GastbeitragRestrukturierung

StaRUG entpuppt sich als Weckruf für Aktionäre

Das StaRUG bewährt sich manchen Unkenrufen zum Trotz inzwischen auch in großen Verfahren. Prominenter Fall ist aktuell der Batteriehersteller Varta.

StaRUG entpuppt sich als Weckruf für Aktionäre

StaRUG entpuppt sich als Weckruf für Aktionäre

Das Restrukturierungsrecht bewährt sich inzwischen auch in großen Verfahren − Prominente Fälle Leoni und Varta

Von Frank Grell und Oliver Kehren *)

Nach dem Automobilzulieferer Leoni greift mit der Varta AG ein weiteres börsennotiertes Unternehmen auf die Instrumente des Gesetzes über den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen für Unternehmen (StaRUG) zurück. Für die einen ist das nächste prominente StaRUG-Verfahren Beleg dafür, wie sehr das StaRUG in der Praxis angekommen ist und Krisenunternehmen zu einer zweiten Chance verhilft. Andere wettern gegen eine „Enteignung“ der Anteilseigner, denen der Gesetzgeber Einhalt gebieten möge.

Schon bald nach seinem Inkrafttreten 2021 erwies sich das StaRUG vor allem als Drohmittel, um einzelne opponierende Gläubiger zur Räson zu bringen. Unternehmen konnten stabilisiert und restrukturiert werden, selbst wenn nicht 100% der betroffenen Gläubiger zustimmten, solange die vorgeschlagene Restrukturierungslösung in den Gläubigergruppen die notwendige 75-Prozent-Mehrheit fand. Bald schon wurde auch das Instrument des „Cram-downs“ genutzt: Dissentierende Gläubigergruppen wurden überstimmt, sofern in anderen Gläubigergruppen 75-Prozent-Mehrheitsbeschlüsse erreicht wurden.

Interessenabwägung

Im Vordergrund stand jeweils das Ziel, bereits gefundene Restrukturierungslösungen umzusetzen und weder gezwungen zu sein, den teuren Weg nach England anzutreten, wo das Scheme of Arrangement eben diese Möglichkeiten der Gläubigerüberstimmung schon längst bietet, oder den oftmals destabilisierenden Weg eines deutschen Insolvenzverfahrens zu beschreiten. Aus Sorge, überstimmt zu werden und leer auszugehen, stimmten die Gläubiger zumeist zu, bevor das StaRUG-Verfahren tatsächlich eingeleitet wurde.

Verbot der Schlechterstellung

Ein Kernelement des StaRUG ist allerdings auch der Schutz derjenigen, denen eine Lösung aufgezwungen wird. Niemand soll in seinen Rechten beschnitten werden, soweit dies nicht erforderlich ist, um das strauchelnde Unternehmen zu stabilisieren und zu restrukturieren. Wer von einem Restrukturierungsplan betroffen ist und gegen ihn gestimmt hat, kann deshalb beim Restrukturierungsgericht beantragen, die Bestätigung des Plans zu versagen, sofern er durch den Restrukturierungsplan voraussichtlich schlechter gestellt wird, als er ohne den Plan stünde.

Entsprechend gilt beim Überstimmen einer ganzen Gruppe, in der die erforderliche 75-Prozent-Mehrheit nicht erreicht ist, dass die Zustimmung nur fingiert wird, wenn die Mitglieder dieser Gruppe durch den Restrukturierungsplan voraussichtlich nicht schlechter gestellt werden, als sie ohne einen Plan stünden. Mit dem Schlechterstellungsverbot steht das deutsche Recht im Einklang mit dem US-amerikanischen Chapter 11 und dem englischen Restructuring Plan.

Opponierende Gesellschafter

Nun kommt es in der Praxis durchaus vor, dass auch der oder die Gesellschafter nicht freiwillig auf ihre Rechte verzichten. Für diesen Fall können nach dem StaRUG auch Gesellschafter zu einer „planbetroffenen Gruppe“ gemacht werden und als solche dann auch überstimmt werden.

Was plausibel klingt, hat juristisch seine Tücken: Darf die Geschäftsleitung ohne Gesellschafterzustimmung überhaupt ein StaRUG-Verfahren einleiten? Die Praxis ging zunächst davon aus, dass Geschäftsleitungen einen zustimmenden Gesellschafterbeschluss benötigten, um ein StaRUG-Verfahren einzuleiten. Damit aber wäre die Regelung, dass auch die Anteilseigner überstimmt werden können, leergelaufen. Deshalb sind die Gerichte zu dem Schluss gekommen, dass eine Gesellschafter- (und folgerichtig bei der AG Aufsichtsrats-)Zustimmung jedenfalls dann entbehrlich ist, wenn nur mittels des StaRUG-Verfahrens eine Insolvenz vermieden werden kann.

Blaupause Leoni

Im Fall Leoni führte ein eben solches Vorgehen der Geschäftsleitung nicht nur zu der vom Gesetz beabsichtigten Stabilisierung und Restrukturierung, sondern es wurde auch gerichtlich durch alle Instanzen bestätigt. Damit schienen sich die Wogen geglättet zu haben, und Leoni wurde von vielen zur „Blaupause“ für ein erfolgreiches StaRUG-Verfahren erklärt.

Jetzt aber droht neues Ungemach: Mit der Varta AG greift die Geschäftsleitung eines weiteren börsennotierten Unternehmens, das eine Stabilisierung und Restrukturierung benötigt, auf das StaRUG zurück. Als Voraussetzung und Legitimation dafür, dass in die Rechte der Gläubiger eingegriffen werden kann, muss es auch hier zu einem Eingriff in die Rechte der Aktionäre, einem Kapitalschnitt, kommen. Das böse Wort „Enteignung“ macht die Runde. Aktionärsschützer prangern die Nachteile des Verfahrens für die Kleinaktionäre an und rufen nach dem Gesetzgeber.

Fremdkapital vor Eigenkapital

Dabei hat das StaRUG hier durchaus vorgesorgt. Eine Restrukturierung der Passivseite eines Unternehmens soll nicht dazu führen, dass die Gesellschafter ein gesundetes Unternehmen erhalten und von Einschnitten in die Rechte der Gläubiger profitieren, ohne eigene Beiträge geleistet zu haben. Daher sieht das StaRUG den Grundsatz Fremdkapital vor Eigenkapital vor, der auch den allgemeinen Grundsätzen der Unternehmensfinanzierung entspricht. Wenn ein Gesellschafter einen nicht durch Leistung in das Vermögen des Schuldners vollständig ausgeglichenen wirtschaftlichen Wert erhält, darf in die Rechte eines Gläubigers – über eine reine Verlängerung der Fälligkeit hinaus – nicht ohne dessen Zustimmung eingegriffen werden.

Ehernes Schutzprinzip

Gesellschaftsrechtliche Maßnahmen wie die Kapitalherabsetzung, Kapitalerhöhung und den Bezugsrechtsausschluss lässt das StaRUG zweifelsfrei zu. Trotzdem gibt es jetzt Stimmen, die fordern, dass die Frage der gesellschaftsrechtlichen Zulässigkeit außerhalb des StaRUG bewertet werden müsse. Gerade das Bezugsrecht bei einer Kapitalerhöhung sei ein ehernes Recht der Aktionäre. Selbst wenn dies im Normalfall richtig ist, sieht das StaRUG im Krisenfall zu Recht vor, dass in einem Plan sogar die Übertragung der Anteilsrechte auf einen Dritten vorgesehen werden kann. Mithin kann das Aktionärsrecht nicht nur beschnitten, sondern gänzlich entzogen werden.

Eine ungerechtfertigte entschädigungslose Enteignung droht hier keineswegs. Denn auch zugunsten der Anteilseigner gilt das eherne Schutzprinzip des Verschlechterungsverbots. Ein Eingriff in Rechte einer überstimmten Gruppe oder einzelner überstimmter Planbetroffener ist nur dann zulässig, wenn sie durch den Restrukturierungsplan voraussichtlich nicht schlechter gestellt werden, als sie ohne den Plan stünden. Könnten die Aktionäre also darlegen, dass in einer Insolvenz ihre Rechte unangetastet blieben, das Fremdkapital voll bedient würde und noch etwas für sie übrig bliebe, dann wäre dem Plan tatsächlich die Bestätigung zu versagen. Ansonsten aber gibt es keinen Grund, Einschnitte in die Aktionärsrechte zu verweigern.

Gefahr von Abwanderungen

Ob sich Aktionäre nach Leoni und nun Varta darauf einstellen müssen, dass immer öfter mittels Kapitalschnitt in ihre Rechte eingegriffen wird, hängt nicht von der rechtlichen Regelung ab, sondern allein davon, wie sich die Unternehmen entwickeln, in denen die Aktionäre investiert haben. Das StaRUG hilft, strauchelnde Unternehmen zu stabilisieren und zu restrukturieren. Es dient nicht dazu, unternehmerische Versäumnisse zu heilen oder falsche Investitionsentscheidungen zu korrigieren. Der Weckruf, den der Einsatz des StaRUG bei manchen Anteilseignern offenbar auslöst, hätte hier viel früher kommen müssen.

Würde man das StaRUG in seinen Möglichkeiten beschneiden, indem man weitere Hürden für Eingriffe in Gesellschafter- und Aktionärsrechte einführte, wären mehr Abwanderungen deutscher Unternehmen zu befürchten, die dann ausländische Restrukturierungsverfahren nutzen, und − wo das nicht gelingt − Insolvenzen, Verluste von Arbeitsplätzen und Wirtschaftskraft. In keinem Fall wäre ein Erhalt des Vermögens der Aktionäre zu erreichen.

Vorschlag der TMA Deutschland

Es ist zu begrüßen, dass sich das StaRUG, manchen Unkenrufen zum Trotz, inzwischen auch in großen Verfahren bewährt. Der Rechtssicherheit wäre es dienlich, wenn der Gesetzgeber die durch die Praxis gefundene und durch die Gerichte bestätigte Regelung, dass im Moment einer ansonsten drohenden Insolvenz die Interessen der Gesellschafter hinter dem Interesse des Unternehmens und seiner Gläubiger zurücktreten müssen, kodifizieren würde. Berufsverbände wie die TMA Deutschland haben dazu bereits Vorschläge erarbeitet, damit erreicht wird, was der Gesetzgeber mit dem StaRUG immer erreichen wollte: ein modernes, den Interessen des Wirtschaftsstandorts Deutschland und seiner Unternehmen dienendes Restrukturierungsrecht.

*) Frank Grell ist Partner bei Latham & Watkins, Oliver Kehren ist Managing Director bei Morgan Stanley; beide sind Vorstandsmitglieder der TMA Deutschland – Gesellschaft für Restrukturierung.

Frank Grell ist Partner bei Latham & Watkins, Oliver Kehren ist Managing Director bei Morgan Stanley; beide sind Vorstandsmitglieder der TMA Deutschland – Gesellschaft für Restrukturierung.