Jörg Zeuner, Union Investment

„Wir kommen in ein neues Inflationsregime“

Im Interview spricht Jörg Zeuner, Chefvolkswirt und Leiter des Bereichs Research & Investment Strategy der Union Investment, über die Rückkehr der Inflation und was das für Investoren bedeutet.

„Wir kommen in ein neues Inflationsregime“

Herr Zeuner, die US-Verbraucherpreise sind im Januar um 7,5 % gegenüber Vorjahr geklettert. In Deutschland betrug der Anstieg im Dezember 5,3 % und im Januar 4,9 % gegenüber Vorjahr. Warum ist die Inflation zurück?

An den deutschen Inflationszahlen wird deutlich, dass die Energiekomponente im Moment einen erheblichen Beitrag zum Anstieg der Teuerung leistet. Vor allem ist aber die Pandemie für die höhere Inflation verantwortlich. Auf der Nachfrageseite haben wir Impulse, die wir im vergangenen Jahr im Rahmen der Pandemie gesetzt haben, sowie Veränderungen im Konsum. Konkret hatten wir in den USA 2021 ein Fiskalpaket im Rahmen der Pandemiebekämpfung in Höhe von rund 12 % des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Das ist ein massiver Nachfrageimpuls und das hat dazu geführt, dass wir selbst in einem Land mit einem sehr flexiblen Arbeitsmarkt die Einkommen haben hochhalten können. Zudem hat sich im Lockdown die Nachfrage strukturell verändert in Richtung Güter statt Dienstleistungen. Wir waren eben alle zu Hause. Und diese Verschiebung trifft im Lockdown auf ein Angebot, das nicht mehr richtig reagieren kann.

Und auf der Angebotsseite?

Dort heben die Lieferkettenprobleme, auch wegen der Lockdowns, die Preise, dann aber auch die Abkehr einer beachtlichen Zahl von Menschen vom Arbeitsmarkt, zumindest vorübergehend und vor allem in den USA. Außerdem gibt es statistische Effekte, wir hatten 2020 in den USA eine Inflation von gerade einmal gut 1 %, in Europa waren wir bei nahe 0 %. Das führt im Folgejahr dann logischerweise zu einer sehr hohen Inflationsrate, wenn sich die Dinge nicht nur normalisieren, sondern über Fiskalimpulse und Lieferkettenprobleme noch verschärft werden. Und dann die berühmte deutsche Mehrwertsteuer, also steuerpolitische und andere regulatorische Maßnahmen, welche die Inflation getrieben haben.

Wird sich die hohe Teuerung in den USA fortsetzen?

Die Inflation wird in den USA erhöht bleiben. Ich kann mir aber schon vorstellen, dass wir am Jahresende deutlich unter den 5% liegen. Es gibt ein paar Gründe, die mich da optimistisch stimmen. An erster Stelle stehen die Lieferkettenprobleme, die global kleiner werden. So ist absehbar, dass die Engpässe im Chipsektor abnehmen werden, das wird den Autosektor freuen. Und das wird Rückwirkungen auf die Gebrauchtwagenpreise haben, das ist ja einer der Preistreiber in den USA gewesen. Dann haben wir auch einen deutlichen Rückgang, was den Fiskalimpuls betrifft. In der Pandemie sind ja 12 % des BIP in die Wirtschaft gegeben worden, und 2022 wird Amerika 6 % des BIPs wieder zurückfahren. Das heißt, sie hatten 2021 ein Defizit, das um 6 Prozentpunkte höher war als 2022. Und wir gehen davon aus, dass der Fiskalimpuls in 2023 noch einmal negativ sein wird. Wenn sich dann noch die Energiekrise entspannt in Richtung Sommer, Herbst, dann gibt es in den Inflationszahlen in den USA im Laufe des Jahres irgendwann einen deutlichen Schritt nach unten.

Gibt es in den USA Zweitrundeneffekte, drohen die 70er Jahre zurückzukehren?

Derzeit findet ein „Regime Change“ statt, wir kommen in ein neues Inflationsregime. Im gerade begonnenen Jahrzehnt werden wir höhere Inflationsraten sehen als im abgelaufenen. Gut möglich, dass wir hier mehrere Jahre erleben, in denen es schwierig wird, weiter das 2-%-Inflationsziel zu halten. Der Vergleich mit den 70er Jahren hinkt allerdings, außer bei den Energiepreisen. Damals hatten wir eine nachfragegetriebene Inflation. Jetzt haben wir eine eher angebotsgetriebene Inflation, die sich fortsetzen dürfte.

Wie sieht diese aus?

Der Umbau der Lieferketten findet in einem neuen globalen Umfeld statt, in einem Wettbewerb zwischen den Großmächten USA und China auch um Technologie. Dieser Umbau wird sich fortsetzen und auf der Angebotsseite zu Verwerfungen führen und tendenziell die Preise heben. Das zweite große Thema ist Arbeitskräfteknappheit, sowohl in den USA und noch viel mehr in Europa. Hinzu kommt der Strukturwandel. Zu wenig Ausbildung für die Berufe der Zukunft und grüne Transformation sind hier die Treiber, die tendenziell die Inflation heben. Die Politik, die dabei gefordert ist, ist nicht nur die Geldpolitik. Hier müssen wir auch sehr stark über Fiskal- und Arbeitsmarktpolitik reden. Wenn es uns nicht gelingt, das gut zu managen, wird die Geldpolitik am Ende nur über die Zinsbremse die Konjunktur insgesamt, also die Nachfrage, reduzieren können. Das scheint mir nicht die Richtung zu sein, in die wir laufen sollten.

Was ist in Euroland und Deutschland an der Inflationsfront zu erwarten?

Das große Bild, dass ich für Amerika beschrieben habe, gilt natürlich auch für Europa. In Deutschland kennen wir das Projekt der Ampel-Koalition, was den Umbau der Wirtschaft betrifft. Prominentes Beispiel sind die Windräder. Deshalb glaube ich, dass die Zeiten der Nullinflation auch bei uns vorbei sind. Die Knappheiten am Arbeitsmarkt sind in Europa bald noch größer, wir haben ein noch größeres demografisches Problem. Allerdings haben wir auch die Arbeitnehmerfreizügigkeit. Und für die kommenden Jahre wird die Energieversorgung ein großes Thema sein.

Was erwarten Sie konkret?

Ich gehe davon aus, dass die Inflationsraten im Jahresverlauf in Richtung des EZB-Ziels von 2 % zurückfallen, dass wir aber im Jahresdurchschnitt in der Eurozone insgesamt, und auch in Deutschland, noch deutlich darüber bleiben.

Frau Lagarde hat gesagt, sie sieht noch keine Zweitrundeneffekte. Hat sie Recht?

In Europa sind die Risiken in der Energieversorgung das große Thema, und das bringt wiederum ganz große Risiken in die Preisentwicklung. Hier ist die Politik jetzt wirklich gefordert, nach Lösungen zu suchen. Ansonsten ist nicht auszuschließen, dass steigende Energiepreise auf die anderen Preise durchschlagen. Eine Lohn-Preis-Spirale sehe ich bisher nicht. Im Gegensatz zu den USA haben wir in Deutschland die Menschen in Rezessionsphasen über die Kurzarbeit in ihren Arbeitsverträgen gehalten. Die großen Veränderungen in den Gehältern passieren beim Wechsel der Arbeitsverträge.

Wie werden die Notenbanken reagieren, und was macht die Fed?

Die Fed hat sehr klar gemacht, dass sie diesen Regime Change bei Inflation jetzt sieht, und hat die Zinswende eingeleitet. Fünf Zinserhöhungen in 2022 halten wir für ausgemachte Sache, und das verbunden mit einem passiven Bilanzabbau. Wenn der Regime Change vor allem von der Angebotsseite getrieben ist, dann dürfte das Tempo 2023 mit bis zu drei Zinsschritten schon wieder zurückgehen. Wir werden Renditen haben, die am langen Ende wieder deutlich positiv sind.

Was wird die EZB machen?

Erst einmal wird die EZB ihre Anleihekäufe bis in den Herbst zurückführen, um dann eine erste Zinserhöhung vorzunehmen. Die Nullzinsphase geht auch hier zu Ende, der Kurs der Zinsen in Euroland ist eindeutig nach oben gerichtet. Insgesamt ist Europas Konjunktur weniger stabil als die amerikanische. Daher bleibt die EZB auch 2023 vorsichtiger, um keinen Fehler zu machen. Wegen der niedrigeren Inflation als in den USA hat sie auch weniger Handlungsdruck.

Für zehnjährige Bundesanleihen gibt es kaum Zinsen. Dies ist nicht attraktiv.

Die positive Botschaft ist, dass auch die Rendite von zehnjährigen Bundesanleihen über die Nulllinie geklettert ist und weiter steigt. Real ist sie aber weiterhin negativ und insofern kein Argument für klassisches Sparen, sondern eher für Konsum und Aktiensparen. Bei steigenden Zinsen wird es für die Bondmärkte schwierig, deshalb bleiben Anleihen auf absehbare Zeit eine volatile Anlageklasse, deren Ertrag am Ende enttäuscht. Solange die Inflation hoch ist, sind Investoren mit Kurzläufern immer besser positioniert.

Was bedeutet der Inflationsanstieg und die daraus resultierende geldpolitische Wende für den Aktienmarkt?

Eine schnelle Straffung der Geldpolitik führt zur Verunsicherung, das Gleiche gilt, wenn die Inflationsraten in der Größenordnung von 5 % liegen. Das bringt Volatilität und Unsicherheit in die Märkte. Steigende Zinsen belasten vor allem die hoch bewerteten und nicht ganz so profitablen Segmente des Aktienmarkts. Beim Dax sind wir insgesamt optimistischer als für den Gesamtmarkt, er ist historisch nicht hoch bewertet. Und wenn wir aus der Pandemie herauskommen, dann dürften die global ausgerichteten Dax-Werte überdurchschnittlich davon profitieren.

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