung gehören daher aktuell zum festen Bestandteil nahezu jeder Restrukturierung.
Diese Konzepte setzen Carve-outs, bei denen definierte Erlöse zur Gesundung erzielt oder Verlustbringer abgestoßen werden müssen, als Bedingung für den Restrukturierungserfolg voraus. Gelingen die Transaktionen nicht wie geplant, droht ein endgültiges Scheitern der Restrukturierung. Hier gab es erst kürzlich prominente Beispiele wie den Holzverarbeiter Ziegler Group, welcher Insolvenz anmelden musste. Es geht in diesen Fällen also nicht mehr nur um Opportunitäten, sondern um die Notwendigkeit, einen Beitrag zur Restrukturierung der existenzgefährdeten Unternehmen zu leisten.
Umfassende Anforderungen
In Restrukturierungskonstellationen sind die Anforderungen an den Carve-out-Prozess umfassender als bei gesunden Unternehmen. So müssen Management und Gesellschafter frühzeitig eine dokumentierte und validierte Aussage, typischerweise im Sanierungsgutachten, über die wirtschaftliche Überlebensfähigkeit beider Teile nach Trennung einholen, etwa um (Nach-)Haftung und Anfechtungsrisiken auszuschließen. Aufgrund des Risikos eines Scheiterns der Carve-out-Transaktionen sollte von Beginn an auch ein alternativer Handlungsplan vorbereitet werden, falls sich z.B. kein Käufer zu den erforderlichen Konditionen findet.
Stakeholder einbeziehen
Gleichzeitig sind weitere Stakeholder einzubeziehen: Die finanzierenden Banken geben ihre erforderliche Zustimmung zu einem Abverkauf profitabler Teile meist nur unter Bedingungen und innerhalb bestimmter Fristen. Die Arbeitnehmervertreter drängen wenig überraschend auf die Erhaltung von Arbeitsplätzen auf beiden Seiten und fordern Zusagen ein. Ferner ist das Konzept der Transitional Services in der Restrukturierung umfassender abzusichern, wenn Unsicherheiten in Bezug auf die Zukunft der dann getrennten Teile verbleiben.
Dies sind nur einige der zusätzlichen Faktoren, die beim Carve-out in der Restrukturierung in die Gleichung einzubeziehen sind. Sie machen aber deutlich, dass die ohnehin gebotene sorgfältige Vorbereitung unerlässlich ist und eine tiefergehende Analyse und Dokumentation der Handlungsalternativen die Grundlage sein muss.
Nachhaltigkeit als Anstoß
Hinter der mittlerweile weitläufig bekannten Abkürzung ESG verbirgt sich die (Selbst-)Verpflichtung von Unternehmen und Investoren zur Einhaltung eines Kodex von ökologischen und sozialen Prinzipien. In den letzten Jahren hat ESG fundamental an Bedeutung gewonnen und bestimmt nicht erst seit der Verabschiedung der EU-Richtlinie über Nachhaltigkeitsberichterstattung (CSRD) Anlage- und Investitionsentscheidungen. Die Reporting-Pflichten erhöhen den Druck, Entscheidungen zu ESG-kritischen Bereichen zu treffen. Auch hier mag man anführen, dass es eine bestehende Praxis der Industrie ist, sich mit Blick auf die Konzernbilanz risikobehafteter Geschäftsbereiche zu entledigen. Dies entspricht aber nicht mehr der heutigen Situation.
Es handelt sich eben nicht um rein strategische Entscheidungen oder die Umsetzung gesetzlicher Vorgaben. Ausgangspunkt ist kein Risikoausstieg, sondern die Umsetzung konkreter Nachhaltigkeitsprinzipien, deren Nichteinhaltung einen Wettbewerbsnachteil bedeutet. Das zeigen die öffentlichkeitswirksam verkündeten Ausstiege aus bestimmten Aktivitäten der Chemiebranche, noch bevor es gesetzliche Verpflichtungen hierzu gab, wie etwa 3M und deren weltweiter Ausstieg aus sämtliche PFAS-Aktivitäten. Ein weiterer prominenter Fall ist die Herauslösung des Wassergeschäfts von Nestlé, das über Jahre beständige Kritik einbrachte.
Analyse der ESG-Compliance
Für Private Equity Fonds als Kapitalsammelstellen ist ESG ebenfalls sehr relevant. Viele erhalten den Großteil der Mittel von Pensionsfonds und Versorgungswerken, für die die Einhaltung von ESG-Standards mittlerweile Voraussetzung ist. Viele Häuser haben aufgrund der Nachfrage eigene ESG-Fonds aufgelegt. Wie in der Restrukturierung bedarf die Trennung von ESG-problematischen Investments vorab einer Analyse der ESG-Compliance nach dem Carve-out. Oft reicht das Ausscheiden des nicht-konformen Bereichs gerade nicht. So gibt es für nicht-konforme, aber profitable Teile oft Kaufinteressenten, die ESG-Vorgaben lassen aber nur Abspaltung zur Abwicklung zu.
Positive Anreize
Es reicht ggf. konkret aus, einen umwelt- oder gesundheitsgefährdenden Bereich an einen Dritten zu veräußern, der diesen fortführt oder verlagert, da ESG eben nachhaltige Lösungen verlangt. Vor diesem Hintergrund ist auch zu erwarten, dass Unternehmen künftig deutlich früher Verkaufsprozesse von Teilen anstoßen, deren ESG-Halbwertszeit zwar absehbar ist, aber eben noch nicht eingetreten ist, um noch Erlöse realisieren zu können. ESG darf aber nicht nur als Anlass für das Abstoßen nichtkonformer Bereiche gesehen werden. ESG setzt vermehrt „positive“ Anreize für Carve-outs, nämlich dort, wo Unternehmen auf Nachhaltigkeit ausgerichtete, innovative Geschäftsbereiche haben, die jedoch nicht zum Kern gehören oder die Ressourcen für weitere Entwicklung benötigen, die es im Konzern so nicht gibt.
Druck auf Fonds steigt
Viele Industrieunternehmen haben aus ihren Research-and-Development-Abteilungen nachhaltige Technologien oder Produkte entwickelt, weit über die Start-up-Phase hinaus, welche aber als Konzernteil ihr Entwicklungspotential nicht entfalten können. Diese werden für Finanzinvestoren als Targets immer relevanter, da der Druck auf die Fonds, in entsprechende Assets zu investieren, wie dargestellt steigt.
Dazu gibt es hier noch viele Möglichkeiten der Wertschaffung, während die Anzahl der für Private Equity interessanten eigenständigen Zielunternehmen der Nachhaltigkeitsbranche überschaubar und dementsprechend bepreist ist. Wie hoch die Nachfrage nach solchen Targets ist, zeigt auch der gegenwärtige Boom ESG-fokussierter Investments im Venture Capital, seit jeher ein Trendbarometer.
Sorgfältige Analyse
Die Beispiele Restrukturierung und ESG zeigen einmal mehr, dass das Anwendungsfeld für Carve-out-Transaktionen weiter ist, als man auf den ersten Blick denken mag. Vor allem in Sondersituationen gewinnt das Thema an Bedeutung. Dabei gelten neue, zusätzliche Anforderungen, was für qualifizierte Investoren zusätzliche Chancen bietet. Eines bleibt aber auch hier wie bei allen Carve-outs gleich – eine sorgfältige Analyse im Vorfeld und klarere Strukturierung sind und bleiben der wesentliche Erfolgsfaktor.
*) Dr. Maximilian Schwab und Dr. Ulrich Klockenbrink sind Partner von Willkie Farr & Gallagher.