Vorbild Biontech

Auch Deutschland kann Biotechnologie

Deutschland und Europa haben nur wenige Investoren, die trotz höherer Risiken Wetten eingehen. Das ist in den USA anders, wo Biontech, Curevac und Immatics an die Börse gegangen sind. Aber es gibt Fortschritte.

Auch Deutschland kann Biotechnologie

Der phänomenale Erfolg von Biontech mit der Entwicklung eines Covid-19-Impfstoffs hat in Deutschland und Europa den Scheinwerfer auf eine Branche gerichtet, die viele Jahre lang ein Schattendasein führte: die pharmazeutische Biotechnologie. Nun stellen wir uns die bange Frage, ob es sich bei Biontech um eine Eintagsfliege handelt, ermöglicht von zwei genialen Wissenschaftlern und ihren Teams, oder ob das Mainzer Vorzeigeunternehmen einen Trend markiert. Können Deutschland und Europa in der pharmazeutischen Biotechnologie künftig eine globale Rolle spielen – ähnlich wie in der Vergangenheit, als wir schon einmal die Apotheke der Welt waren?

Trotz einzelner vielversprechender Ansätze bremst ein nüchterner Blick die Euphorie. Es liegt eine Unmenge Gerümpel auf dem Weg, das wir wegräumen müssten. Es ist kein Wunder, dass die jüngsten Börsengänge von Biontech, Curevac und Immatics allesamt in den USA stattfanden.

Die Erzählung beginnt vor über 40 Jahren, als die technologischen Grundlagen für die heutigen Biotech-Unternehmen gelegt wurden. Während in den USA an das Potenzial der neuen Technologien geglaubt wurde, war die Angst in Europa vor den möglichen negativen Folgen der „Genmanipulation“ so verbreitet, dass wir den Start der Entwicklung dieses Sektors um rund 20 Jahre verpassten – ein nur schwer aufzuholender Rückstand.

Vorteile in den USA 

Das zweite strukturelle Defizit besteht in der unterschiedlichen Investoren- und Gründerkultur. In den USA gibt es eine große Szene von Wagniskapitalgebern, die bereit sind, auch langfristige Deep-Tech-Wetten einzugehen, wie sie insbesondere in der Biotechnologie nötig sind.

Bei uns existieren vergleichbare Investoren nur in einer sehr übersichtlichen Anzahl. Die großen Venture-Capital-Fonds in den USA werden von noch größeren Investment- und Pensionsfonds gespeist, die dadurch jedes Jahr zig Milliarden in die Biotechnologie kanalisieren. Diese Quelle fehlt in Deutschland gänzlich.

Die Wurzel des europäischen Nachteils ist in der Mentalität begründet. In den USA will man reich werden und scheut deshalb auch nicht Risiken. In Europa wollen potenzielle Talente bestenfalls herausragende Wissenschaftler mit Professorenstelle werden. Während jenseits des Atlantiks „Entrepreneurship“ zum Standard der akademischen Ausbildung gehört, fehlt diese Perspektive in unseren Lehrplänen. Die Mehrzahl der Wissenschaftler hierzulande kennt, drastisch ausgedrückt, den Unterschied zwischen Bilanz und Budget nicht.

Ohne Risikobereitschaft seitens der Geldgeber, ohne Gründerspirit und Vorbilder ist der Mannschaftswettbewerb im Biopharmazie-Marathonlauf für Deutschland und Europa im Vergleich mit den USA aber nicht zu gewinnen. Die Hoffnung ist, dass Ugur Sahin, Özlem Türeci und Ingmar Hoerr hier mit ihren Beispielen einen Urknall auslösen – wie einst Boris Becker und Steffi Graf im Tennis. Die USA haben beispielsweise in Patrick Soon-Shiong, Randall Kirk, Hans Bishop und Steve Harr berühmte und bewunderte Seriengründer, die sich bereits in anderen Bereichen bewährten.

Außer Seriengründern mit viel Erfahrung fehlt uns die sektorale Durchlässigkeit – also offene Türen zwischen Akademie, Finanzbranche und Unternehmertum. Dass jemand morgens Patienten operiert, nachmittags sein Biotech-Start-up führt und abends als Venture Partner neue Deals prüft, ist in den USA Realität, in Deutschland fast undenkbar.

In den USA hat sich ein biotechnologisches Gravitationszentrum gebildet, das Technologien, Talente, Geld und Aufmerksamkeit auch deshalb anzieht, weil man schon häufig bewiesen hat, erfolgreich zu sein. Dagegen stehen in Deutschland und Europa nur punktuelle Leuchttürme.

Inspiriert von Biontech

Trotzdem sollten wir den Kopf nicht in den Sand stecken. Es gibt Fortschritte. Die gebildete Öffentlichkeit hat die Bedeutung der Biotechnologie als Zukunftsindustrie erkannt. Die ganze Welt sieht, dass auch wir es können. Wissenschaftler sind neuerdings inspiriert von Biontech und ihren Gründern.

Family Offices beginnen, mehr Kapital in Biotechnologie und andere Deep-Tech-Segmente zu investieren. Universitäten überdenken ihren Ansatz des Technologietransfers und motivieren Menschen mit akademischen Karrieren, ihre Tätigkeit in kommerzielle Bahnen zu lenken. Besser als anderen gelingt dies beispielsweise der Technischen Universität München, die sich heute zu einem Hotspot für Start-ups entwickelt hat. Und: Europas VC-Investoren sammeln derzeit Rekordsummen für ihre neuen Fonds ein. Es gibt also trotz struktureller Fesseln durchaus Licht am Ende des Tunnels.

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