Bilanzkontrolle

BaFin sucht Luftlöcher in Konzernbilanzen

Die Marktaufsicht BaFin knöpft sich 2025 im Enforcement der Rechnungslegung intensiv die bilanzierten Vermögenswerte in den Zahlenwerken der Unternehmen vor. Das Thema sei ein Dauerbrenner und in konjunkturell schwierigen Zeiten besonders virulent.

BaFin sucht Luftlöcher in Konzernbilanzen

BaFin sucht Luftlöcher in Konzernbilanzen

Marktaufsicht nimmt in der Bilanzkontrolle 2025 die Werthaltigkeit von Vermögenswerten unter die Lupe

Von Sabine Wadewitz, Frankfurt

Die Marktaufsicht BaFin schaut sich 2025 im Enforcement der Rechnungslegung intensiv die bilanzierten Vermögenswerte in den Zahlenwerken der Unternehmen an. Das Thema sei Dauerbrenner und in konjunkturell schwierigen Zeiten besonders virulent. Auf Veranlassung der BaFin mussten 2024 neun Unternehmen Bilanzierungsfehler einräumen, prominentester Fall war die Deutsche Bank.

Im Enforcement von Unternehmensbilanzen haben sich über die Jahre Dauerbrenner herausgebildet. Die nach dem Wirecard-Skandal bei der Marktaufsicht BaFin angesiedelte „Bilanzpolizei“ stellt eine fehlerhafte Rechnungslegung immer wieder im Ansatz von Vermögenswerten fest. Speziell immaterielles Vermögen abgegrenzt als Goodwill oder Firmenwert und entstanden aus Übernahmen steht häufig nicht zum richtigen Wert in der Bilanz. Fehleranfällig ist der BaFin zufolge aber auch finanzielles Vermögen etwa in der Bewertung von Grundstücken oder Beteiligungen.

Zahlreiche Fehlerquellen

Weitere Fehlerquellen waren in den vergangenen Jahren die Kapitalflussrechnung, der Konsolidierungskreis, Angaben zu Geschäften mit dem Unternehmen nahestehenden Personen, der Risiko- und Prognosebericht sowie die Segmentberichterstattung oder auch die Angaben zu latenten Steuern. In letzterem Punkt musste im Juli 2024 sogar die Deutsche Bank auf Geheiß der BaFin nach einer Stichprobenprüfung eingestehen, dass der Konzernabschluss für das Jahr 2019 fehlerhaft ist. Die Angaben zu latenten Steuern im Konzernanhang seien nicht vollständig, so das Fazit.

Die Bank habe für ihr USA-Geschäft aktive latente Steuern von 2,1 Mrd. Euro nicht gesondert im Anhang angegeben. „Die Angabe hätte sie machen müssen, weil sie über mehrere Jahre hinweg Verluste verzeichnet hatte. Zudem hätte die Bank konkret erklären müssen, warum sie davon überzeugt ist, künftig ausreichende Gewinne zu erwirtschaften. Auch das hat sie nicht getan“, monierte die Enforcement-Stelle.

Im Stresstest

Die Fahndungsliste spiegelt sich in den Prüfungsschwerpunkten der BaFin für 2025, wobei sich die Bilanzprüfstelle diesmal vor allem die Werthaltigkeit von Vermögenswerten vorknöpft. Viele kapitalmarktorientierte Unternehmen würden aktuell tiefgreifende Transformationen hin zu digitalen und nachhaltigen Geschäftsmodellen durchlaufen. Geopolitische und gesamtwirtschaftlichen Herausforderungen „testen zudem die Resilienz zahlreicher Unternehmen“, umreißt die BaFin das Szenario.

Impairment-Test im Fokus

Diese Entwicklungen könnten den Wert bilanzierter Vermögenswerte beeinträchtigen. „Zudem bergen Werthaltigkeitsprüfungen Ermessensspielräume und Schätzungsunsicherheiten. In den vergangenen Jahren stellte die Bilanzkontrolle der BaFin daher regelmäßig Fehler aufgrund unterlassener, verspäteter oder unterdotierter Wertminderungen fest“, so das Urteil der Prüfstelle. In ihrer Bilanzprüfung schaut die Enforcement-Stelle genau auf die Annahmen zur Ermittlung der Bilanzansätze und nimmt dabei auch Gutachten unter die Lupe.

Breites Spektrum der ESMA

Mit Blick auf die vorgeschriebenen Impairment-Tests appelliert die BaFin an die Konzerne, bei nichtfinanziellen Vermögenswerten im aktuellen Umfeld genau zu prüfen, ob interne oder externe Anzeichen für mögliche Wertminderungen vorliegen. In diese Überprüfungen sollte nicht nur immaterielles Vermögen mit unbestimmter Nutzungsdauer wie Geschäfts- oder Firmenwerte einbezogen werden, sondern auch Sachanlagen und sonstiges immaterielles Vermögen.

Angesichts der aktuellen wirtschaftlichen Lage wird die Bilanzkontrolle nach Angaben der BaFin bei finanziellen Vermögenswerten der Unternehmen besonders die Einbringlichkeit von Forderungen prüfen.

ESMA legt Schwerpunkte fest

In ihrer Begutachtung der Bilanzen berücksichtigt die BaFin zudem die von der europäischen Marktaufsicht ESMA für 2025 festgelegten Prüfungsschwerpunkte. Sie gelten für alle europäischen Enforcement-Behörden. Im Mittelpunkt stehen hier Liquiditätsaspekte sowie Angaben im Anhang zu Bilanzierungs- und Bewertungsmethoden, Ermessensspielräumen und Schätzungsunsicherheiten.

Die ESMA hat erstmals auch die EU-Standards für Nachhaltigkeitsberichte als Prüfungsschwerpunkt gesetzt. Ursprünglich war geplant, dass sich auch die deutsche Bilanzkontrolle mit den neuen Nachhaltigkeitsberichten befassen würde, die große börsennotierte Unternehmen erstmals für das Geschäftsjahr 2024 veröffentlichen müssen.

„Keine Umweltbehörde“

Mit Blick auf das ESG-Reporting hatte BaFin-Exekutivdirektor Thorsten Pötzsch in einer Rede die Erwartungen gedämpft: „Die BaFin ist die Finanzaufsicht. Wir sind keine Umweltbehörde. Wir können also prüfen, ob die Berichte den Anforderungen an die Berichterstattung genügen. Wir werden nicht prüfen können, ob die angegebenen Umweltdaten tatsächlich der Realität entsprechen.“

Die BaFin nimmt die Bilanzen kapitalmarktorientierter Unternehmen mit einer risikoorientierten Auswahl stichprobenartig unter die Lupe. Sie wird aber auch aktiv, wenn konkrete Anhaltspunkte für Verstöße gegen Rechnungslegungsvorschriften publik werden − durch Whistleblower, in der Wirtschaftspresse oder aus der eigenen Aufsichtstätigkeit.

Erweiterter Werkzeugkasten

Seit die BaFin Anfang 2022 die Nachfolge der privatwirtschaftlich organisierten Deutschen Prüfstelle für Rechnungslegung übernommen hat, steht ihr im Enforcement ein erweiterter Werkzeugkasten zur Verfügung, und das Prüfverfahren ist insgesamt transparenter. Das Gesetz zur Stärkung der Finanzmarktintegrität (FISG) hat das Bilanzkontrollverfahren grundlegend reformiert und unter alleinige Zuständigkeit der BaFin gestellt. Ziel des Gesetzgebers war es, nach dem Wirecard-Skandal das Vertrauen in den deutschen Finanzmarkt wiederherzustellen und dauerhaft zu stärken.

„Wir arbeiten risikoorientiert“

Der BaFin ist es wie der Vorgängerorganisation wichtig, nicht als reine Sanktionsinstanz aufzutreten. Es geht den Prüfern um eine aktive Identifikation auffälliger Emittenten und ein frühzeitiges Eingreifen bei Hinweisen auf fehlerhafte Bilanzierung. „In der Bilanzkontrolle arbeiten wir risikoorientiert – und wir machen unsere Maßnahmen transparent. Das heißt: Wir fokussieren uns auf Themen, bei denen wir das größte Risikopotenzial sehen. Und auf Unternehmen, bei denen es einen konkreten Anlass gibt, genauer hin zu schauen. Darüber informieren wir die Öffentlichkeit. Auch, weil unsere Arbeit präventiv wirken soll“, sagte Pötzsch, Exekutivdirektor für den Geschäftsbereich Wertpapieraufsicht/Asset-Management der BaFin, laut Redetext auf dem Forum Bilanzkontrolle und Corporate Reporting der BaFin Anfang November 2024.

Mehr Transparenz

Seit der Reform des Enforcement darf die Bilanzprüfstelle auch Prüfungsanordnungen und wesentliche Verfahrensschritte bekannt machen. Vorher waren die Investoren offiziell erst informiert, wenn Mängel abschließend festgestellt und vom Emittenten selbst bekanntzugeben waren. Das geschah im alten System oft erst Jahre nach dem Bilanzstichtag des monierten Jahresabschlusses.

In der erweiterten Befugnis hat die BaFin im vergangenen Jahr etwa dem Kapitalmarkt im November mitgeteilt, dass sie Ende Oktober die Prüfung des Konzernabschlusses 2023 des in Schieflage geratenen Agrarhändlers Baywa angeordnet habe. Es gebe „konkrete Anhaltspunkte dafür, dass die Darstellung der Finanzlage und der Risiken aus der Finanzierung des Konzerns sowie die Darstellung der Risikomanagementziele und -methoden im Konzernabschluss und im Konzernlagebericht möglicherweise fehlerhaft sind“, so die Begründung der Bilanzprüfer.

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