Verwaltungsgericht setzt dem kollektiven Verbraucherschutz durch die BaFin Grenzen
Verwaltungsgericht setzt dem kollektiven Verbraucherschutz Grenzen
Allgemeinverfügung der BaFin zu Prämiensparverträgen aufgehoben
Von Jens H. Kunz
und Tobias B. Lühmann *)
Die von Kreditinstituten vormals angebotenen Prämiensparverträge haben in den letzten Jahren immer wieder die Zivilgerichte beschäftigt. Dazu ergangene höchstrichterliche Urteile hat die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) im Juni 2021 zum Anlass genommen, unter Berufung auf die Gewährleistung des Verbraucherschutzes eine Allgemeinverfügung zu erlassen, mit der den zahlreichen betroffenen Kreditinstituten weitgehende Verpflichtungen gegenüber betroffenen Kunden auferlegt wurden.
Zinsanpassungsklauseln
Diese Allgemeinverfügung hat das Verwaltungsgericht (VG) Frankfurt a. M. kürzlich für rechtswidrig erklärt und dabei der BaFin über den Einzelfall hinausreichende Schranken für Maßnahmen zum Schutz des Verbraucherschutzes gesetzt (Urteil vom 23.10.2024 - Az. 7 K 548/22.F).
In den 1990er bis zum Beginn der 2000er Jahre vertrieben Sparkassen und Volksbanken sog. Prämiensparverträge in unterschiedlicher Ausgestaltung. Diese Verträge sahen u.a. eine variable Verzinsung der Sparraten vor. Der variablen Verzinsung der Sparraten lagen dabei Zinsanpassungsklauseln zugrunde, die der Bundesgerichtshof (BGH) im Jahr 2004 und damit nach Vertragsschluss im Zuge einer Rechtsprechungsänderung für unwirksam erklärte. Damit war unklar, nach welchen Parametern der variable Zinssatz zu bestimmen war.
Ergänzende Vertragsauslegung
Nach Auffassung des BGH sollte die Vertragslücke im Wege der sog. ergänzenden Vertragsauslegung mit einer interessengerechten und von einem Gericht festgestellten Regelung geschlossen werden. Stattdessen übertrugen die Kreditinstitute die im Anschluss an das BGH-Urteil für das Neukundengeschäft entwickelten Zinsanpassungsklauseln regelmäßig ohne Rücksprache mit ihren Kunden auf Bestandsverträge.
BaFin-Allgemeinverfügung
Nachdem sich Kunden bzw. Verbraucherschutzverbände über dieses einseitige Vorgehen von Kreditinstituten bei der BaFin beschwerten und ein Dialog mit der Kreditwirtschaft keine Lösung brachte, erließ die BaFin am 21.06.2021 eine – im Oktober 2024 leicht modifizierte – Allgemeinverfügung. Mit dieser wurden Kreditinstitute verpflichtet, ihre Kunden über die Unwirksamkeit der Zinsanpassungsklauseln zu informieren und ihnen entweder unwiderruflich zuzusagen, eine (seinerzeit noch zu erwartende) zivilgerichtliche ergänzende Vertragsauslegung einer Zinsnachberechnung zugrunde zu legen oder einen Änderungsvertrag mit einer sachgerechten Zinsanpassungsklausel anzubieten.
Gegen die Allgemeinverfügung erhoben 1.156 Kreditinstitute Widerspruch. Aus verfahrensökonomischen Gründen wurde anschließend vorerst nur über die Widersprüche von drei Sparkassen und drei Volksbanken vorrangig entschieden und auf deren Klage hin eine Art verwaltungsgerichtliches Musterverfahren geführt.
Kein Missstand
Das VG Frankfurt a.M. hat der Anfechtungsklage der Kreditinstitute stattgegeben und die Allgemeinverfügung aufgehoben, weil es an dem verbraucherschutzrelevanten Missstand in Form eines Verstoßes gegen ein Verbraucherschutzgesetz fehle, der nach der von der BaFin für die Begründung der Allgemeinverfügung herangezogenen Rechtsgrundlage in § 4 Abs. 1a Finanzdienstleistungsaufsichtsgesetz (FinDAG) notwendig sei.
Das Urteil enthält grundlegende Feststellungen zum Anwendungsbereich von § 4 Abs. 1a FinDAG. Nach Ansicht des Gerichts bedürfe es für eine Allgemeinverfügung angesichts des Wortlauts dieser Ermächtigungsgrundlage eines Verstoßes gegen eine konkrete verbraucherschützende Norm; die allgemein gehaltenen AGB-Regelungen in §§ 305 ff. BGB reichten dafür nicht aus.
Ein verbraucherrechtlicher Missstand liege insbesondere nicht in der Missachtung von § 306 Abs. 2 BGB. Insoweit sei bereits zweifelhaft, ob die Regelung in § 306 BGB eine relevante verbraucherschützende Norm sei. Darauf komme es jedoch letztlich nicht an, weil jedenfalls kein Verstoß gegen das vom BGH aufgestellte Erfordernis der ergänzenden Vertragsauslegung und damit gegen § 306 Abs. 2 BGB vorliege. Das Ergebnis der ergänzenden Vertragsauslegung sei nämlich zum Zeitpunkt der Allgemeinverfügung weder vorhersehbar noch gerichtlich geklärt gewesen, so dass den Kreditinstituten auch nicht ein Verstoß gegen eine solche Auslegung vorzuwerfen sei.
Befugnis eingeschränkt
Mit dem Urteil schränkt das VG Frankfurt die Befugnis der BaFin ein, Kreditinstituten über § 4 Abs. 1a FinDAG verwaltungsrechtliche Vorgaben in Bereichen des zivilrechtlich begründeten kollektiven Verbraucherschutzes zu machen, bei denen kein klarer bzw. durch die höchstrichterliche Rechtsprechung eindeutig festgestellter Verstoß gegen konkrete verbraucherschützende Normen des Zivilrechts vorliegt. Zugleich wird deutlich, dass vermeintlich vertragswidrigem Verhalten von Kreditinstituten in erster Linie durch die zivilrechtliche Geltendmachung eigener (Verbraucher-)Rechte zu begegnen ist und nicht mit aufsichtsrechtlichen Maßnahmen der BaFin. Es bleibt abzuwarten, ob diese begrüßenswerte Klarstellung elementarer Grundsätze in dem von der BaFin bereits angestoßenen Berufungsverfahren Bestand haben wird.
*) Dr. Jens H. Kunz ist Partner und Dr. Tobias B. Lühmann Associated Partner von Noerr.