Schwerer Sturm am Markt für digitale Anlagen
Von Alex Wehnert, Frankfurt
Am Markt für digitale Anlagen tobt ein schwerer Sturm – und Investoren müssen sich auf weiteren heftigen Gegenwind einstellen. Denn die Insolvenz der Kryptobörse FTX hat Sorgen vor einer weitreichenden Pleitewelle im Segment ausgelöst, da die Handelsplattform und ihr Gründer Sam Bankman-Fried eng mit dem restlichen Digital-Assets-Ökosystem verbunden waren. Die Lending-Plattform BlockFi, von FTX mit Krediten gestützt, musste bereits Gläubigerschutz beantragen, und auch der Broker Genesis ist in Bedrängnis geraten.
„Letzter Atemzug“
Dies setzt die Aktien börsennotierter Kryptodienstleister wie der Handelsplattform Coinbase sowie die Kurse der führenden Cyberdevisen Ether und Bitcoin unter Druck. So stürzte der Marktprimus im November zeitweise auf 15632 Dollar ab, was den niedrigsten Stand seit zwei Jahren bedeutete. Die anschließende leichte Stabilisierung auf über 17000 Dollar bezeichneten Ulrich Bindseil, Generaldirektor der Europäischen Zentralbank für Marktinfrastruktur und Zahlungsverkehr, und der Berater Jürgen Schaaf zuletzt in einem Blogbeitrag als „künstlich erzeugten letzten Atemzug vor dem Weg in die Irrelevanz“.
Auch bei anderen Notenbankern und Aufsehern haben der FTX-Crash und seine Folgen scharfe Reaktionen hervorgerufen. So warnte BaFin-Präsident Mark Branson die Finanzbranche davor, digitale Assets zu verharmlosen. Zwar sieht der Chef der deutschen Finanzaufsicht noch keine systemischen Risiken durch die Pleite der Handelsplattform – damit sich dies in künftigen Krisen nicht ändere, müsse das Bankensystem aber einen Schutzwall vor dem Kryptomarkt errichten. Damit stieß er ins gleiche Horn wie der stellvertretende Vorsitzende der Federal Reserve für Bankenaufsicht, Michael Barr. Investoren befürchten nun, dass ein härteres regulatorisches Vorgehen Cyberdevisen nachhaltig belasten wird.
Insbesondere die US-Börsenaufsicht SEC geht bereits stark konfrontativ gegen Digital-Assets-Anbieter vor. Kritiker bemängeln indes, dass es in den USA als weltweit wichtigstem Finanzmarkt nur einzelne Vollstreckungsmaßnahmen und keinen einheitlichen, progressiven Regulierungsrahmen für Krypto-Anlagen und -Dienstleistungen gibt.
Die FTX-Krise dürfte Pläne für ein umfassendes Regelwerk laut den Analysten von Bloomberg Intelligence auch im kommenden Jahr ausbremsen, da der Kongress zunächst die genauen Auswirkungen des Crashs abwarten werde. Doch selbst wenn eine solche Regulierung zu einem späteren Zeitpunkt den Weg durch den Senat und das Repräsentantenhaus finde, bedeute dies für Anbieter wie Coinbase, die marktführende Konkurrentin Binance und Stablecoin-Emittenten wie Tether und Circle ein Vielfaches von 10 Mill. Dollar an zusätzlichen Kosten.
Fortschritte in der EU
In der Europäischen Union ist die Regulierung schon weiter: Brüssel hat mit der Verordnung Markets in Crypto Assets (MiCA) einen einheitlichen Rechtsrahmen geschaffen, für digitale Anlagen gelten damit in Bezug auf den Verbraucherschutz und die Marktintegrität vergleichbare Standards wie für andere Assetklassen. Für Finanzinstitute und ihre Kunden soll sich so die Sicherheit bei Engagements im Kryptomarkt erhöhen. Dennoch erwartet James Butterfill, Head of Research des Vermögensverwalters Coinshares, nun eine langwierige Phase der Anlegerskepsis. Der FTX-Crash habe die Branche um Jahre zurückgeworfen, sagte der Analyst jüngst im Gespräch mit der Börsen-Zeitung. Insbesondere der Vertrauensverlust in zentrale Kryptobörsen falle gewaltig aus.
Anders als traditionelle Börsen, die Verkäufer und Käufer zusammenbringen, halten Plattformen für digitale Anlagen die Assets ihrer Kunden häufig für längere Zeiträume, um ein flüssigeres Trading zu ermöglichen. Wenn die Handelsdienstleister allerdings in Schwierigkeiten geraten, können Investoren häufig nicht auf ihre Mittel zugreifen – so auch im Fall FTX geschehen. Mehr als drei Wochen nach dem Insolvenzantrag der Kryptobörse zweifeln viele Marktteilnehmer daran, dass sie ihre gestrandeten Assets überhaupt wiedersehen. Tatsächlich genießen die Nutzer weitgehend unregulierter Digital-Assets-Plattformen in vielen Märkten nicht den gleichen Einlagenschutz wie Kunden etablierter Banken und Finanzinstitute.
Beobachter gehen deshalb davon aus, dass sich der Kryptohandel künftig verstärkt auf regulierte Derivatebörsen konzentrieren wird – unter diesen hat die Chicago Mercantile Exchange als weltweit führende Terminbörse momentan die Spitzenposition inne. Coinshares-Chefanalyst Butterfill rechnet indes mit einer zunehmenden Polarisierung des Marktes, bei der Vermögenswerte künftig entweder in vollständig dezentralisierte Protokolle oder in besicherte Anlageprodukte fließen.
Short-Vehikel gefragt
Allerdings wirkt sich die negative Stimmung auch auf Mittelflüsse bei Exchange Traded Products (ETPs) auf Kryptowährungen aus. Im November strömten laut dem Informationsdienstleister Bloomberg Intelligence per saldo 14 Mill. Dollar aus Bitcoin-Vehikeln, wobei aber die Zuflüsse in Short-ETPs einberechnet sind – und gerade diese machten laut Daten von Coinshares zuletzt bis zu drei Viertel der Gesamtzuflüsse aus. Das gesamte in börsengehandelten Kryptoprodukten verwaltete Vermögen habe durch Mittelabflüsse und Kursverluste den niedrigsten Stand seit zwei Jahren erreicht.
Besonders getroffen haben die jüngsten Verwerfungen den größten Kryptofonds der Welt: Die Assets under Management des zeitweise über 40 Mrd. Dollar schweren Grayscale Bitcoin Trust sind auf etwas mehr als 10 Mrd. Dollar eingebrochen. Das Vehikel soll den Kurs der Digitalwährung nachbilden, handelte zuletzt aber mit einem Abschlag von bis zu 40% zum Net Asset Value.
Dies ist nach Ansicht des Emittenten vor allem darauf zurückzuführen, dass dem Grayscale Bitcoin Trust anders als einem Exchange Traded Fund kein Creation-Redemption-Mechanismus offensteht, mittels dessen je nach Nachfrageentwicklung Fondsanteile kreiert oder eingezogen werden könnten. Der US-Assetmanager bemüht sich deshalb um die Umwandlung seines Flaggschiff-Vehikels in einen börsengehandelten Fonds, dies würde laut Grayscale bis zu 8 Mrd. Dollar an Wertschöpfung für Investoren freischalten.
Doch die SEC lehnt dies trotz einer Klage des Vermögensverwalters standhaft ab – laut Analysten stellt die Haltung des Regulators einen anhaltenden Belastungsfaktor für den globalen Kryptosektor dar, obwohl der Grayscale Bitcoin Trust in Märkten wie Europa überhaupt nicht handelbar ist. Denn die allgemeine Weigerung der Börsenaufsicht, spotbasierten Bitcoin-ETFs eine Zulassung zu erteilen, verhindere großvolumige Mittelzuflüsse ins Digital-Assets-Segment.
Schließlich seien institutionelle Investoren an das ETF-Produktformat gewöhnt und über dieses leichter ansprechbar. Durch die Ablehnung der SEC bleiben in den USA aber nur Krypto-ETFs auf Futures-Basis verfügbar, unter diesen hat lediglich ein Vehikel des Anbieters Proshares mit 678 Mill. Dollar ein nennenswertes Volumen erreicht.
Auch für europäische Krypto-Anleger bleiben die Aussichten damit trüb. Selbst wer den Empfehlungen von Assetmanagern wie Van Eck gefolgt ist und Digitalwährungen lediglich als Teil eines diversifizierten Portfolios mit 3 bis 5% allokiert, hatte daran 2022 nur wenig Freude. Denn die Wirkung als Hedge gegen eine steigende Inflation, die Cyberdevisen aufgrund ihrer vermeintlichen Unabhängigkeit von Zentralbanken lange zugesprochen wurde, erfüllen die Krypto-Assets ohnehin nicht mehr. Tatsächlich hat die restriktive Geldpolitik der Fed Bitcoin & Co. im laufenden Jahr schon vor der FTX-Krise unter Druck gesetzt. Schließlich ist das spekulativ geprägte Segment der Cyberdevisen noch stärker von einer hohen Liquiditätszufuhr an den Finanzmärkten abhängig als Assetklassen wie Aktien. Dies zeigt auch die stark positive Korrelation zwischen dem Wachstum der US-Geldmenge M2 und der Bitcoin-Kursentwicklung seit Anfang 2020.
Fed im Blickpunkt
Krypto-Anleger müssen also auf einen geldpolitischen Umschwung im kommenden Jahr hoffen. Zuletzt signalisierte die Fed zumindest für ihre Dezember-Sitzung eine weniger aggressive Zinserhöhung. Die Wahrscheinlichkeit, dass sich daran eine Wende hin zu einer lockereren Geldpolitik anschließen könnte, reduzierte sich nach Ansicht von Ökonomen aber schnell. Schließlich sei das Stellen- und Lohnwachstum in den USA im November stärker ausgefallen als erwartet – die Arbeit der Fed im Kampf gegen die hohe Inflation sei also noch nicht getan. In der Folge könnte sich der Sturm am Markt für digitale Anlagen noch verstärken.