RECHT UND KAPITALMARKT

Machtzuwachs für die Hauptversammlung

Gesetz zur Umsetzung der Aktionärsrechterichtlinie stellt Vergütungskompetenz des Aufsichtsrats auf den Prüfstand

Machtzuwachs für die Hauptversammlung

Von Andreas Austmann *)Der Aufsichtsrat hat die Personalkompetenz gegenüber dem Vorstand. Diese besteht aus zwei Elementen: Erstens bestellt der Aufsichtsrat die Vorstandsmitglieder und beruft sie ab, zweitens vereinbart er mit ihnen die Dienstverträge und damit insbesondere die Vergütung. Diese ist das entscheidende Anreiz- und Steuerungsinstrument und neben der geschickten Personalauswahl der wichtigste Baustein eines erfolgreichen Personalmanagements durch den Aufsichtsrat. Zugleich ist die Vergütungskompetenz zentrales Machtmittel beim Austarieren der Kräfte zwischen Hauptversammlung, Aufsichtsrat und Vorstand.In den ersten Jahrzehnten seit 1965, also unter der Geltung unseres heutigen Aktienrechtssystems, bestand nie ein Zweifel daran, dass die Vergütungskompetenz allein beim Aufsichtsrat zu liegen habe. Diese Übereinstimmung gerät für börsennotierte Aktiengesellschaften seit der Jahrtausendwende durch verschiedene Einflüsse ins Wanken. Mit der Auflösung der Deutschland AG, aber auch mit der Übernahme US-amerikanischer Praktiken ging offenbar das Grundvertrauen darin verloren, dass der Aufsichtsrat schon von sich aus den seit jeher geltenden Gesetzesbefehl, für eine angemessene Vorstandsvergütung zu sorgen, erfüllen werde.Der Gesetzgeber versuchte es zunächst mit Transparenz: Ab 2005 waren die Vorstandsvergütungen individuell offenzulegen und gerieten damit unter Begründungszwang. Die Folge davon war keineswegs, wie der Gesetzgeber sich wohl erhofft hatte, eine Vermeidung von Vergütungsspitzen infolge einer Prangerwirkung, sondern im Gegenteil eine allgemeine Anpassung der Vergütungen in Richtung der höchsten veröffentlichten Beträge. Das hatte man in den USA allerdings schon beobachten können, und das haben uns US-amerikanische Ökonomen auch vorhergesagt.In der Zeit vor der Finanzkrise 2008 wurden dann wirkliche oder auch nur gefühlte Vergütungsexzesse öffentlich intensiv erörtert, zunächst und vor allem bei den Banken. Darauf reagierte der Gesetzgeber 2009 mit strengeren materiellen Regeln zur Ausgestaltung einer am langfristigen Unternehmenswohl orientierten Vorstandsvergütung. Erstmals fand auch ein “Say-on-Pay-Beschluss” Eingang in das Gesetz, das heißt ein Beschluss der Hauptversammlung über das vom Aufsichtsrat vorzulegende Vergütungssystem für die Vorstandsmitglieder (nicht deren individuelle Vergütung). Breite DiskussionDer Beschluss war allerdings freiwillig und begründete weder Rechte noch Pflichten; er war gewissermaßen nur ein unternehmenspolitisches Statement der Hauptversammlung. Immerhin wurden diejenigen Fälle, in denen die Hauptversammlung dem Aufsichtsrat die Gefolgschaft verweigerte, breit diskutiert und führten zu merklichem Druck auf den Aufsichtsrat, das Vergütungssystem zu ändern.Auch danach hörten zumindest die gefühlten Vergütungsexzesse nicht auf. Außerdem wandte sich nun auch die EU verstärkt den Fragen der Vorstandsvergütung zu und formulierte inhaltliche und verfahrensmäßige Positionen. Diese wurden stark von angelsächsischen Ideen beeinflusst, Ideen aus einem Rechtskreis also, in dem die Verwaltung einer Aktiengesellschaft monistisch mit einem Verwaltungsrat statt, wie bei uns, dualistisch vom Vorstand unter Überwachung und Beratung durch den Aufsichtsrat besorgt wird.Immerhin konnten die deutschen Vertreter in Brüssel verhindern, dass die 2017 revidierte Aktionärsrechterichtlinie weitreichende Systembrüche im deutschen Aktienrecht ausgelöst hätte. Dankenswerterweise hat der deutsche Gesetzgeber sich ferner im Wesentlichen darauf beschränkt, die Richtlinie nur so weit umzusetzen, wie dies rechtlich zwingend war. Dennoch schreitet der Machtverlust des Aufsichtsrats in Vergütungsfragen weiter voran. Mit etwas Verspätung wird das deutsche Umsetzungsgesetz am 1. Januar 2020 in Kraft treten und uns bei den Regeln zur Vorstandsvergütung etliche Neuerungen inhaltlicher und verfahrensmäßiger Art bescheren.Künftig, spätestens ab der Hauptversammlungssaison 2021, ist ein Say-on-Pay-Beschluss der Hauptversammlung nicht mehr freiwillig, sondern bei jeder wesentlichen Änderung des Vergütungssystems, mindestens jedoch alle vier Jahre einzuholen. Unverändert gilt, dass die Hauptversammlung das vom Aufsichtsrat vorgelegte Vergütungssystem nur gutheißen oder ablehnen, nicht jedoch inhaltliche Änderungen vorschlagen kann. Bei Ablehnung muss der Aufsichtsrat nun im Folgejahr ein überprüftes (nicht notwendig geändertes) Vergütungssystem zur Beschlussfassung vorlegen.Unverändert gilt zwar weiterhin, dass der Say-on-Pay-Beschluss keine Rechte oder Pflichten begründet. Allerdings darf der Aufsichtsrat mit den Vorstandsmitgliedern Vergütungen nur im Rahmen des von ihm vorgelegten (nicht notwendig von der Hauptversammlung gebilligten) Vergütungssystems vereinbaren (Selbstbindung).Der Mindestinhalt des Vergütungssystems wird in etlichen Punkten und Unterpunkten ausdifferenziert, zum Teil vorgeschrieben (etwa die Angabe der Maximalvergütung), zum Teil nur für den Fall gefordert, dass der Aufsichtsrat sich für bestimmte Vergütungsbestandteile entscheidet (etwa bei aktienbasierter Vergütung). Opt-out nicht mehr möglichDer Aufsichtsrat hat der Hauptversammlung jährlich einen der Abschlussprüfung zu unterziehenden Vergütungsbericht, dessen Inhalt das Gesetz ebenfalls detailliert beschreibt, zur Beschlussfassung vorzulegen. Darin müssen die Vergütungen der Vorstandsmitglieder individuell ausgewiesen werden; ein Opt-out aufgrund eines Hauptversammlungsbeschlusses ist, anders als bisher, nicht mehr möglich. Ferner muss die Gehaltsentwicklung der Vorstandsmitglieder mit derjenigen der Arbeitnehmer verglichen werden (sogenannter Vertikalvergleich).Abgesehen davon, dass hier Stoff für sachlich selten zielführende, eher emotionale Diskussionen geliefert wird, ahnt man schon, in welche problematische Richtung die Gedanken des europäischen Gesetzgebers für etwaige künftige Höchstbeträge der Vorstandsvergütung gehen. Die Beschlüsse über das Vergütungssystem und den Vergütungsbericht unterliegen richtigerweise nicht der Anfechtung, gewähren also berufsmäßigen Anfechtungsklägern keine neuen Angriffspunkte.Mit steigender Transparenz und erhöhtem Arbeitsaufwand in Vergütungsfragen werden die deutschen Aufsichtsräte, ihre Vorsitzenden und deren Büros sich alsbald arrangieren. Wichtiger ist, dass sie öffentliches Vertrauen in ihre Vergütungskompetenz zurückgewinnen und eine weitere Machtverschiebung Richtung Hauptversammlung vermeiden.Wenn wir in Deutschland am dualistischen Verwaltungssystem der Aktiengesellschaft festhalten wollen, jedenfalls bei mitbestimmten Unternehmen, ist eine weitere Schwächung des Steuerungsinstruments Vergütung in der Hand des Aufsichtsrats nicht wünschenswert. Das bedeutet vor allem: Der Say-on-Pay-Beschluss der Hauptversammlung sollte nicht bei der nächsten Gesetzesrevision für den Aufsichtsrat verbindlich gemacht werden, mit der Folge etwa, dass der Aufsichtsrat nur auf Grundlage eines solchen Beschlusses Vereinbarungen über die Vergütung treffen könnte.Dafür müssen die Aufsichtsräte zeigen, dass sie eine angemessene, von einer Mehrheit der Aktionäre getragene und öffentlich weitgehend akzeptierte Vorstandsvergütung auch ohne regulatorische Zwangsjacke gewährleisten wollen und können. Dies setzt unter anderem die Erkenntnis voraus, dass die Vergütung der Manager börsennotierter Unternehmen nicht nur die Eigentümer des Unternehmens angeht, sondern einen gewissen gesellschaftlichen Konsens erfordert. Und der kann in Deutschland anders aussehen als in den USA. Wenn sich daraus ein Nachteil im globalen Wettbewerb um Managertalente ergibt, ist die Politik gefordert, am gesellschaftlichen Konsens zu arbeiten. *) Dr. Andreas Austmann ist Partner von Hengeler Mueller in Düsseldorf.