Militärtechnik "Made in Germany" lockt Investoren
Militärtechnik
"Made in Germany"
lockt Investoren
Verteidigungstechnologie ist für viele VC-Firmen kein Tabu mehr. 2023 sind erneut beachtliche Summen in Start-ups geflossen – auch nach Deutschland.
Von Karolin Rothbart, Frankfurt
Die Ordnung der Welt wird immer poröser. So hat es Außenministerin Annalena Baerbock Anfang November auf der Europakonferenz formuliert, fast einen Monat nachdem ein Terrorangriff der radikalislamischen Hamas auf Israel mit geschätzt 1.200 Toten zum Ausbruch des Kriegs im Gazastreifen geführt hat. Als wäre der russische Angriff auf die Ukraine im Vorjahr nicht schon schlimm genug gewesen. Und als würde ein möglicher Angriff Chinas auf das demokratische Nachbarland Taiwan nicht schon seit gefühlten Ewigkeiten wie ein Damoklesschwert über der Welt hängen.
Die militärischen Konflikte und bestehende geopolitische Spannungen führen in der Wirtschaft schon seit längerem zu einer Art Paradigmenwechsel. Die Rüstungsindustrie hat an Selbstbewusstsein dazugewonnen, die Auftragsbücher sind proppenvoll. Und auch in der Start-up-Welt befeuern die Entwicklungen einen Trend, der sich in letzter Zeit immer stärker abzeichnet: Investoren, die zunehmend Gefallen an Verteidigungstechnologie finden. Laut dem Datendienst Pitchbook sind in diesem Jahr bis Mitte Dezember weltweit gut 19 Mrd. Euro in den einst wenig beachteten Sektor geflossen.
Im Vergleich zu den Jahren 2021 und 2022, in denen die Märkte vor allem wegen der Niedrigzinspolitik als extrem überhitzt galten, ist das natürlich ein Rückgang. Doch klammert man diese beiden Ausreißer aus, so zeigt der Trend eindeutig und kontinuierlich nach oben. In den USA hat sich der Sektor in diesem Jahr mit Blick auf das Deal-Volumen sogar am besten geschlagen.
Neues deutsches Einhorn
Als einer der größten Rüstungsexporteure der Welt zieht aber auch die Bundesrepublik Deutschland das Interesse der Geldgeber auf sich. Das Münchener Start-up Helsing etwa, das künstliche Intelligenz für den militärischen Einsatz entwickelt, hat im September in einer Series-B-Finanzierungsrunde 209 Mill. Euro eingesammelt – so viel wie kaum ein anderes Defence-Tech-Start-up weltweit in diesem Jahr. Die Bewertung stieg im Rahmen des Fundings auf 1,7 Mrd. Euro. Damit ist Helsing eines von nur sieben Unternehmen, die in Europa in diesem Jahr den sogenannten Einhorn-Status erreicht haben.
Hauptinvestor war der US-Wagniskapitalgeber General Catalyst, der sich kurze Zeit nach dem Investment in einem bislang eher ungewöhnlichen Schritt mit der Berliner VC-Gesellschaft La Famiglia zusammengeschlossen hatte, um in Europa noch stärker Fuß zu fassen. Laut Paul Kwan, Managing Director bei General Catalyst, hätten vor allem das Team, das Geschäftsmodell und die Herangehensweise von Helsing an das Thema KI überzeugt: "Die Kombination aus tiefgreifender Erfahrung bei künstlicher Intelligenz, die Regierungsbeziehungen, die nachgewiesene Fähigkeit zur Skalierung sowie das Maß an Talent, das sie im Team gewinnen konnten, ist unglaublich differenziert", sagte der Investor.
Es sei generell diese "Verfügbarkeit von technischem sowie unternehmerischem Talent", die Deutschland als Standort auszeichne, findet Kwan. Dadurch gebe es hierzulande auch eine "Kultur der technologischen Innovation" und Tech-Unternehmen, die sich allgemein in ihren paneuropäischen und globalen Bestrebungen von anderen Regionen unterscheiden würden. Der Investor sieht aber auch Besserungsbedarf – zum Beispiel wenn es um die Transparenz bei den Beschaffungsprozessen in der Branche geht. "Das gilt sowohl für Deutschland als auch für Europa als Ganzes", sagt Kwan.
Als strategischer Investor hatte sich auch der schwedische Rüstungskonzern Saab an Helsing beteiligt, der seit Mai 2022 mit dem Start-up im Bereich "kognitiver elektronischer Kampf" für die Luftwaffe kooperiert. Die Partner hatten im Juni von der Bundesregierung den Auftrag erhalten, den Eurofighter für ebendieses Einsatzfeld auszurüsten. Mit dem nordrhein-westfälischen IT-Unternehmen Schönhofer Sales and Engineering sowie mit IBM Deutschland soll Helsing zudem eine KI-Infrastruktur für das Future Combat Air System (FCAS), das gemeinsame Waffensystem von Deutschland, Frankreich und Spanien, bereitstellen.
Neben Helsing hat in diesem Jahr auch das Start-up Quantum Systems von sich reden gemacht. Die Firma hat ihren Sitz ebenfalls in München und entwickelt Drohnen, die sowohl für militärische als auch für zivile Zwecke eingesetzt werden können ("Dual Use"). Die Fluggeräte werden unter anderem von den ukrainischen Streitkräften zur Aufklärung genutzt. Im Oktober kam es zum Abschluss einer Series-B-Finanzierungsrunde in Höhe von fast 64 Mill. Euro. Beteiligt haben sich die Münchener HV Capital, Digital Transformation Capital Partners, Project A aus Berlin, der Milliardär und Paypal-Gründer Peter Thiel, der Scaleup Fonds Bayern, Omnes Capital aus Frankreich und Airbus Ventures.
"Der Ukraine-Krieg war in vielerlei Hinsicht ein Weckruf", sagt Florian Seibel, ehemaliger Bundeswehrsoldat und Mitgründer von Quantum Systems. Das gelte sowohl für die Nato, für die EU als auch für die deutsche Bundesregierung. "Wir waren auf diesen Krieg nicht vorbereitet. Investitionen in Verteidigungstechnologie standen jahrzehntelang nicht im Fokus. Wagniskapitalgeber investierten nicht in Defence-Start-ups, weil sie kein Interesse hatten, ihnen das Investment zu heikel war oder Auflagen ein Investment in Verteidigungstechnologie untersagten", so der Unternehmer. Das ändere sich zwar gerade, "wenn auch vor einem sehr besorgniserregenden Hintergrund".
Nato als Start-up-Investor
In der Nato hat der Weckruf die Aufmerksamkeit jedenfalls nachweisbar auch auf die Start-up-Landschaft gelenkt. Im August hat das westliche Verteidigungsbündnis das Closing eines 1-Mrd.-Euro-Fonds zur Förderung neuartiger Militärtechnologien vermeldet. Mit dem Geld sollen über 15 Jahre hinweg Start-ups in der Frühphase und andere Wagniskapitalfonds gefördert werden, die für das Verteidigungsbündnis wichtige Dual-Use-Technologien entwickeln. Dazu zählen künstliche Intelligenz, Big-Data-Verarbeitung, Quantentechnologie, Biotechnologie, Antriebstechnologie und Spacetech. Insgesamt beteiligen sich 23 Partnerländer an dem Fonds, dessen Vorsitzender der Gründer und Chef des europäischen Venture-Capital-Schwergewichts Lakestar, Klaus Hommels, ist.
Ein konkretes Investment ist aus dem Innovationsfonds bis zuletzt zwar nicht erfolgt. In der Szene rechnet man dennoch mit allgemein weiter anziehenden Wagniskapitalströmen in den Verteidigungsbereich. Es gebe einen Trend in diese Richtung, sagt Quantum-Systems CEO Seibel. "Wenn wir uns in Europa nicht weiter von den Vereinigten Staaten oder China abhängen lassen wollen, brauchen wir eine wachsende Zahl von mutigen Investoren, die diesen Sektor unterstützen", so der Gründer.