Alarmstimmung in der Industrie wegen Chipmangel
ahe Brüssel
Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) ist gemeinsam mit den beiden französischen Industrieverbänden Medef und France Industrie mit einem politischen Forderungskatalog zur Stärkung der europäischen Halbleiterindustrie an die Öffentlichkeit gegangen. Die Verbände verwiesen in einem Positionspapier darauf, dass Halbleiter für praktisch jedes Industrieprodukt entscheidend und eine zuverlässige Versorgung mit Chips „für den wirtschaftlichen Erfolg, die Widerstandsfähigkeit, die digitale Souveränität und die Stabilität Europas“ von entscheidender Bedeutung seien. Darüber hinaus seien Halbleiter entscheidend für den grünen und digitalen Wandel in Europa. „Es braucht dringend eine gemeinsame europäische Kraftanstrengung, um die Halbleiterindustrie am Standort Europa zu stärken“, betonte BDI-Präsident Siegfried Russwurm.
Nach Angaben des BDI hat die deutsche Wirtschaft im vergangenen Jahr durch den akuten Chipmangel einen Umsatzverlust von 1,6% des deutschen Bruttoinlandsprodukts (BIP) verkraften müssen. Bisher hätten 40% der deutschen Unternehmen Umsatzeinbußen wegen der Engpässe gemeldet, hieß es. Ähnliche Aussagen kamen aus der französischen Wirtschaft, die ebenfalls stark unter der Halbleiterknappheit leidet. Der Fertigungssektor werde erheblich gebremst, da kritische Halbleiter nicht rechtzeitig geliefert würden, hieß es in dem Papier. Die Verbände verweisen darauf, dass allein der globale Automobilsektor im Jahr 2021 aufgrund der Chipknappheit Umsätze in Höhe von „Hunderten von Milliarden Dollar“ verloren habe. Und die aktuellen Wartezeiten für die Lieferung von Chips seien rund zehn Wochen länger als üblich.
Mehr Kapazitäten gefordert
Der weltweite Halbleitermarkt soll im Jahr 2022 einen Umsatz von über 600 Mrd. Dollar erwirtschaften. Die Branche wächst seit Jahren zweistellig. Die EU kommt allerdings nur auf einen Marktanteil von rund 10%. Daher stellen die drei Verbände auch einen raschen Aufbau von weiteren Fertigungskapazitäten in der EU ins Zentrum ihrer Forderungen. „Neben Halbleitern im niedrigen und größeren Nanometerbereich sollte die europäische Politik neue Materialkompositionen mit hohem Innovationspotenzial fördern“, unterstrich BDI-Präsident Russwurm. Notwendig seien auch eine Fachkräfteinitiative, schnellere Planungs- und Genehmigungsverfahren und eine engere Kooperation von Politik und Wirtschaft.
Die EU-Kommission hatte bereits im Februar einen Vorschlag für ein sogenanntes Chip-Gesetz vorgelegt. Dieses soll unter anderem 43 Mrd. Euro in Form von öffentlichen und privaten Investitionen mobilisieren, ein Viertel davon für den Bereich Forschung und Entwicklung. Ziel ist, den europäischen Marktanteil bis 2030 auf 20% zu verdoppeln.
Die drei Verbände forderten die EU-Mitgesetzgeber, die den Chip Act aktuell beraten, zu einer engen Zusammenarbeit mit der Industrie auf, damit das Gesetz im Endeffekt auch die gesamte Wertschöpfungskette – einschließlich Design, Produktion und Verpackung – stärke. Die Verbände betonten ausdrücklich, dass sie keine „Halbleiter-Planwirtschaft“ wollten, wohl aber eine Investitionsförderung in neue Produktionsstätten beispielsweise durch gezielte und flexible staatliche Beihilfen. Wichtig sei auch, Spezialisten für die Halbleiterindustrie zu gewinnen und auszubilden.
Aktuell droht der Materialmangel für die EU-Wirtschaft auch durch den Lockdown in Schanghai noch einmal verschärft zu werden. Nach Angaben des Instituts für Weltwirtschaft in Kiel und des Rotterdamer Hafens ist die Zahl der aus China in Richtung Westen fahrenden Schiffe schon gesunken. Das Berliner Mercator-Institut für Chinastudien (Merics) verwies darauf, dass den größten Anteil bei den chinesischen Exporten von Industriekomponenten elektronische Bauteile und Computer aller Art haben.