„Am Geld wird es jedenfalls nicht scheitern“
Sabine Wadewitz.
Herr Dr. Schönig, CO2-neutrale Fleischproduktion gilt als einer der zentralen Aspekte im Kampf gegen den Klimawandel. Können wir über die Auswahl unseres Essens wirklich viel bewirken?
Die konventionelle Fleischproduktion beansprucht nach Expertenschätzungen etwa 75% der weltweit genutzten Agrarflächen und ist für über 15% der global emittierten Treibhausgase verantwortlich. Die Tendenz ist steigend. Alternativen, wie pflanzenbasierte Fleischersatzprodukte oder auch in Zellkulturen entstandenes Fleisch, sind im Vergleich dazu deutlich ressourcenschonender und klimafreundlicher, nicht zuletzt, weil keine Treibhausgase entstehen und der hohe Wasser- und Energieverbrauch konventioneller Tierhaltung entfällt. Für die Agrar- und Lebensmittelindustrie bedeutet dies weniger ein Kann, sondern ein Muss, denn im Rahmen des sogenannten Green Deal der EU wird die Industrie bis 2030 strenge Auflagen zur CO2-Reduktion erfüllen müssen.
Wie oft landet umweltfreundliches Fleisch schon auf dem Teller?
Der Markt für Fleischersatzprodukte wächst rasant, und dies, ohne dass bereits strenge regulatorische Vorgaben für die Industrie in Bezug auf CO2-Reduktion in Kraft wären. Der Markt antizipiert hier wohl die zwingenden Notwendigkeiten und sieht die Chancen – sowohl für pflanzliche Alternativen als auch für Kulturfleisch. Man muss sich vergegenwärtigen, dass die Weltbevölkerung bis 2050 auf fast 10 Milliarden Menschen anwachsen wird, die alle hinreichend proteinhaltige Nahrung benötigen. Es geht also weniger um ein Lifestyle-Thema, sondern um einen essenziellen Beitrag zur Eindämmung von CO2-Emissionen und zur Erhaltung unserer Lebensgrundlagen. Das birgt auch immense wirtschaftliche Chancen.
Welche Anbieter liegen vorn im Rennen?
Amerikanische Firmen wie Beyond Meat oder Upside Foods gehören aktuell zu den führenden Herstellern und Entwicklern. Der israelische Hersteller Redefine Meat betreibt gerade intensiv seinen Markteintritt in Europa. Aber auch in Europa arbeiten Start-ups wie Mosa Meat an Alternativprodukten für den Endverbraucher. Es gibt zahllose weitere Beispiele. Am Geld wird es jedenfalls nicht scheitern, denn Wagniskapitalgeber sind dabei, riesige Fonds für diesen Bereich aufzusetzen, auch in Deutschland. Im Fokus stehen aktuell allerdings eher pflanzliche Fleischersatzprodukte. Produkte aus kultiviertem Fleisch sind, nicht zuletzt wegen regulatorischer Unsicherheiten, noch nicht so präsent – eine Ausnahme bildet Singapur.
Welcher rechtliche Rahmen ist für Laborfleisch gesteckt? Ist es in Europa möglich, Fleisch aus Zellkulturen auf den Markt zu bringen?
Die Möglichkeit besteht auf jeden Fall. Soweit ersichtlich, ist für Zellkulturfleisch aber bisher noch keine Anmeldung für ein Zulassungsverfahren in der EU eingegangen. Der europäische Rechtsrahmen ist zweigeteilt. Soweit ein neues Produkt oder ein neues einzelnes Protein gentechnikfrei ist, gilt die sogenannte Novel Food Regulation. Für den Fall, dass ein Produkt genetisch modifizierte Organismen enthält, unterfällt es darüber hinaus der sogenannten GMO Regulation. Die Novel Food Regulation tritt in diesem Fall weitgehend zurück. Das gilt im Übrigen sowohl für Zellkulturfleisch als auch für pflanzenbasierte Fleischalternativen.
Welche Produkte fallen unter die Novel Food Regulation?
Alle Lebensmittel, die vor dem 15. Mai 1997 nicht in nennenswertem Umfang für den menschlichen Verzehr verwendet wurden. Hierzu zählen beispielsweise Insekten oder daraus generierte Proteine. Auch pflanzenbasierte Fleischersatzprodukte, ob vegan oder vegetarisch, können unter die Verordnung fallen.
Das ist ungewöhnlich, sie sind doch schon lange auf dem Markt.
Zwar sind Hülsenfrüchte wie Sojabohnen oder Erbsen, deren Proteinisolate schon lange für die Herstellung von pflanzlichen Fleischersatzprodukten verwendet werden, in der Regel keine neuartigen Lebensmittel im Sinne der Novel Food Regulation. Um die Identifizierung neuer, besserer Proteine für die Nutzung in Fleischersatzprodukten ist allerdings ein ziemlich intensiver Innovationswettbewerb in Gang. Herkunft oder der Prozess der Isolierung der Proteine kann dann das einzelne Protein oder auch das finale Lebensmittel eben doch neuartig im Sinne der Verordnung machen. In der EU wurde zum Beispiel gerade kürzlich für aus der Mungbohne sowie aus Raps isolierte – gentechnikfreie – Proteine, die auch in Fleischersatzprodukten Verwendung finden können, eine Zulassung erteilt.
Wie sieht es mit Zellkulturfleisch aus?
Fleisch beziehungsweise Proteine, die aus fleischlichen Zell- oder Gewebekulturen erzeugt wurden, fallen nach meiner Auffassung unter diese Verordnung. Klare Leitlinien gibt es hierzu aber noch nicht.
Welche Voraussetzungen für eine Zulassung gelten nach der Novel Food Regulation und der GMO Regulation?
Nach beiden Verordnungen bedarf ein Produkt einer Zulassung, bevor es für den Verzehr in der Europäischen Union in Verkehr gebracht werden darf. Die Verfahren sind komplex. Ein paar Eckpunkte: In jedem Fall müssen die Hersteller nachweisen können, dass der Konsum des Produkts kein Gesundheitsrisiko darstellt. Sofern genetisch modifizierte Lebensmittel betroffen sind, muss ferner ausgeschlossen sein, dass ungewollte Modifikationen möglich sind. Die Anforderungen sind sehr aufwendig.
Speziell in welchen Aspekten?
Soweit durch ein Novel Food ein bereits existierendes Lebensmittel ersetzt werden soll, darf es im Hinblick auf den Nährwert nicht schlechter abschneiden als das herkömmliche Produkt. In keinem Fall dürfen die Produkte irreführend vermarktet werden. Im Fall von GMO-Produkten bestehen ferner zwingende Kennzeichnungsvorschriften.
In welchem Zeitrahmen spielt sich das Zulassungsverfahren ab?
Die Zulassung nach der Novel Food Regulation dauert zwischen 12 und 18 Monaten. Eine Zulassung nach der GMO Regulation dauert hingegen erheblich länger und ist deutlich kostenintensiver, was insbesondere an der komplexen Überprüfung der Sicherheit des Produktes liegt.
In Singapur sind vor Monaten erstmals Chicken Nuggets aus Zellkulturfleisch auf den Markt gekommen. Sind die Zulassungskriterien in dem Land weniger streng?
Auch in Singapur muss kultiviertes Fleisch ein stark reglementiertes Zulassungsverfahren durchlaufen. Die Genehmigung der Chicken Nuggets hat zwei Jahre gedauert, und Eat Just, das Unternehmen, das die Chicken Nuggets entwickelt hat, musste den Behörden Daten zur Qualität und Sicherheit des Produkts liefern, genauso wie zum Produktionsprozess.
Am Ende hat es aber geklappt?
Ja. Was Singapur von anderen Ländern wohl aktuell noch unterscheidet, ist zum einen der Wille, solche Produkte auch tatsächlich auf den Markt zu bringen. Singapur will bei Food-Tech-Innovationen der Global Leader werden. Entsprechend stehen dort großzügige staatliche Fördergelder zur Verfügung. Zum anderen sind die dortigen Verbraucher sehr offen für diese neue Art von Lebensmitteln. In Europa spricht man demgegenüber gern von „food neophobia“, also einer Abneigung gegenüber allem Neuen. Die sehr negative Haltung in Europa gegen Gentechnik schränkt die Möglichkeiten der Industrie in Bezug auf Fleischersatzprodukte weiter ein.
Ist der regulatorische Rahmen in Europa vorhanden, um Fleischersatzprodukte voranzubringen?
Ein großes Thema ist die Frage von Produktbezeichnungen und Werbehinweisen für Fleischersatzprodukte – ob pflanzenbasiert oder nicht. Für Milchersatzgetränke hat der europäische Gesetzgeber mittlerweile klargestellt, dass diese nicht als Milch bezeichnet werden dürfen; in Bezug auf Fleischersatzprodukte fehlt auf europäischer Ebene noch eine einheitlichen Regelung. Ferner wäre wünschenswert, dass die EU klare Richtlinien für die Zulassung von Kulturfleisch entwickeln würde.
Wie weit ist die EU hier bislang?
Es gibt zwar eine Menge Hilfestellung auf den Webseiten der zuständigen Behörden, insbesondere der Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA), für die Zulassung alternativer Proteine allgemein. Für die Zulassung von Insekten wurde vor nicht allzu langer Zeit sogar ein eigenes Regelwerk entwickelt. Für Kulturfleisch fehlen entsprechende Richtlinien aber noch. Die aus meiner Sicht wichtigste Frage, die dringend der Klärung bedarf, ist die nach dem Umgang mit neuen gentechnischen Methoden in der europäischen Lebensmittelwirtschaft.
Ist Gentechnik in der Nahrungsmittelproduktion bei europäischer Verbrauchern nicht immer noch höchst umstritten?
Für eine dieser Methoden, die sogenannte Genschere, haben die Erfinder dieses Jahr den Nobelpreis gewonnen. Diese Technologien können Quantensprünge in der Entwicklung ermöglichen und haben eine erhebliche Bedeutung, wenn es darum geht, kosteneffizient Proteine in ausreichender Menge und Qualität für Fleischersatzprodukte zu gewinnen, so dass der vor dem Hintergrund der Klimakrise und des Bevölkerungswachstums dringend nötige Transformationsprozess auch gelingen kann. Das gilt für pflanzenbasierte Proteine genauso wie für Kulturfleisch aus dem Bioreaktor.
Wo ist das Problem?
Aktuell unterfallen diese Technologien undifferenziert der GMO-Regulation. Klar ist zu unterscheiden, ob mittels dieser Technologie fremdes Genmaterial in einen Organismus eingeführt wird oder nur innerhalb des Genoms eines Organismus Veränderungen vorgenommen werden, die in der Theorie auch auf natürlichem Wege zustande kommen könnten. Aber für den letzteren Bereich – den sogenannten nicht-transgenen Bereich – gibt es für die Sicherheit dieser Technologien, jedenfalls soweit es die Entwicklung von Pflanzen anbelangt, mittlerweile zahlreiche Belege. In vielen Ländern werden sie deshalb in diesem Einsatzfeld viel liberaler gehandhabt als in der EU – wo immer noch häufig jede Abweichung vom Status quo mit dem Stigma Frankenfood belegt ist.
Es dreht sich also um kulturelle Eigenheiten?
Dies entwickelt sich zunehmend zu einem Wettbewerbsnachteil, gerade für kleine innovative Start-ups, die den hohen Kostenaufwand unter der GMO-Regulation schlicht nicht stemmen können. Zwar gibt es aktuell Konsultationen auf EU-Ebene, inwiefern diese Techniken für Pflanzen in Zukunft weniger reguliert werden könnten. Auch gewisse Kennzeichnungshinweise stehen zur Debatte, selbst wenn die Technologie in Zukunft nicht mehr als GMO qualifiziert werden sollte. Aber erstens dauert dieser Prozess zu lange. Und zweitens verlaufen die Konsultationen im Wesentlichen hinter verschlossenen Türen und sind nicht transparent genug.
Wird es einigen Konsumenten nicht doch schwerfallen, dies alles noch als Nahrungsmittel zu goutieren?
Was Kulturfleisch oder mittels Genschere produzierte optimierte pflanzliche Proteine anbelangt, ist das sicher eine Herausforderung. Die Industrie betreibt hier schon massive Aufklärungsarbeit. Ich würde mir allerdings wünschen, dass die Thematik auch in der öffentlichen politischen Diskussion gebührenden Platz findet. Letztlich geht es darum, wie die wachsende Weltbevölkerung klimaschonend ernährt werden soll und ob Europa hier eine Rolle spielen will. Klar ist das Thema kontrovers und erfordert Mut. Es ist jedoch eine Sache, im Wege des Green Deal Klimaziele für die Agrar- und Lebensmittelindustrie aufzustellen. Dann müssen aber auch die Rahmenbedingungen geschaffen werden, damit diese Ziele erreicht werden können. Ohne neue Technologien geht das meines Erachtens nicht.
Das Interview führte