Den optimalen Zeitpunkt gibt es leider nicht
Von Werner Rüppel, Frankfurt
Als Aktien noch in erster Linie über die Bankfiliale gekauft wurden, hat es fast immer auch einen gut bekannten Kontraindikator gegeben. Einen Anleger wie zum Beispiel Hans S., der immer auf die Bank ging und Aktien orderte, wenn die Euphorie am größten war. Schließlich werden Dividendentitel besonders gerne gekauft, wenn ihr Preis hoch ist und in den vorangegangenen Monaten und Jahren hohe Kurszuwächse zu verbuchen waren. Wenn Hans S. in die Filiale kam, um Aktien zu kaufen, wussten die Bankmitarbeiter schon Bescheid. Dann war eine deutliche Kurskorrektur oder ein Kurseinbruch häufig nicht mehr weit entfernt.
Doch wann ist denn überhaupt ein günstiger Zeitpunkt für die Anlage am Aktien- oder Anleihemarkt? Dies ist eine legitime Frage, die viele Investoren stellen. Die Antwort auf diese Frage ist aber komplex, denn den optimalen Einstiegszeitpunkt gibt es nicht. Mitunter stellen Investoren im Nachhinein fest, dass ein Einstiegszeitpunkt günstig oder weniger günstig gewesen ist. Aber die Frage stellt sich ja vor dem Investitionszeitpunkt.
Was es aber durchaus gibt, sind einige Regeln, Weisheiten oder Anhaltspunkte, an denen sich Anleger bei der Geldanlage am Kapitalmarkt halten können. Diese betreffen das Risiko sowie die Performance einer Assetklasse sowie nicht zuletzt auch saisonale Muster.
Dax-Investoren wurden reich
Beginnen wir bei Risiko und Performance. Ein Engagement am Aktienmarkt ist auf lange Sicht meist außergewöhnlich lukrativ. Dies zeigt zum Beispiel die Wertentwicklung des Performanceindex Dax, der die Dividenden mit einbezieht, der per Anfang 1988 mit einem Stand von 1000 Punkten gestartet ist und inzwischen bei mehr als 14000 Zählern liegt. Wenn auch Aktien langfristig meist eine höhere Performance als Anleihen erwirtschaften, bieten auch Festverzinsliche in aller Regel langfristig hohe Wertzuwächse. Dafür, dass sie im Normalfall geringere Kursschwankungen als Aktien aufweisen, fällt eben die Performance meist nicht so hoch wie bei Dividendentiteln aus. Eine einzelne Aktie ist aber eine riskante Angelegenheit, weil Unternehmen pleite- bzw. insolvent gehen können. Dies trifft eine Unternehmensanleihe natürlich auch. Beispiele für gestrauchelte Firmen gibt es genügend: Lehman Brothers, General Motors, Fokker oder Wirecard, um nur einige zu nennen. Wobei Wirecard natürlich ein großer Betrugsfall ist, aber auch das kommt am Kapitalmarkt vor.
Um einem allzu hohen Einzelwertrisiko zu begegnen, hat Nobelpreisträger William F. Sharpe einmal drei Ratschläge im Gespräch mit der Börsen-Zeitung aufgezeigt. Sie lauten: „Streuen, streuen, streuen.“ Vor allem am Aktienmarkt hilft eine breite Streuung, zum Beispiel über einen Fonds, um das hohe Einzelwertrisiko zu minimieren, und zugleich die lukrative Aktienmarktprämie zu vereinnahmen. Denn „langfristig zahlt es sich aus, am Aktienmarkt engagiert zu sein“, sagt Richard Gröttheim, CEO des erfolgreichen schwedischen Pensionsfonds AP7.
Das Problem am Aktienmarkt ist nun, dass es immer einmal zu Einbrüchen kommen kann, es aber schwierig ist, Einbrüche zeitlich zu terminieren. Natürlich macht es Sinn auf die Notenbanken zu schauen. Und wenn die Notenbanken straffen, bedeutet dies Gegenwind für die Aktienmärkte. Darüber hinaus mahnt auch ein hohes Bewertungsniveau zur Vorsicht.
Doch neigen die Märkte zumindest auf Dauer von mehreren Monaten zu Übertreibungen sowohl nach oben als auch nach unten. So haben zum Beispiel der Neue Markt und die Dotcom-Blase gezeigt, dass die Euphorie der Anleger dazu führen kann, dass ein fundamental nicht gerechtfertigtes Bewertungsniveau noch eine Weile trägt, dass Kurse noch steigen, obwohl sie aufgrund der Bewertung und bereits bremsender Notenbanken eigentlich bereits fallen müssten. Dabei haben dann auch legendäre Investoren wie George Soros mit Short-Spekulationen Schiffbruch erlitten. Erst als Soros damals wieder long ging, ist die Blase schließlich geplatzt.
Kurseinbrüche sind Chancen
Ähnliches gilt bei massiven Kursrückschlägen. Auch hier gibt es das Phänomen, dass die Kurse aufgrund von niedrigen Bewertungsniveaus und einer absehbaren oder tatsächlichen Lockerung der Geldpolitik eigentlich wieder anziehen sollten, aber es doch noch nicht tun. Da Märkte eben eine Sozialwissenschaft und keine Naturwissenschaft sind, sind sie mitunter schwer aufzurechnen.
So kann im Grunde auch niemand sagen, wann bei einem massiven Kurseinbruch der Boden erreicht ist. Zum Beispiel betrug der maximale Verlust des Dax vom Frühjahr 2000 bis zum Frühjahr 2003 satte 73% – eine Größenordnung, die zuvor kaum jemand für möglich gehalten hätte.
Allerdings haben sich beim Dax und auch bei anderen großen Aktienindizes wie dem S&P 500 oder dem MSCI World größere Markteinbrüche im Nachhinein als günstige Kaufgelegenheiten erwiesen. Insofern kann es daher durchaus Sinn machen, wenn ein kräftiger Einbruch bereits erfolgt ist, Aktien zunehmend günstig werden und auch eine Änderung bzw. Lockerung der Geldpolitik zu erwarten ist, bereits mit gestaffelten Käufen am Aktienmarkt zu beginnen.
Insbesondere für Privatanleger ist es mitunter schwer zu durchschauen, was gerade an den Kapitalmärkten gespielt wird. Für sie sind global oder auf den deutschen Markt ausgerichtete Aktiensparpläne mit monatlichen Einzahlungen eine Strategie, die sich in aller Regel langfristig auszahlen. Solche Fondssparpläne sind gut geeignet, um zum Beispiel fürs Alter oder die Imponderabilitäten des Lebens vorzusorgen. Dabei begrenzen sowohl eine langfristige Ausrichtung als auch eine breite Streuung die Risiken. Und die schwierige Frage des optimalen Einstiegszeitpunkts wird schlichtweg durch ein stetiges Investieren ersetzt. Damit besteht für den Anleger jedenfalls keine Gefahr, wie Kontraindikator Hans S. just immer zum falschen Zeitpunkt einzusteigen.
Der September ist gefürchtet
Interessant ist beim Dax und auch bei den US-Aktienindizes, dass sie im Jahresverlauf ein ausgeprägtes saisonales Muster aufweisen. Für den Dax ist bis zum Juli im Durchschnitt eine gute Zeit, während es im August und September häufiger zu Korrekturen kommt. „Historisch betrachtet handelt es sich beim September um den schwächsten Börsenmonat des Jahres“, analysiert Jörg Scherer, Leiter der technischen Analyse bei HSBC Deutschland. Ab Oktober ist die Saisonalität dann wieder besser von November bis Jahresende ist mit die beste Börsenphase im Jahresverlauf. Vor diesem Hintergrund ist es durchaus gefährlich, Ende Juli oder Anfang August massiv in den Aktienmarkt einzusteigen. Damit haben in der Vergangenheit auch schon einmal institutionelle Investoren Schiffbruch erlitten.
Die Frage des Einstiegszeitpunkts stellt sich aber nicht nur bei Aktien, sondern auch bei Anleihen. Gerade in den vergangenen Jahren hat die expansive Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) die Anleiherenditen massiv gedrückt und zu negativen Renditen bei Bundesanleihen geführt. Dieser massive Renditerückgang birgt natürlich große Gefahren. Für viele war es wenig wahrscheinlich, dass die Renditen dauerhaft auf so einem niedrigen Niveau verharren.
Und steigen nun, wie zuletzt tatsächlich geschehen, die Teuerungsraten und die Leitzinsen massiv an, so trifft dies besonders niedrig verzinsliche Anleihen mit einer extrem langen Laufzeit. Zum Beispiel gelang es Österreich Mitte 2020 eine 100-jährige Anleihe zu einem Kupon von 0,85% (ISIN: AT0000A2HLC4) zu platzieren. Das hohe Risiko dieses Papieres war altgedienten Rentenspezialisten bereits bei Emission sehr bewusst. Und ein Kupon von 0,85% ist ja auch auf die lange Dauer extrem niedrig und bildet keinen Schutz oder Puffer, wenn die Inflation ansteigt. So kam es denn auch: Diese Anleihe, die in der Spitze mit 135% notierte, fiel bis Mitte dieses Jahres auf 40% zurück. Und das hat nichts mit der Bonität Österreichs, sondern allein mit dem Zinsanstieg und der langen Duration zu tun.
Perspektiven verbessert
Immerhin haben sich inzwischen durch einen massiven Kursrutsch die Perspektiven am Anleihemarkt gebessert, auch wenn hier niemand zu sagen vermag, wo der Tiefpunkt liegt. „Nach dem Kursrutsch bietet der Rentenmarkt erstmals seit langem die Aussicht auf mittelfristig auskömmliche Erträge“, sagt Christian Kopf, Leiter Portfoliomanagement Renten bei Union Investment. „Die deutlich gestiegenen Kupons bieten wieder eine Schutzfunktion gegen Kursverluste.“ Dies ebne institutionellen Anlegern wieder verstärkt den Weg in ihre traditionelle Kernanlageklasse.